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Dokumentarfilm

„Spuren – Die Opfer des NSU“ von Aysun Bademsoy gibt den Opfern eine Stimme

Im Juli 2018 kam der Gerichtsprozess gegen die rechtsterroristische Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach fünf Jahren Dauer zu einem Ende. In der seriösen Presse ursprünglich als einer der wichtigsten Strafprozesse in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands postuliert, machten sich am Ende doch eher Ratlosigkeit und Enttäuschung breit. Zu viele Fragen blieben offen: nach weiteren Helfern und Unterstützern der Angeklagten, nach der dubiosen Rolle des Verfassungsschutzes in der ganzen Affäre. Ans Licht gekommen waren allerdings endlose Ermittlungspannen und die miserable Vernetzung der in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich organisierten Polizei.

Salzgeber

Erst nachdem sich die mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2011 selbst das Leben genommen hatten und ein zynisches Bekennervideo aufgefunden wurde, konnten insgesamt zehn in den Jahren 2000 bis 2007 ausgeführte Morde – an acht türkischstämmigen Männern, einem Griechen und einer deutschen Polizistin – sowie ein Nagelbombenattentat in einem vor allem von Migranten bewohnten Stadtteil von Köln überhaupt dem NSU zugeordnet werden. Wie ein roter Faden hatte es sich bis zu diesem Zeitpunkt durch die Ermittlungen zu all diesen Straftaten gezogen, dass die Polizei Rassismus und Fremdenfeindlichkeit als Tatmotiv ausgeschlossen und stattdessen versucht hatte, den Opfern und ihren Angehörigen Verwicklungen in kriminelle Milieus nachzuweisen.

15 Jahre währende Tortur

Auch das Gerichtsverfahren brachte den Angehörigen schließlich nur wenig Genugtuung: In Strafprozessen wird zwar viel über Täter, aber wenig über ihre Opfer gesprochen. Die Strafen für einige Helfer des mörderischen Trios erschienen vielen am Ende als zu mild. Und mit ihren Gefühlen während einer gut 15 Jahre währenden Tortur blieben die Angehörigen sowieso allein. Sie machten aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl und mochten sich nach Beendigung des Prozesses schließlich gar nicht mehr äußern.

Hier setzt der feinfühlige Dokumentarfilm „Spuren – Die Opfer des NSU“ der Berliner Regisseurin Aysun Bademsoy an. Er rollt weder die Morde noch den Prozess neu auf, sondern gibt Angehörigen der Opfer eine Stimme. Die Menschen erzählen von ihren Erinnerungen an die Ermordeten, von ihrem gemeinsamen Leben vor den schrecklichen Taten, von ihren Gefühlen, wenn sie noch einmal den Tatort besuchen. Und davon, wie es ist, wenn Polizei und Boulevardpresse aus Opfern potenzielle Täter machen. Von den Hoffnungen, die das Gerichtsverfahren mit sich brachte. Und von ihrer Haltung gegenüber einem Land, einer Gesellschaft, in der diese Verbrechen möglich waren.

Letzteres ist für Bademsoy auch ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Motivation gewesen, diesen Film zu drehen, wie sie in einem sparsam eingesetzten, persönlichen Kommentar verdeutlicht. Sie stammt selbst aus der Türkei, kam als Neunjährige mit ihren Eltern nach Deutschland. Eine „Normalität“ ist im Verhältnis der Deutschen und den Migranten und ihren Nachkommen in zweiter oder dritter Generation eben noch immer nicht eingekehrt.

Im Film wird klar, wie unterschiedlich die Betroffenen mit dieser Frage umgehen: In einem Fall sind Witwe und Tochter eines Mordopfers in die Türkei (zurück-) gegangen, sie mochten nicht mehr in Deutschland leben. In einem anderen erklärt die Tochter eines Ermordeten, dass sie ja in Deutschland geboren sei und gar keine andere Heimat kenne. Und die lasse sie sich auch nicht nehmen. Und das ist dann doch eine Ansage für den wichtigen Kampf um Normalität.

Spuren – Die Opfer des NSU 2019, 81 Min., R: Aysun Bademsoy, Start: 13.2.

15.2., 18 Uhr, Lichtblick-Kino: Screening, anschl. Gespräch mit Aysun Bademsoy; Moderation: Axel Bussmer 

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