Musik aus Berlin

Ava Vegas im Porträt: Verschmierter Lidschatten mit Twist

Mit 15 war sie im Berghain – Grund genug für die Berliner Newcomerin Ava Vegas, Architektur zu studieren. Inzwischen entwirft sie aber
Gebilde anderer Art: musikalische Räume, die den Geist der 80er
atmen, gepimpt mit Chanson und New Wave. tipBerlin-Autorin Henrike Möller porträtiert die Berliner Musikerin.

Aus der Zeit gefallen, ein bisschen zumindest: Ava Vegas und ihr Sound zwischen 80s-Pop, Chanson und New Wave. Foto: Saga Sigurðardóttir
Aus der Zeit gefallen, ein bisschen zumindest: Ava Vegas und ihr Sound zwischen 80s-Pop, Chanson und New Wave. Foto: Saga Sigurðardóttir

Nach ihrem ersten Song war Ava Vegas erstmal eine Woche lang schwindelig: „Das war so ein Erweckungserlebnis. Ich glaub, ich hatte noch sie so ein ekstatisches Gefühl.“ Musikmachen, Songs schreiben – das stand eigentlich gar nicht auf der Agenda der heute 29-Jährigen.

In Ava Vegas’ Wohnung gab es kein Internet, dafür ein Kinderkeyboard

Eher aus Langeweile beginnt sie vor etwa vier Jahren, auf dem kleinen Kinderkeyboard ihres damaligen Freundes rumzuklimpern, dem Schweizer Musiker Dagobert. Der ist – wie so oft – auf Tour. Internet gibt es in der gemeinsamen Wohnung nicht.

Was also tun? Nach gerade mal einer halben Stunde ist Ava Vegas’ erster Song im Kasten, das ruhig fließende „Zarah“ – zu hören auf ihrem Debütalbum – mit seinem luftigen, lateinamerikanischen Rhythmus, der kontrastiert wird von Ava Vegas’ tiefer, edler Chanson-Stimme.

Gänzlich künstlerisch unerfahren ist Ava Vegas damals allerdings nicht. Als Kind nahm sie Klavier- und Gesangsunterricht, dazu Ballett- und Schauspielstunden. Vielleicht aus jugendlichem Trotz lässt sie mit ihrem Umzug nach Berlin im Alter von 19 Jahren all das aber erstmal ruhen und studiert stattdessen Architektur an der UdK: „Ich hab mich damals immer gefragt, wie manche Clubs und Restaurants es schaffen, dass dort so eine ganz besondere Stimmung entsteht –  wie als wäre man in einem Film“, erklärt Ava Vegas ihre Studienwahl, „und ich habe das immer auf die Architektur zurückgeführt.“

Super RTL in Goslar, Partys auf Ibiza

Räume mit besonderer Atmosphäre – das sind für Ava Vegas lange Zeit vor allem die großen Techno-Clubs auf Ibiza. Jede Ferien verbringt sie dort im Ferienhaus ihrer Eltern. Mit gerade mal 14 geht sie auf Ibiza zum ersten Mal feiern. „Das war dann so meine kleine, geheime Welt“, sagt Ava Vegas.

Zurück in ihrer Heimat Goslar, einer mit 50.000 Einwohner*innen recht beschaulichen Stadt in Niedersachsen, kommen ihr die Mitschüler*innen ziemlich öde vor: „In Goslar haben irgendwie alle Kinder nur Super RTL geguckt. Dort aufzuwachsen ist ziemlich trist für Jugendliche.“

Die besondere Stimmung an manchen Orten führt Ava Vegas immer auf die Architektur zurück. Foto: Saga Sigurðardóttir
Die besondere Stimmung an manchen Orten führt Ava Vegas immer auf die Architektur zurück. Foto: Saga Sigurðardóttir

Also ab nach Berlin, um dort an den Wochenenden die Leute zu treffen, mit denen sie auf Ibiza immer abgehangen hat. Ava Vegas ist damals zwar nach wie vor minderjährig, in die Clubs kommt sie trotzdem: „Ich hab mir dann immer dunklen Lidschatten unter die Augen gemacht und meine Schminke verschmiert, um so auszusehen, als hätte ich schon drei Tage durchgefeiert. Das war dann so mein Trick.“

