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„Fallende Blätter“ von Aki Kaurismäki: Lakonisch wie eh und je

In „Fallende Blätter“ von Aki Kaurismäki spielen Jussi Vatanen und Alma Pöysti ein unwahrscheinliches Paar: zwei Verlierer, die den Widrigkeiten des Lebens trotzen. Die beiden Hauptdarsteller arbeiten zum ersten Mal mit dem bekanntesten aller finnischen Regisseure zusammen und bieten im Gespräch mit tipBerlin-Autor Frank Arnold Einblicke in die Arbeit.

Die beiden Hauptfiguren in „Fallende Blätter“ von Aki Kaurismäki: Holappa (Jussi Vatanen) und Ansa (Alma Pöysti). Foto: Malla Hukkanen/Sputnik

„Fallende Blätter“ von Aki Kaurismäki: Vierter Teil der „Proletarischen Trilogie“

Die Schnapsflasche ist nie weit weg am Arbeitsplatz von Holappa, zwischendurch braucht er einfach einen Schluck, auch wenn ihn das im Verlauf des Films gleich zweimal den Job kostet. Ansonsten ist der Mittvierziger ein selbstgenügsamer Mann, der sich in seiner Einsamkeit eingerichtet hat – ein „einsamer Wolf“, so charakterisiert ihn der Schauspieler Jussi Vatanen, der Holappa (dessen Vornamen nicht einmal sein Freund kennt) verkörpert. Zum Ausgehen an einem Freitagabend muss ihn sein Freund und Arbeitskollege Huotari erst überreden. Dabei begegnet er zum ersten Mal Ansa, die gerade ihre Stelle in einem Supermarkt verloren hat, weil sie einen abgelaufenen Joghurt eingesteckt hat. Zwei Verlierer, die gemeinsam den Widrigkeiten des Lebens trotzen könnten?

Von Aki Kaurismäki selber mit ironischem Understatement angekündigt als vierter Film seiner „Proletarischen Trilogie“, greift der Filmemacher damit auf frühere Motive zurück, ein Rückgriff sind auch die direkten Verweise auf seine bevorzugten Regisseure und einige Filme, die hier als Referenzen dienen: David Leans „Brief Encounter“ und Leo McCareys „An Affair to Remember“.

Ansa-Darstellerin Alma Pöysti: Bekannt aus „Tove“ als Mumins-Schöpferin

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„Er spricht fortwährend über Film und entsprechende Referenzen. Das ist für mich als jemand, der aus einer anderen Generation stammt, nicht ganz einfach, dabei mitzuhalten – eine Mission: Impossible des Wissens“, sagt Ansa-Darstellerin Alma Pöysti beim Gespräch während des Filmfestes München, wo der Film seine Deutschland-Premiere hatte und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Während sie durch die Titelrolle als Schöpferin der Mumins in „Tove“ auch hierzulande einen gewissen Bekanntheitsgrad vorweisen kann, hat es von den mehr als 50 Filmen ihres Filmpartners Jussi Vatanen kaum einer in die deutschen Kinos geschafft.

Beide arbeiteten hier zum ersten Mal mit dem bekanntesten aller finnischen Regisseure zusammen. Es begann damit, dass er sie beide über ihre Agenten zu einem Essen bat, was beide als eine Ehre empfanden. „Es kam mir ziemlich surreal vor, ihm persönlich zu begegnen. Das ist einer dieser Augenblicke, wo man sich kneift und fragt: Passiert das gerade wirklich?“, meint Alma, während Jussi ergänzt: „Er ist in Finnland eine öffentliche Figur, obwohl er keine Interviews mehr gibt, ein wirklicher mystery man.“ – „Eine Legende!“, fügt Alma hinzu.

Sechs Jahre sind seit Kaurismäkis letztem Film „Die andere Seite der Hoffnung“ vergangen. Der Filmemacher hat seine weltweite Fangemeinde, die von ihm vermutlich erwartet, dass er denselben Film immer wieder dreht. Vor 40 Jahren debütierte er mit „Crime and Punishment“, „Fallende Blätter“ ist der 19. abendfüllende Kinofilm des 66-Jährigen.

Die Personen, die ums alltägliche Überleben kämpfen, sind dabei ebenso vertraut wie die lakonische Erzählweise, das hervorstechendste Merkmal der Filme Kaurismäkis. Der Rückgriff auf die Vergangenheit ist hier offensichtlich in den filmischen Referenzen wie in den musikalischen – sentimentale finnische Schlager, die immer wieder erklingen. Gleichzeitig ist der Film aber auch in der Gegenwart verankert – durch den Auftritt des jungen Musikerinnen-Duos Maustetytöt, im genauen Blick auf ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, vor allem aber durch die Radionachrichten vom russischen Krieg gegen die Ukraine.

Ein Lächeln erfüllt den ganzen Raum

Beginnt die Geschichte von Ansa und Holappa zunächst vielversprechend mit einem gemeinsamen Kaffeetrinken und einem Kinobesuch (wobei Holappa eine ungewöhnliche Filmauswahl für ein Date Movie trifft), geht es bald bergab. Ihre Telefonnummer verliert er und verbringt darauf Abende vor dem Kino in der Hoffnung, sie wiederzutreffen. Als das schließlich geschieht, endet die Einladung zum Abendessen bei ihr mit einem traurigen Missklang, an dem der Alkohol schuld ist. Was Ansa macht, nachdem Holappa gegangen ist, ist wirklich herzzerreißend – eine Szene, die sich fest eingräbt im Gedächtnis des Zuschauers.

Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen): Da geht noch was, und Kino spielt dabei eine Rolle. Foto: Malla Hukkanen/Sputnik

Ich vermute, solche Szenen sind im Drehbuch genau skizziert? „Einige Dialogzeilen für mich hat  Aki einmal beim Dreh hinzugefügt“, erinnert sich Vatanen, „aber das ist eher die Ausnahme, er hat den ganzen Film in seinem Kopf, auch den Schnitt.“ – „Er schneidet ihn, bevor er ihn dreht“, ergänzt Pöysti, „es ist nichts zufällig im Film.“ – „Er kümmert sich wirklich um alle Details: ich habe mehr als zehn verschiedene Lederjacken anprobiert, bevor wir die richtige fanden.“

Aki Kaurismäki macht dem Publikum Hoffnung – „Fallende Blätter“ ist ein Film, der glücklich macht

„Wir konnten unsere Figuren auf Basis des Drehbuchs sehr gut entwickeln, einfach, weil es so angefüllt mit Details war – was eine Figur denkt, wie sie sich bewegt. Wir haben auch nicht geprobt. Denn es geht darum, diesen Moment zu bewahren. An einer Stelle hieß es: Ansa lächelt plötzlich und ihr Lächeln erleuchtet den ganzen Raum. Daraufhin wollte ich von Aki wissen, wie groß denn der Raum sei.“ Dann dreht er vermutlich auch ziemlich schnell? „Jede Szene nur einmal, ganz selten zweimal – drei gelten schon als Katastrophe“, sagt Alma und lacht.

Nach einer Reihe tragischer Momente gibt es doch ein Happy End für die beiden. Das ist kein Spoiler, denn ohne Hoffnung entlässt Aki Kaurismäki seine Zuschauer nicht aus dem Kino. Ein Film, der glücklich macht, müsste man sagen, wenn das nicht so abgedroschen klänge.

  • Fallende Blätter (Kuolleet Lehdet) Finnland/Deutschland 2023; 81 Min., R: Aki Kaurismäki; D: Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen; Kinostart: 14.9.2023

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