Nachtleben

Mach’s gut, Astro Bar! Vintage-Roboter und die Simon-Dach-Straße

Die Astro Bar in Friedrichshain: eine spacige Retrobar mit DJ-Cockpit, Flipper-Automaten und Vintage-Plastikrobotern über dem Tresen. Sie ist ein Relikt inmitten der Friedrichshainer Fress- und Saufmeile Simon-Dach-Straße, eine gediegene Absturz-Institution, die den Flair aus den Zeiten vor der Totalgentrifizierung des Bezirks verströmte. Am 30. Dezember 2022 ist Schluss mit dem analogen Spaß, dann legt DJ Karel Duba zum letzten Mal das Sixties-Vinyl auf die Plattenteller. Mach’s gut, Astro Bar!

DJ Karel Duba an den Plattenspielern in der Astro Bar, 1999. Foto: Imago/POP-EYE/Morlok
DJ Karel Duba an den Plattenspielern in der Astro Bar, 1999. Foto: Imago/POP-EYE/Morlok

Als die Astro Bar kam, lag Friedrichshain noch im Halbschlaf

Friedrichshain lag in den 1990er-Jahren noch im Halbschlaf. Während in Mitte die Weichen für das Berliner Nachtleben neu gestellt wurden und die Technoszene in riesigen Industrieruinen feierte und in Prenzlauer Berg sich aus Ost und West eine Gesamt-Berliner Boheme neu organisierte, war die Gegend zwischen Boxhagener Platz, Volkspark und dem gewaltigen Areal des ehemaligen Zentralvieh- und Schlachthofs noch wenig gefragt. Die Hausbesetzer zogen zwar schon kurz nach der Wende dorthin, ansonsten dominierte graue Ödnis, hier und da existierten sogar noch einschlägige Nazikneipen. Wer hip sein wollte, wohnte tendenziell woanders.

Doch die zentrale Lage war optimal, die Wohnungen, oft noch mit Kohleöfen und Außen-WC, unschlagbar billig und der Leerstand bot Möglichkeiten. Mitte der 1990er-Jahre gründeten sich also erste Orte, die Friedrichshain auf die Berliner Ausgehkarte brachten. Der Fischladen, Schizzo Tempel und die Russenbar in der Rigaer Straße, das Supamolly in der Jessener Straße, das Lovelite auf der Brache in der Nähe vom Ostkreuz oder das kauzig-hippieske Ambolatorium auf dem RAW-Gelände, das damals noch einem vergessenen Abenteuerspielplatz und nicht einem Disneyland für den Party-Jetset ähnelte.

Das Kosmos-Kino in Friedrichshain, dahinter die unsanierten Wohnhäuser, um 1998. Foto: Imago/Eventpress/Henry H. Herrmann
Das Kosmos-Kino in Friedrichshain, dahinter die unsanierten Wohnhäuser, um 1998. Foto: Imago/Eventpress/Henry H. Herrmann

Friedrichshain war härter, linker und radikaler als die anderen Gegenden im Stadtzentrum und das zog neue Leute an. Studenten, Künstler, Punks und Nichtstuer fühlten sich hier wohl und mischten sich unter die nicht immer freundlich gestimmten Ureinwohner, die dem Spruch „Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer“ nur zu gerne alle Ehre machten.

Die Simon-Dach-Straße war damals eine relativ normale Straße

Die Simon-Dach-Straße war damals eine relativ normale Straße im sogenannten Südkiez, der Gegend zwischen Warschauer Straße und Frankfurter Allee. Den Flohmarkt auf dem „Boxi“, wie man den Boxhagener Platz bis heute nennt, gab es schon, doch die heutigen Ballermannzustände der mittlerweile verkehrsberuhigten Meile waren noch unvorstellbare Zukunftsmusik. Die Blechbilderbar an der Ecke Wühlischstraße gab es zuerst, die Dachkammer folgte irgendwann, und für eine Weile betrieb der Retro-DJ Karel Duba eine Lokalität in einer Erdgeschosswohnung, die er Karel Dubar nannte. Sonst war nicht viel los.

Das Habermeyer in Friedrichshain, eine Bar in rot und retro, 2001. Foto: Imago/David Heerde
Konkurrenz belebt das Geschäft: Das Habermeyer in Friedrichshain, die nächste Retro-Bar in rotem Licht, 2001. Foto: Imago/David Heerde

Irgendwann Ende der 1990er-Jahre bezogen die Leute von der Astro Bar den Gewerberaum in der Hausnummer 40. Sie stellten Plattenspieler, Flipper und Plastikroboter auf und tauchten alles in rotes Licht. Wer Filme wie „Barbarella“ oder „Blow Up“ mochte und Soul, Funk und Sixties-Beat hörte, kam gerne hierher und trank am lange Tresen Bier oder Gin Tonic. Jeden Tag legten andere DJs auf, meist Retro-Sound, immer wieder auch Karel Duba, der in ganz Berlin das Soul- und Sixities-Revival antrieb und für eine Berliner Clubkultur jenseits der elektronischen Tanzmusik einstand. Schon bald eröffneten in der Gegend mit dem Habermeyer (Foto) und der Künstlichen Beatmung weitere Orte, die sich stilistisch mehr oder weniger den Sixties und Seventies verschrieben haben. Heute existieren beide Bars nicht mehr, nur die Astro Bar blieb.

Im Prinzip hat die Astro Bar bis 2022 ihr Konzept nicht verändert

Im Prinzip hat die Astro Bar bis 2022 ihr Konzept nicht verändert. Doch alles drumherum veränderte sich und der analog-groovende Fels in der Brandung wurde von den Wellen der Gentrifizierung umspült. Die Simon-Dach-Straße quoll über vor Cocktail-Lounges mit Happy-Hour-Angeboten, Eisdielen, Spätis, Pizza- und Burgerbuden, asiatischen Restaurants und Boutiquen. Die Mietpreise stiegen an, es wurde jahrelang saniert, die Straße war aufgerissen. Horden von Pub-Crawlern, verstrahlten Clubleichen und erlebnisorientierten Junggesellen zogen marodierend umher. Manchmal kehrten sie auch in der Astro Bar ein – aber sie hielt sich wacker, fast ein Vierteljahrhundert lang.

Damit ist nun Schluss, am 30. Dezember 2022 wird noch einmal gefeiert, Karel Duba steht, wie schon in den 1990er-Jahren, an den Plattentellern, danach werden die Flipper und Roboter eingepackt. Schade. Mach’s gut, Astro Bar!


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