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Interview

„Jede kämpft um ihr Glück“: Julia Becker über Frauenfiguren und „Over & Out“

Die Neuköllnerin Julia Becker ist gebürtige Berlinerin. Sie begann als Schauspielerin, wollte aber schon bald auch selbst Rege führen. Mit „Over & Out“ legt sie nun einen interessanten Versuch vor, mit heutigen Frauenfiguren eine Balance zwischen Feelgood, Selbstfindung und Verunsicherung zu finden. Die Regisseurin im tipBerlin-Interview.

„Over & Out“ von Julia Becker, im Bild links die Regisseurin in einer der Hauptrollen. Foto: Warner

Julia Becker: „Echte Frauenfiguren“ haben mehr als nur eine Facette

tipBerlin Frau Becker, im Abspann von „Over & Out“ können wir lesen, dass Sie sich vorgenommen haben, „echte Frauenfiguren“ zu schreiben. Worauf kommt es dabei an?

Julia Becker Für mich sind Frauenfiguren „echt“, wenn sie vielschichtig sind, wenn deutlich wird, dass es nicht nur das eine Problem gibt, zum Beispiel nur nach der Liebe gesucht wird. Wie im wahren Leben, jede Frau hat doch viele Facetten. Ich finde es wichtig, dass eine Figur auch zwischendurch mal unsympathisch sein kann, dann aber wieder liebevoll oder auch tapfer oder oder oder – so, wie ich meine Freundinnen auch wahrnehme. Jede kämpft um ihr Glück, und ich finde es schön, das auch auf der Leinwand zu sehen.

tipBerlin Gab es eine Kernidee für „Over & Out“?

Julia Becker Das war eine Mischung aus vielen Dingen. Ich wollte unbedingt einen Film über Frauen machen. Dann ging es ums Grundthema für Frauen um die 40. Es gibt ja auch für uns so eine Art Midlife Crisis, der Tod ist aber etwas, was in dem Alter noch nicht so oft auftritt. Und wenn doch, ist das so etwas wie ein Hammerschlag, der Grenzen verschiebt.

tipBerlin Von einem Hammerschlag erholt man sich am besten durch eine Ortsveränderung. Deswegen das Roadmovie?

Julia Becker Ich fand es schön, dass die Figuren physisch auf dem Weg sind und innerlich auch eine Reise machen. Die Landschaften ändern sich, und sie sich auch, in ihnen bricht immer mehr auf und sie kommen zu ihrem Kern zurück. Eine doppelte Reise.

Julia Becker, Autorin und Regisseurin von „Over & Out“. Foto: Warner

„Eine Frau, eine junge Frau wie ich, stieß immer noch auf viel Skepsis“

tipBerlin Die Freundinnen sind eine repräsentative Mischung heutiger weiblicher Rollen. Wie haben Sie die Gruppe „komponiert“?

Julia Becker Lea ist die Geschäftsfrau, ein Machertyp, sie kann Sachen organisieren, und sie will auch, dass Sachen voranschreiten. Das setzt sie ganz schön unter Druck. Sie hat sich eine Schale zugelegt, um in einer Männerwelt zu bestehen. Die Hausfrau und Mutter Steffi, hat sich etwas verloren über die Care-Arbeit die sie geleistet hat und hat verlernt für sich zu kämpfen. Aber Steffi war mal was anderes. Davon ist noch ein Restbewusstsein da. Toni steht als Rockstar auf der Bühne, ist aber auch sehr viel in einer unrealen social Media Welt unterwegs. Sie lebt ihren Traum und ist trotzdem in einem goldenen Käfig gefangen.

tipBerlin Ihr erster Spielfilm „Maybe, Baby!“ war 2017. Danach erst kam #metoo. Hat sich für Frauen im Kino erst dadurch richtig etwas geändert?

