Interview

DJ Hell: Vom Nobody aus München zum Resident

DJ Hell legt bei unserem 50. Jubiläum im Zenner auf. Mit uns hat er über Schlafsäcke im Kofferraum, das Berghain und die anfängliche Skepsis Berliner DJ-Größen im gegenüber gesprochen.

Für DJ Hell war der Umzug nach Berlin in den 70ern ein großes Ereignis.
Für DJ Hell war der Umzug nach Berlin in den 70ern ein großes Ereignis. Foto: Imago/Charles Yunck

DJ Hell in besetzten Häusern: „Mit Jeans und Lederjacke in den Schlafsack“

tipBerlin Hell, du bist seit den späten 1970ern in Berlin. Wie ist dir der tip damals begegnet?

DJ Hell Es gab damals die Stadtmagazine Zitty und tip. Die Zitty-Fraktion und die tip-Fraktion. Tip war immer politisch links und modern am Puls der Zeit. Das alles war akzeptiert in meinen Kreisen. Ich hab mir gestern auch den neuen tip gekauft mit Moderat als Titelstory. Die Band repräsentiert für viele den Sound von Berlin. Die guten Storys sind wie damals im tip, und das finde ich attraktiv: viel Kultur, Kunst, Musik, Kino, Ausstellungen oder politische Themen. Deshalb hab ich den tip damals schon favorisiert. Im Freundeskreis hat man sich gefragt: „Haste schon gesehen da im tip, dass Heaven 17 spielt?“ Oder dass der DJ aus London  kommt. Der tip lag ja auch in fast allen Cafés in Kreuzberg aus. Ich hab ihn aber immer auch gerne gekauft und dann studiert.

tipBerlin Du bist Teilzeit-Berliner, oder?

DJ Hell Ich versuche seit 30 Jahren zu erklären, dass ich in zwei Städten lebe: zum Großteil in Berlin – und zum anderen Teil in München. Anfang der 1990er hab ich in Treptow gelebt, nach dem Mauerfall – mein erster fester Wohnsitz in der Hauptstadt. Billig wohnen. Ich hatte quasi kein Geld.

tipBerlin Vorher hast du in besetzten Häusern gelebt.

Ab Ende der 1970er und vor allem in den 1980ern hab ich das alles live miterlebt, No-Future-Generation, Punk-Endzeit-Stimmung. Abends hatten wir Schlafsäcke im Kofferraum. Und dann wussten wir, wo Häuser leerstehen. Im Winter nicht so schön. Da wars besser, bei Freunden unterzukommen, die eine Heizung hatten. Man hat sich auch nicht ausgezogen zum Schlafen – sondern ging mit Jeans und Lederjacke in den Schlafsack.

Das Hard Wax hat DJ Hell beim Durchbruch geholfen

tipBerlin Wie war das für dich eigentlich, von Bayern aus auf dieser Abenteuer-Insel West-Berlin zu landen?

DJ Hell Das war schon ein großes Ereignis für einen Jungen wie mich vom kleinen Dorf. Hier war die große weite Welt. Und das Nachtleben mit Clubs wie dem Dschungel und dem Metropol.

tipBerlin Wie kam’s, dass du in Berlin Resident-DJ wurdest in einigen der wichtigsten Clubs?

DJ Hell Ich bekam damals ein Angebot vom Plattenladen Hard Wax. Und habe 1992 angefangen  in X-Berg zu arbeiten. Viele kannten mich vorher schon als DJ, als Plattenkäufer. Ich war zuerst Mister Nobody aus München. Aber langsam hatte ich bei Hard Wax damals ein paar Fürsprecher. Für mich war das der Wendepunkt in meiner DJ-Laufbahn: Plötzlich hatte ich internationale Kontakte. Da kamen auch die Detroiter, die im Tresor gespielt hatten; oder Chicagoer und New Yorker DJ-Vorbilder. Damit hat sich für mich eine Welt geöffnet: Plötzlich war ich mit allen Protagonisten in direktem Kontakt; von da an wurde ich dann auch international gebucht.

tipBerlin In welchem Berliner Club ging’s los?

DJ Hell Im Tresor. Da war ich auf Tour mit einer Band aus England: Nightmares On Wax. Ich war Tour-Fahrer und Tour-DJ. Ich hab immer vor und nach den Live-Auftritten der Band aufgelegt. Bis es plötzlich in Berlin hieß: Das geht nicht – im Tresor spielen nur Berliner DJ-Helden und keine Münchner oder Frankfurter Anfänger. Das war so die Meinung der DJs wie DJ Rok oder Tanith, die dort Resident-DJs waren. Aber irgendwie haben sie’s nicht verhindern können. Ich durfte auflegen. Die Residents standen um mich herum und haben mein Set geprüft – und schließlich für gut befunden. Ich konnte also mithalten musikalisch.

Die Renaissance von Techno vor allem durchs Berghain

tipBerlin Später wurde Techno riesig, auch mit der Loveparade. Hat Techno damit seine Seele verkauft?

DJ Hell Das ist mir zu einfach gedacht. Klar gibt es jetzt Business-Techno, wo Leute mit dem Social-Media-Team anreisen im Privatjet. Aber es gab auch immer eine florierende Szene (ich will jetzt nicht Underground-Szene sagen). Techno hat vor zehn, fünfzehn Jahren eine Renaissance vor allem durch das Berghain bekommen.

tipBerlin Das Berghain ist ja auch ein sehr schwuler Club.

DJ Hell Das fand ich immer besonders ansprechend. Mein bester Freund Rok war ja die sogenannte „Obergay-Terrordiva“. Das war perfekt, dass in Berlin Techno in der Gay-Community so ein starkes Feedback bekam. Damit ist Techno auch stark international gewachsen. Und das war in den 1980ern auch schon im Metropol am Nollendorfplatz so, als dort Westbam gespielt hat. Nightlife war gay culture. Das ist hier in Berlin über Jahre gewachsen, und das fand ich immer völlig logisch. House- und Techno-Musikkultur in ihren Ursprüngen in Chicago und New York City war pure gay power: gay DJs, gay clubs, gay producers. 100 Prozent gay heaven.


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