Und der funktioniert auch an einer der härtesten Türen Berlins. Mit 15 ist Ava Vegas zum ersten Mal im Berghain: „Und das hat mich auch total beeinflusst, Architektur zu studieren.“

Techno? Ava Vegas hört 91,4

Mit ihrem Umzug nach Berlin nimmt Ava Vegas’ Faszination für Techno und Feiern dann aber ziemlich schnell ab: „Meine alten Schulfreunde sind dann auch alle nach Berlin gezogen, und als die angefangen haben in die gleichen Clubs zu gehen, hat es mich irgendwie nicht mehr interessiert.“ Also dreht Ava Vegas ihren Musikgeschmack mal eben um 180 Grad um und beginnt, nur noch 91,4 Berliner Rundfunk zu hören: 60er, 70er, 80er. Eben die besten Hits aller Zeiten.

Womit das Nostalgische in Ava Vegas’ Sound erklärt wäre. „Ich wollte aber auch nicht komplett aus der Zeit gefallen klingen“, erklärt sie, „also es war mir wichtig, dass es da schon noch einen modernen Twist gibt“. Dieser moderne Twist entsteht in ihren Songs zum Beispiel durch synthetische Drums, die an tropische Klanghölzer erinnern und gemeinsam mit den sonnigen Rhythmen ein Gefühl von südlichen Gefilden vermitteln.

Zeitgenössisch klingen auch die urbanen Synthies in „Tokyo“, einem New-Wave-Track, ganz klar, und dennoch durch seinen cleanen Sound deutlich im Hier und Jetzt verankert.

Ein Song, der auf Ava Vegas’ Debütalbum heraussticht, ist der dunkel-samtige New-Wave-Chanson „Mein Mann“, der einzige deutsche Track der Platte. „Es hätte an Direktheit verloren, wenn ich es übersetzt hätte und die war mir bei dem Song wichtig“, erklärt Ava Vegas. In „Mein Mann“ beschreibt sie, wie sie in eine Bar kommt, voller Vorfreude auf einen schönen, ausgelassenen Abend, und da steht er plötzlich: ihr Exfreund.

Was macht man in so einer Situation? Hallo sagen? Zunicken? Nee, keinen Bock. Also: ignorieren, so tun, als würde man sich nicht kennen. „Das fällt mir leicht, dir scheinbar auch. Es sind ja noch genug andere hier“, singt Ava Vegas über glockenähnliche Keys und wirkt dabei verletzt und teilnahmslos zugleich: „Und dann denk ich daran, du warst doch mal mein Mann.“

Die Bar, die sie in „Mein Mann“ beschreibt, ist die Kim Bar in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte, beliebter Treffpunkt für die junge Berliner Kunst- und Kultur-Szene. „Ich habe früher da in der Nähe gewohnt und war jeden Abend dort“, erzählt Ava Vegas. In der Kim Bar hat sie auch den Musiker Max Gruber aka Drangsal kennengelernt, der ihr bei der Produktion ihres Debütalbums beratend zur Seite stand.

Deutsche Musik hat für sie einen Beigeschmack

Kein Wunder – haben die beiden musikalisch doch ziemlich viele Überschneidungen. Mit dem Unterschied, dass Drangsal inzwischen hauptsächlich auf Deutsch singt. Für Ava Vegas kommt das jedoch nicht infrage: „Wenn man deutsche Musik macht, ist das immer gleich ‚Deutsche Musik‘. Als wäre das ein Genre. Auch wenn die deutsche Musik, die man macht, eigentlich vom Klangbild her universeller Pop ist“, findet sie, „hat das immer gleich so einen Beigeschmack irgendwie. Und da will ich mich ein bisschen von fernhalten.“

Vier Jahre hat Vegas an ihrem Debütalbum gearbeitet. Nebenher hat sie ihren Master in Architektur gemacht. Ob sie je in diesem Beruf arbeiten wird, weiß sie zwar nicht, gebracht hat ihr das Architekturstudium für ihre Musik aber trotzdem etwas, glaubt sie: „Diese Faszination für Atmosphäre im Raum, das merkt man, glaube ich, auch wiederum in meiner Musik, weil ich da auch immer das Gefühl habe, ich kann mit einem Song wie so einen Raum schaffen, der eine ganze Welt aufmacht.“


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