Underground

8MM Bar: Wie ein Amerikaner den Krautrock nach Berlin brachte

Die 8MM Bar an der Schönhauser Allee prägt seit 20 Jahren das Berliner Nachtleben. Aus dem kreativen Umfeld der Kulturbastion in Prenzlauer Berg sind Bands, Künstler:innen, Kollaborationen, ein Label, eine Destille und ein Festival entsprungen. Alles geht auf die Liebe zum Krautrock zurück. Und auf den US-Amerikaner Alex Remzi, der sich als Tausendsassa einen Traum nach dem anderen erfüllt. Für das Synästhesie Festival 2022 hat er eine seiner Lieblingsbands gewinnen können. Sein größtes Ziel ist jedoch längst erreicht.

Tausendsassa Alex „Olli“ Remzi in seiner 8MM Bar in Prenzlauer Berg. Foto: Julia Murray

8MM Bar in Berlin: Krautrock ist nicht tot

Krautrock lebt. Vielleicht mehr denn je. Wenn auch in verschiedensten Gestalten, Erscheinungen und Reinkarnationen. Maschinelle Drumrepetitionen, experimentelle Synthesizer-Eskapaden, avantgardistische Noise-Ausbrüche und manipulierte Gitarrensounds, die eher an eine Fabrik im Hochbetrieb als an ein Saiteninstrument erinnern, sind längst keine west- und norddeutschen Hippie-Träume mehr.

Die langhaarigen Garagentüftler von Neu!, Can und Faust, die in den 1970er-Jahren unbekannte Klangwelten erforschten, inspirierten nicht nur Bowie und Joy Division, sondern sind bis heute Ikonen der Innovation. Wegweisende Hip-Hop-Samples von Afrika Bambaataa, genredefinierende Techno-Basteleien von Juan Atkins und so ziemlich jede Form alternativer Musik ist auf die Experimente der 1970er-Jahre zurückzuführen. Zwischen Essen und Berlin führen Bands wie International Music, Electric Orange, subkulturelle Labels wie Staatsakt und etliche Sound-Künstler:innen das musikalische Erbe fort. Im Berghain, in der Philharmonie, im SO36 oder der Underground-Kneipe in Prenzlauer Berg.    

Auch der Krautrock-Pionier Michael Rother von Neu! spielte schon auf dem Synästhesie Festival. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Alex Remzi von der 8MM Bar: Ein Alien im Ost-Bezirk

„Krautrock ist das Fundament für alles, was wir in der 8MM Bar zelebrieren“, sagt Alex Remzi, Barbetreiber und Kurator des Synästhesie Festivals. Shoegaze, Dream-Pop, Noise-Rock, Post-Rock, New-Wave, No-Wave: Musikalische Stammkundschaft auf den Lautsprechern des Szene-Lokals an der Schönhauser Allee. Und geprägt durch Neu! und Co. 

Der Tresen der 8MM Bar ist Treffpunkt für Kreative und Musikfans. Foto: Julia Murray

Seit 20 Jahren trifft sich die Berliner Underground-Szene an Remzis Tresen. Der US-Amerikaner war 2002 nach Berlin gezogen und eröffnete noch im selben Jahr die 8MM Bar. In den frühen 2000er-Jahren gab es in Prenzlauer Berg noch Platz für Wagnisse. Inzwischen gehört die Kneipe neben der Kulturbrauerei zu den letzten Subkulturbastionen im gentrifizierten Ortsteil.

Bedingt durch die Freiheiten der Stadt und die guten Vernetzungen zur Berliner Underground-Szene verdiente sich Alex „Olli“ Remzi schnell einen Ruf als Tausendsassa des Berliner Nachtlebens. DJ, Label-Chef, Gastronom, Festival-Organisator und Destillateur: Genug Action für fünf Lebensläufe.

Die 8MM Bar fördert die Berliner Musikszene

Stereolab live beim Synästhesie Festival 19. Foto: Imago/Votos-Roland Owsnitzki

Vor allem aber ist Remzi Förderer der Berliner Musikszene. Aufstrebende Bands können durch seinen Einsatz Bühnenerfahrung sammeln, Platten aufnehmen und in ein Netzwerk eintauchen. Auch bekanntere Gruppen lassen sich vom subkulturellen Ruf anlocken. Gewalt, Holy Motors, Oliver Ackerman von A Place To Bury Strangers oder The Brian Jonestown Massacre: Sie alle spielten schon im intimen Rahmen der 8MM Bar. „Ich bin sehr stolz auf das kreative Umfeld, das wir geschaffen haben”, sagt Remzi.

