Verkehrswende

Autofreie Friedrichstraße: Der Kampf der Symbolik geht weiter

Es ist Bettina Jaraschs großes Image-Projekt: die autofreie Friedrichstraße. Längst ist sie zu einem Symbol geworden, das die Gemüter zuverlässig erhitzt und die Twitter-Kommentarspalten füllt. Aber warum eigentlich? Und wer will was? Wir bringen Klarheit in den Auto(freien)dschungel. 


Autofreie Friedrichstraße: Prestigeprojekt mit Geschichte

Die Fußgänger sind los! Die Friedrichstraße ist zwischen Französische Straße und Leipziger Straße für den Autoverkehr gesperrt. Foto: Imago/Bernd Friedel

Vom alten Kunsthaus Tacheles, über den Friedrichstadtpalast bis zum Checkpoint Charlie bietet die Friedrichstraße ein Sammelsurium denkwürdiger Berliner Orte. Mittendrin: Ein Konsumbabel, in dem sowohl Galeries Lafayette und Nobelhart & Schmutzig, als auch Weekday und Starbucks Platz finden. 

Seit einigen Jahren steht die Straße jedoch vor allem wegen ihrer experimentellen Verkehrspolitik im Fokus. Im August 2020 wurde der Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße zur autofreien Zone erklärt. Der Berliner Senat wollte damit erproben, inwiefern eine autofreie Innenstadt zur Steigerung der Lebensqualität beitragen kann. 

Die Senatsverwaltung fand ihr eigenes Projekt schon mal super und erklärte es im Herbst selben Jahres für erfolgreich. Nun sollte eine dauerhaft autofreie Zone her. Den Antrag beim Bezirk wollte man sofort stellen. 

Bettina Jarasch, oder auch: Die Friedrichstraßen-Frau. Foto: Imago/Metodi Popow

Doch es kam anders: Das Berliner Verwaltungsgericht machte dem Senat einen Strich durch die Rechnung. Am 31. Oktober 2021 erklärte es die autofreie Zone für rechtswidrig. Damit gab man der Klage der Weinhändlerin Anja Schröder aus der parallel verlaufenden Charlottenstraße statt, die im Namen des Aktionsbündnisses „Rettet die Friedrichstraße“ geklagt hatte. Einen Monat später wurde die Friedrichstraße wieder für den PKW-Verkehr geöffnet. Aus der Traum vom Fahrrad-und-Spazier-Mekka in der Innenstadt. 

Rettet die Friedrichstraße: Wer steckt dahinter?

Zugegeben, hinter dem reißerischen Namen „Rettet die Friedrichstraße“ würde man vieles erwarten, sicher aber kein Bündnis, dass sich für den Erhalt des regulären Autoverkehrs einsetzt. Ist aber so. „Stoppt den Verkehrsversuch Flaniermeile“ heißt es auf ihrer Website. Direkt auf der Homepage wird zu Spenden aufgerufen, um „eigene Umfragen oder Analysen sowie Kommunikationsmittel und anwaltliche Unterstützung“ zu finanzieren. 

Bei der autofreien Friedrichstraße sind auch Busse mit gemeint. Diese Haltestelle wird künftig nicht mehr angefahren. Foto: Imago/Jürgen Ritter

„Was von der Politik als Erfolg verbucht wird und noch auf weitere Straßenabschnitte ausgeweitet werden soll, erklären hier ansässige mittelständische Unternehmen, Gewerbetreibende, Hotellerie, Gastronomen sowie Anrainer für gescheitert“, behauptet das Bündnis. Das ist zumindest bemerkenswert, denn wie die Twitter-Userin Frauke Maren kürzlich in einem Thread bemerkte, betreibt nicht eines der Mitglieder einen Laden auf der Friedrichstraße.

Tatsächlich gehören dem Bündnis, neben dem Verein „Wirtschaftskreis Mitte“ rund um den CDU-Politiker Frank Henkel, noch der IG Gendarmenmarkt e.V., die Freunde und Förderer Gendarmenmarkt Berlin e.V. sowie die Zukunft Gendarmenmarkt an. „Einzige an der Friedrichstraße ansässige Mitglieder des klagenden Bündnisses (…) sind ein Zahnarzt, eine Steuerkanzlei und Philip Morris.“ schreibt Maren auf Twitter. 

Autofreie Friedrichstraße: Kampf der Titaten

In der Regierung blieb man trotz der Klage umtriebig. Statt Beschwerde gegen das Urteil einzulegen, erfand Jarasch eine neue Strategie: Kurzerhand wurde beim Bezirksamt ein sogenanntes Teileinziehungsverfahren zur Umwidmung der Straße eingeleitet.

Sorgt für allerhand kreative Fotoideen: die autofreie Friedrichstraße. Foto: Imago/Stefan Zeitz

Ende Januar, pünktlich zum Endspurt des Wahlkampfes, hatte das Verfahren Erfolg: Am Montag, den 30. Januar wurde der Abschnitt zwischen Französische und Leipziger Straße erneut für Autos gesperrt. Die schrägsten Wahlplakate der Berliner Wiederholungswahl haben wir hier festgehalten.

Natürlich ließ die Vereinigung rund um Anja Schröder nicht lange mit einer Reaktion warten: Längst ist eine Klagewelle angekündigt. Bis zu 50 Unternehmer:innen könnten dem Tagesspiegel zufolge klagen. Der Anwalt Marcel Templin will sogar eine einstweilige Verfügung erwirken. Damit müsste die Sperrung der Friedrichstraße bis zur endgültigen Entscheidung wieder aufgehoben werden. Man hat es eilig in Berlins Mitte. 

Was Jarasch’s Verkehrsprojekt für ihren politischen Erfolg bedeutet, lässt sich nur schwer einschätzen. Im Wahlkampf galt sie für viele jedenfalls nur noch als „Friedrichstraßen-Frau“. Ihre Partei musste bei der Berliner Wiederholungswahl zwar nicht einbüßen, sie selbst galt jedoch als unbeliebteste Kandidatin für den Posten der Bürgermeisterin. Klar ist jedenfalls: Der Kulturkampf Friedrichstraße wird die Berliner:innen wohl noch eine Weile begleiten. Ob sie wollen oder nicht. 


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