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Das Berliner Graffiti-Kollektiv 1UP macht Politik mit der Sprühdose

Das Berliner Graffiti-Kollektiv 1UP greift mit der Sprühdose in politische Debatten ein – aber nicht alle sind damit auch glücklich.

Aufsehen erregende Aktion von 1UP am U-Bahnhof Kurfürstenstraße Mitte April: Die BVG hat Anzeige erstattet. Foto: 1UP
Aufsehen erregende Aktion von 1UP am U-Bahnhof Kurfürstenstraße Mitte April: Die BVG hat Anzeige erstattet. Foto: 1UP

Man muss kein Streetart-Fan sein, um das Kreuzberger Kollektiv 1UP – was für „One United Power“ steht – zu kennen. Ihr Name ziert immerhin nicht nur in Berlin Wände, Dächer und viele andere bemalbare Flächen. Nein, auch international sind sie für ihre Aktionen bekannt, werden mittlerweile sogar in Kinofilmen, Bildbändern und Ausstellungen gewürdigt.

1UP seit fast 20 Jahren aktiv – Mitglied spricht über Aktionen

Seit mindestens 2003 sind 1UP aktiv, ihr Schriftzug ziert oder verschandelt – ja nach Perspektive – Wände, Dächer, Zugwaggons und U-Bahnen auf der ganzen Welt: von Neapel bis Puerto Rico, von Gent nach New York und immer wieder natürlich in ihrer Heimat Berlin. Das Kollektiv ist seit Jahren ein Phantom, niemand weiß genau, wie viele Mitglieder involviert sind. Klar ist dagegen ihr Einfluss: auf Instagram zum Beispiel folgen ihnen fast 800.000 Graffiti-Fans, ihre Aktionen werden innerhalb der Szene weithin diskutiert. Eine Plattform, die das Kollektiv jetzt politisch nutzen wollte.

Ende April veröffentlichten sie auf ihren Social Media-Kanälen ein Video, dass mehrere waghalsige Sprühaktionen dokumentiert: an der Rückwand des U-Bahnhofs Kurfürstenstraße, auf einem Hausdach oder einem Güterbahnhof.

Ziel der Aktionen war es, die Kampagne „Leave No One Behind“ zu unterstützen, die sich dafür einsetzt, Geflüchtete aus dem völlig überbelegten Lager Moria auf Lesbos zu evakuieren und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. „Mit dem Video wollten wir Aufmerksamkeit für die Kampagne erzeugen und über unsere Kanäle Menschen erreichen, die sonst vielleicht nicht erreicht worden wären“, erzählt ein Mitglied des Kollektivs, das lieber anonym bleiben möchte. „Wir finden es schlimm, dass an den Grenzen eines der reichsten Teile der Welt viele Menschen ertrinken, auch wenn sie gerettet werden könnten.“

1UP ist ein politisches Graffiti-Kollektiv: Gemischte Resonanz in der Szene

Es war nicht ihre erste Aktion mit ernstem Hintergrund. Schon vor knapp zehn Jahren sprühten sie beispielsweise gegen G8 an. „1UP als Gruppe und Teile unseres Kollektivs haben schon seit ihrer Gründung immer wieder auch politische Graffitis gemacht“, berichtet das Mitglied. „Auf welche Themen sich diese Aktionen beziehen, hängt immer davon ab, was uns beschäftigt und wo einzelne von uns involviert sind.“

Ihre Positionierung könnte dieser Tage klarer nicht sein: Nach den Aktionen im April traf es Mitte Mai eine Berliner U-Bahn, auf der Mitglieder des Kollektivs Namen zahlreicher Opfer rechter Gewalt in Deutschland anbrachten. Und Ende Mai folgte ein Zug in Belgien, der die letzten Worte des durch Polizeigewalt getöteten George Floyds, „I can’t breathe“, trug. Die Resonanz aus der Szene war gemischt: „Insgesamt gab es viel positives Feedback“, sagt das 1UP-Mitglied. „Allerdings gab es auch Reaktionen von Menschen, die 1UP-Graffiti cool finden, selber aber rassistische und homophobe Positionen vertreten und sich über die politische Positionierung von 1UP beschwert haben. Einige davon gingen so weit, uns wegen unseren politischen Graffitis Gewalt anzudrohen.“

Allerdings sind es nicht nur Rechte, die ein Problem mit diesen Aktionen haben, immerhin bleibt trotz allem Banksy-Hype, Streetart in Galerien und kapitalistischer Verwertungslogik Graffiti weiterhin eine Straftat. Die auch lebensgefährlich sein kann. Es sind schon Sprayer zu Tode gekommen.

BVG hat Anzeige erstattet – wenig überraschen

Auf eine Anfrage des tip Berlin hin, wie sie zu der Aktion stünden, antwortete die BVG, sie habe Anzeige erstattet. Greift die Polizei Sprüher*innen auf, drohen Anklagen wegen Sachbeschädigung, sogar Hausfriedensbruchs. Meist seien die Konsequenzen nicht sehr drastisch, berichten Mitglieder von 1UP, aber manchmal dann eben doch.

Warum also trotz Repressionen und Gefahren weitermachen? Streetart ist eben auch immer sowohl eine Form der Aneignung des immer mehr von Privatisierung und Gentrifizierung betroffenen Stadtraums, wie auch ein Mittel politischer Meinungsäußerung. „Es gibt verschiedene Formen, gegen rassistische, homophobe und die ganzen anderen Formen von Ausgrenzung aktiv zu werden. Wir lieben Graffiti und freuen uns, wenn andere Menschen rausgehen und sprühen, sowohl politisch als auch ‚nur‘ um zu sprühen“, so das Mitglied von 1UP. „One United Power – nicht nur in Graffiti, sondern auch in der Politik.“


Die Krise politisiert: Mit einer spektakulären (und in großen Teilen illegalen) Aktion unterstützt das Berliner Streetartkollektiv 1UP die politische Kampagne „Leave No One Behind“. Zum Ärger der BVG allerdings – und nicht ohne Risiko.

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