Aus der Community heraus entsprang 2015 das Synästhesie Festival, das 2022 in die siebte Runde geht und traditionell in der Kulturbrauerei ausgetragen wird. Vom 18. bis zum 19. November zelebrieren spannende Bands die Unsterblichkeit des Krautrock. Ganz ohne Nostalgie. „Wir sind kein Oldie-Festival“, sagt Remzi, „sondern eine Zusammenkunft verschiedener Kraut-Generationen.”

Poster für das Synästhesie Festival in den Fenstern der 8MM Bar. Foto: Julia Murray

Die Vision erfüllte sich spätestens 2019: Die Legende Michael Rother von Neu!, die Post-Rock-Pioniere von Stereolab und die Shoegaze-Erben von Deerhunter standen alle auf der Bühne des Synästhesie Festivals in der Kulturbrauerei. „Drei Generationen treffen aufeinander und inspirieren sich gegenseitig“, sagt Remzi, „darauf bin ich wirklich stolz.“

Alex Remzi, die 8MM Bar und das Synästhesie Festival: Kraut Forever

Auch in diesem Jahr präsentiert das Festival einen Querschnitt der krautigen Musiklandschaft. Mit von der Partie sind das Trip-Hop-Urgestein Tricky, der Garagenpunk-Modernisierer John Spencer, die Sound-Tüftlerin Tess Parks und die Electro-Post-Punker The Vacant Lots. Auch Gewalt, die wohl brachialste und kompromissloseste Gruppe der Hauptstadt, spielt auf dem Synästhesie Festival. Diesmal auf einer großen Bühne in der Kulturbrauerei und nicht wie 2019 in der überquellenden 8MM Bar.

Die Nerven verstehen sich als “letzte Rockband Europas” und stehen frisch im Synästhesie-Line-Up. Foto: Lucia Berlanga

Mit Die Nerven konnte Alex Remzi eine der interessantesten Punk-Bands der Gegenwart gewinnen, die mit ihrem aktuellen, selbstbetitelten Album den Höhepunkt ihres Schaffens markiert. „Die Nerven frage ich schon seit drei, vier Jahren“, sagt Remzi, „endlich sind sie dabei“. Hartnäckigkeit zahlt sich aus: Mit dem Auftritt der britischen Shoegaze-Ikonen von Slowdive erfüllt sich der Festivalmacher einen alten Traum. „Die Band steht für alles, was wir mit dem Synästhesie Festival feiern“, sagt Remzi, „die Verschmelzung von Gedanken, Musik und Kunst.” Drei Jahre lang habe er daran gearbeitet, die Gruppe nach Berlin zu holen. Slowdive spielen zum ersten Mal seit 2017 in der Hauptstadt.

Auch die englischen Shoegazer Slowdive kommen zum Synästhesie Festival 2022. Foto: Ingrid Pop
Auch die englischen Shoegazer Slowdive kommen zum Synästhesie Festival 2022. Foto: Ingrid Pop

„Ich muss mich auf das Festival freuen, um das Festival planen zu können“, sagt Remzi. Immerhin dauern die Vorbereitungen ein gesamtes Jahr und gerade in Krisenzeiten gibt es neben steigenden Kosten auch immer weniger Sicherheiten. „Wenn du eine Band wie Slowdive gewonnen hast, machst du einfach keinen Rückzieher“, sagt Remzi. Das große Geld sei eh nie ein Ziel gewesen. Seit 2022 ist das Synästhesie Festival als gemeinnütziges Unternehmen zur Förderung des musikalischen Erbes Deutschlands eingetragen. Sicherlich bleibt Remzis Leidenschaft und Einsatz für Subkultur erhalten. Hoffentlich auch die 8MM Bar und das Synästhesie Festival. Vielleicht entsteht auch etwas Neues auf dem Fundament. Wie beim Krautrock halt.

  • 8MM Bar Schönhauser Allee 177b, Prenzlauer Berg, Di-So 19-4 Uhr, online
  • Synästhesie Festival Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg, 18.+19.11., synfest.com

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