Kinder

Spielen in der Natur

„Die Idee ist das freie Spiel“ – Mal in Brennesseln – oder in eine andere kleine Patsche ­geraten: Jahrhundertelang gehörte dies für Kinder zum Spielen und Großwerden dazu. Heike Molitor, Professorin für Umweltbildung erklärt, warum solche grund­legenden Erfahrungen auch heute noch wichtig sind

Foto: Stiftung Naturschutz

tip Was unterscheidet den Naturerfahrungsraum vom gewöhnlichen Spielplatz?
Heike Molitor Der Fokus ist ein anderer. In Naturerfahrungsräumen lassen sich naturräumliche Strukturen erkennen. Dort finden sich nicht vorgefertigte Schaukeln oder Wippen mit nur einer Funktion, sondern modellierte Flächen, etwa ein kleiner Hügel oder ein riesiger Stein, auf den man klettern kann. Die Räume fordern implizit dazu auf, etwas zu gestalten, sich selber etwas auszudenken. Diese Spielmöglichkeiten können sehr kreativ sein.

tip Was bringen dem Kind diese Möglichkeiten für seine Entwicklung?
Heike Molitor Auf der Meta-Ebene geht es um die Frage, was wir eigentlich für unsere Kinder wollen. Wollen wir ihnen Räume vorgeben, in denen sie sich bewegen müssen, oder wollen wir Freiräume öffnen, in denen sie eigene Erfahrungen machen? Wenn wir Kreativität und Innovation wollen, ist die Frage, ob sie wirklich entstehen, wenn man Kinder von früh an in bestimmte Strukturen steckt. Wir beobachten die Kinder und vergleichen Spielplatz und Natur­erfahrungsraum: Und tatsächlich sind im Natur­erfahrungsraum die Spielmöglichkeiten vielfältiger. Die Kinder bewegen sich, sie laufen, sie erfinden aber auch Spiele, die wir uns selber nicht ausdenken könnten.

tip Also eigentlich die Kindheit, wie es sie auf dem Dorf schon immer gab…?
Heike Molitor Ja, exakt. In Spandau wächst in einem Naturerfahrungsraum etwa eine Brennnesselfläche. Und interessanterweise sind es Großeltern, die dann sagen, die müsse weg, man könne sich daran wehtun. Oder Großväter, die Angst haben, dass ihr Enkelkind aus einem Meter Höhe den Busch, den es hochgeklettert ist, runterfällt. Wenn man sie aber fragt, was sie selbst in ihrer Kindheit gemacht haben, dann hat jeder Erfahrungen mit Brennnesseln gemacht, ist jeder geklettert. Gleichzeitig gibt es jetzt so eine neue Verängstigung, dass den armen Enkelkindern etwas Dramatisches passieren könne. Es gehört aber zur gesunden Entwicklung von Kindern, eigene Grenzen und darüber auch eigene Stärken und Schwächen zu erfahren.

tip Sollen die Kinder denn völlig unbeaufsichtigt sein?
Heike Molitor Es gibt einen Bereich für Eltern, wo sie eingeladen sind, sich aufzuhalten und die Kinder – ab sechs Jahren – frei spielen zu lassen. Die Erfahrung zeigt, dass sie sonst doch in das Spiel eingreifen. Aber die Idee ist tatsächlich das freie Spiel. Es gibt auf den neuen Flächen aber die sogenannten „Kümmerer“. Sie sollen nicht in das Spiel eingreifen, aber manchmal braucht es eine Initialbespielung. Sie sind auch für einfache Pflegemaßnahmen verantwortlich sowie für die Öffentlichkeitsarbeit, um das Konzept bekannter zu machen. Denn von alleine funktioniert es nicht unbedingt.

tip Und wenn Streit entsteht unter den Kindern?
Heike MolitorEs ist das freie Spiel, und da entsteht auch mal ein Konflikt. Und eigentlich ist die Idee, dass die Kinder das entweder alleine oder in der Gruppe lösen, wie das bei uns früher auch war. Wenn sich Kinder ohne Schranken prügeln, wird sicherlich jemand eingreifen. Aber die Idee ist grundsätzlich zunächst eine andere. 

Heike Molitor ist Professorin für Umweltbildung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) Eberswalde

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