Julia Becker Ich glaube schon. Bei „Maybe, Baby!“ hatten wir sehr gute Kritiken. Danach wurden mir aber nicht gerade die Türen eingerannt. Eine Frau, eine junge Frau wie ich, stieß immer noch auf viel Skepsis. Das hat sich komplett verändert. Frauen werden händeringend überall gesucht. Das ist ein Luxus, den Männer schon ganz lange haben. Mit der stärkeren Präsenz von Frauen ändern sich auch die Erzählweisen und die Perspektiven.

„Over & Out“ von Julia Becker. Foto: Warner

tipBerlin Das deutsche Kino lernt gerade, wie kommerzielle Komödie funktioniert. Karoline Herfurth ging ein bisschen voran. JGA Jasmin Gina Anna war auch sehr interessant. Sehen Sie sich da als Teil eines Feldes?

Julia Becker Irgendwie schon, auch wenn JGA natürlich ein ganz anderer Film ist, schon weil die Frauen jünger sind. Und Karolines Filme, finde ich sowieso ganz toll. Ich versuch auch immer alles zu gucken und finde das toll was das rundum entsteht und was das für eine Vielfalt hat.

tipBerlin Amerika ist im Komödienfach das große Vorbild. Für Sie auch?

Amerikanische Indie Komödien sind bei uns immer noch Riesendinger, so was wie „Silver Linings Playbook“ ist wunderbar. Es gibt sehr viel feingliedrigen Humor in amerikanischen Produktionen. Da kann man nur von lernen nicht nur wir Filmemacher, sondern auch die Filmförderer, was alles möglich ist.

„Ich schreib sehr aus dem Bauch drauflos“: Julia Becker über ihre Arbeit als Autorin und Regisseurin

tipBerlin Aus Amerika kommen aber auch viele der Rezepturen für das perfekte Drehbuch. Beschäftigen Sie sich damit?

Julia Becker Tatsächlich gar nicht. Ich hab das ja nicht gelernt, ich schreib sehr aus dem Bauch drauf los und lass die Figuren interagieren und verlasse mich auf mein Gefühl. Und dann kommt immer jemand und sagt: Das oder das kannst du aber so nicht machen, das geht dramaturgisch gar nicht. Wieso? Natürlich kann ich das. Bei „Over & Out“ z.B. galt: Wir müssen den Tod immer ernstnehmen, da darf nicht zu viel Klamauk rein zum Beispiel – dann kann man so eine Twist auch in eine Komödie packen.

tipBerlin Können Sie kurz Ihren Werdegang beschreiben?

Julia Becker Ich bin in Neukölln aufgewachsen und komme aus einer Familie die mit Kunst nichts am Hut hatte. Ich habe aber schon 1988 in ein Poesiealbum eingetragen, dass ich Filmstar werden möchte. Über sehr viele Umwege habe ich nach dem Abitur Schauspiel studiert, aber bald gemerkt, dass mir das nicht reicht, und begonnen zu schreiben. Erst Kindertheater und Kurzfilme, dann mein Debüt.

tipBerlin Kann man schon etwas über Ihr nächstes Projekt sagen?

Julia Becker Ich hab was in der Gedankenmache und sehr viele Notizen, und werde direkt nach Kinostart anfangen zu schreiben. Etwas, was mir nahesteht aus dem Leben und mit vielen Figuren Es wird spannend und tragisch-komisch, und es wird auch von der sozialen Vielfalt her gefächerter sein.

Julia Becker, gebürtige Berlinerin aus Neukölln, fand über das Schauspiel zur Filmregie. Ihr Debüt „Maybe, Baby!“ war 2017 noch auf Crowdfunding angewiesen, mit „Over & Out“ fand sie nun schon bei der Firma Warner Unterschlupf.

Darum geht’s: Drei Freundinnen werden unter dem Vorwand einer spontanen Hochzeit nach Italien gerufen, und finden sich nach einer Überraschung auf einer seltsamen Pilgerreise wieder: Julia Becker vermittelt entspannt zwischen Selbstfindungsfahrt und Feelgood-Komödie.

D 2022; 109 Min.; R: Julia Becker; D: Jessica Schwarz, Petra Schmidt-Schaller, Julia Becker; Kinostart: 31.08.

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