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Kriegsfilm

Der Brite Sam Mendes führt uns bei seinem Kriegsdrama „1917“ in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs

Das Genre des Kriegsfilms ist ein Minenfeld. Denn was kann, was soll ein Kriegsfilm dem Zuschauer zeigen und mitteilen? Klar ist: Jeder Kriegsfilm muss auch ein Anti-Kriegsfilm sein. Doch wie lässt sich die Botschaft „Krieg ist schlecht, weil er Tod und Zerstörung mit sich bringt“ ohne die ihr innewohnende Banalität vermitteln?

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Es gibt ein berühmtes Zitat des US-amerikanischen Filmregisseurs Samuel Fuller, der einmal sagte, dass man den Zuschauern im Kino eigentlich mit echten Kanonen direkt über die Köpfe hinweg feuern müsste, um auch nur ansatzweise einen halbwegs realistischen Eindruck von dem zu vermitteln, was Krieg tatsächlich bedeutet.

Fuller versuchte, ein filmisches Äquivalent dazu über die Montage herzustellen: Seine Filme sahen immer ein wenig so aus, als hätte man sie mit einem Hackebeil geschnitten. Die Wirkung war eine unmittelbar physische – aus einem Fuller-Film konnte man nervlich ganz schön zerrüttet herauskommen. Eine moderne Entsprechung ist Christopher Nolans 2017 entstandenes Kriegsdrama „Dunkirk“ über die Evakuierung Dünkirchens im Zweiten Weltkrieg: ein audiovisuelles Dauerbombardement, in dem Zeitabläufe je nach gewünschtem Effekt beliebig gedehnt oder komprimiert werden.

Der jetzt vorliegende Kriegsfilm „1917“ des britischen Regisseurs Sam Mendes („American Beauty“, „James Bond 007: Spectre“) beschreitet einen vollkommen anderen Weg. Denn Mendes und sein Kameramann Roger Deakins („Jarhead“, „Barton Fink“) versuchen in „1917“ den Eindruck zu erwecken, als sei der ganze Film in nur einer einzigen Einstellung gedreht worden. Eine Einheit von Ort und Zeit bleibt also gewahrt. Die Kamera folgt den beiden britischen Lance Corporals Blake (Dean-Charles Chapman) und Schofield (George MacKay) über ein Schlachtfeld des Stellungskriegs in Frankreich während des Ersten Weltkriegs: quer durch das Niemandsland zwischen den Schützengräben, durch verlassene deutsche Stellungen, über Wiesen und durch Flüsse und Wälder.

Denn die beiden haben eine dringliche Aufgabe: Sie müssen den Kommandeur einer abgeschnittenen Truppeneinheit vor einer taktischen Falle der Deutschen warnen und die im Morgengrauen von den Briten geplante Offensive stoppen. Die Kamera eilt den beiden voraus, rast hinter ihnen her, kreiselt um sie herum. Und wie eine eigenständige Person sucht sie sich gelegentlich auch einen eigenen Weg, umrundet einen Granatenkrater in gegenläufiger Richtung oder fährt parallel zum Laufweg eines Protagonisten durch die Ruinen einer zerstörten Stadt. Der Eindruck, man sei hautnah dabei, soll den Zuschauer emotional am Geschehen beteiligen. Aber an welchem Geschehen eigentlich?

Normalerweise bedingt der Inhalt eines Drehbuchs die Form der Umsetzung in Bilder. Doch hier ist es umgekehrt: Der Zwang, an der Idee der „einen Einstellung“ festzuhalten (die in Wirklichkeit mit viel Aufwand aus vielen verschiedenen Aufnahmen komponiert ist), bedingt die Dramaturgie. Und die ist mit ihren Spannungsmomenten (Sprengfalle, Heckenschütze, abstürzendes Flugzeug) so vorhersehbar wie in ihren emotionalen Momenten (ein Bruder in der gefährdeten Division, das blutgetränkte Familienfoto im Todeskampf, das Baby in den Ruinen einer Stadt) einigermaßen kitschig.

Klar, das Ganze sieht technisch beeindruckend aus. Aber ist das alles, was man von einem Film erwartet? Bei Sam Mendes ist der Krieg vor allem dekorativ und hübsch ausgeleuchtet: von den Ratten, die auf dem Schlachtfeld an den vermodernden Gebeinen der Soldaten nagen, bis zu den bleich geschminkten Gesichtern der Protagonisten, deren Charakterisierung im Zweifelsfall hinter einer attraktiven Perspektive zurückstehen muss.

1917 GB/USA 2019, 115 Min., R: Sam Mendes, D: George MacKay, Dean-Charles Chapman, Colin Firth, Daniel Mays, Start: 16.1.

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