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Interview

35 Jahre Begine: Wie das Frauenprojekt aus einer Hausbesetzung wuchs

Es war nicht alles in Kreuzberg. Auch in Schöneberg gab es in den frühen 1980er-Jahren eine rege Hausbesetzerszene. In diesem Jahr feiert das internationale Frauenkulturzentrum Begine den 40. Geburtstag, das von einer Frauengruppe besetzte Haus in der Potsdamer Straße 139 gehört zu den wichtigsten und langlebigsten Projekten aus jener Zeit.

Zum Jubiläum sprachen wir mit der Begine-Mitbegründerin und Besetzerin der ersten Stunde Manu Hoyer über die Anfänge des Hauses, beschwerliche Sanierungsarbeiten, die Notwendigkeit von Frauenorten und die Frage, weshalb Frauen ein Baugerüst nicht betreten durften.

Zwischendurch muss auch mal Pause sein. Manu Hoyer bei der Sanierung der Potsdamer Straße 139, frühe 1980er-Jahre. Foto: Archiv Begine
Zwischendurch muss auch mal Pause sein. Manu Hoyer bei der Sanierung der Potsdamer Straße 139, frühe 1980er-Jahre. Foto: Archiv Begine

tipBerlin Frau Hoyer, Sie gehören zu den Mitbegründerinnen des interkulturellen Frauenkulturzentrums Begine, dass in einem besetzten Haus in der Potsdamer Straße vor 35 Jahren gegründet wurde. Wie sind Sie zu der Schöneberger Hausbesetzerszene gekommen?

Manu Hoyer Ich bin waschechte Berlinerin, in Tempelhof geboren und aufgewachsen, bin dann nach Charlottenburg gezogen. Durch eine Freundin, die in der Potsdamer Straße 139 wohnte, wo 1986 auch die Begine entstand, kam ich in den frühen 1980er-Jahren dazu. Zu der Zeit war das Haus nicht wirklich bewohnbar, es gehörte der Wohnungsbaugesellschaft Neuen Heimat und war durch jahrzehntelangen Leerstand völlig verrottet.

tipBerlin Wie lief die Besetzung der Potsdamer Straße 139 ab?

Manu Hoyer Der Senat hat Anfang der 1980er-Jahre, auf dem Höhepunkt der Hausbesetzerbewegung, ein Friedensangebot gemacht. Sie hatten zehn Häuser ausgewählt, die sie unterstützten wollten, dadurch wurden die Besetzungen legalisiert und es gab Zuschüsse für eine Sanierung. Dazu gehörte auch die Potsdamer Straße 139. Der Bauträger hat dann mit uns einen Nutzungs- und Modernisierungsvertrag abgeschlossen.

tipBerlin Es war von Beginn an ein Frauenprojekt?

Manu Hoyer Richtig. Wir wollten bezahlbaren Wohnraum schaffen, wo Frauen leben können. Neben Wohnungen gab es einen Bereich, der als Nachbetreuungsraum für Frauen aus dem Frauenhaus genutzt wurde und eine ganze Etage ist bis heute für eine Mädchen-WG reserviert. Vor der Sanierung befanden sich in dem Haus die Büros von Wildwasser, dem Beratungsprojekt für sexuell missbrauchte Mädchen und Frauen, und von Hydra, der Beratungsstelle zu Sexarbeit und Prostitution. Nach dem Abschluss des Modernisierungsvertrages mussten alle aus dem Haus ausziehen, damit mit der Sanierung begonnen werden konnte.

Die Begine entsteht. Foto: Archiv Begine
Die Begine entsteht. Foto: Archiv Begine

tipBerlin Wie wichtig war es, Frauenprojekten innerhalb der Hausbesetzerszene einen Ort zu geben?

Manu Hoyer Das war sehr wichtig, deswegen haben wir das auch gemacht. Es waren ja überwiegend Männer, die Häuser besetzt haben und wir waren neben einem Wohnprojekt in der Liegnitzer Straße in Kreuzberg das einzige Haus, das ausschließlich von Frauen besetzt wurde. 

Begine-Mitbegründerin: „Die Geschichte unseres Hauses verlief friedlicher“

tipBerlin Man hört ja vor allem vom Häuserkampf in Kreuzberg, wie unterschied sich damals die Situation in Schöneberg?

Manu Hoyer Wir hatten Kontakt zu den Kreuzbergern, es war nicht problematisch. Schwierig wurde es, als im September 1981 der Innensenator Heinrich Lummer (CDU) auf dem Balkon eines besetzten Hauses in der Bülowstraße stand, während der Räumung, und dann der Besetzer Klaus-Jürgen Rattay bei Protesten gegen diese Räumung von einem BVG-Bus erfasst wurde und starb. Das hat nicht nur in Schöneberg für große Aufruhr gesorgt. Die Geschichte unseres Hauses verlief aber friedlicher, als bei vielen Häusern in Kreuzberg, weil wir 1982 legalisiert wurden und dort noch viele Besetzungen illegal waren. Deswegen gab es da auch mehr Krawall. 

tipBerlin Wie sahen die Anfangsphase des Hauses und die Sanierungsarbeiten aus?

Manu Hoyer Wir haben von den zehn legalisierten Häusern die höchste Förderung bekommen, eine Million D-Mark. Das lag daran, dass bei uns der Schwamm bis zum Dach ging, weil es im Keller des Hauses früher eine medizinische Badeanstalt gab. Von dieser Million mussten wir die Hälfte durch Selbsthilfe erarbeiten. Zum Anfang waren wir fünf Frauen, wohnen konnten wir dort noch nicht, so sind wir nach unseren normalen Jobs immer ins Haus gefahren und haben gearbeitet. Wir durften nicht alles machen, also waren wir für die Drecksarbeit zuständig. Die Schüttung auf dem Dach beseitigen, den Schutt in die Container packen, und das wurde nach Facharbeiter-Akkordlohn angerechnet.

Sanierungsarbeiten am Hausprojekt, frühe 1980er-Jahre. Foto: Archiv Begine
Sanierungsarbeiten am Hausprojekt, frühe 1980er-Jahre. Foto: Archiv Begine

tipBerlin Nicht gerade üppig.

Manu Hoyer Wir mussten schauen, dass wir die Förderung abarbeiten. Am Ende der Baumaßnahmen sollte noch die Fassade gestrichen werden, das wollten wir selbst machen, um Geld zu sparen. Aber tatsächlich galt damals ein Gesetz, das Frauen untersagte, ein Baugerüst zu betreten. Völlig absurd, das wurde erst 1989 geändert. Also mussten wir eine Firma mit der Sache beauftragen. 

tipBerlin Gab es Solidarität aus der Szene, von anderen Häusern oder Frauengruppen?

Manu Hoyer Es gab Frauen-Workcamps aus Schweden, Italien, Spanien. Da sind Frauen gekommen, wohnten in der einzigen bewohnbaren Wohnung in dem Haus und haben uns geholfen. Die Vernetzung war damals schon sehr intensiv. Das Problem war eher, Firmen zu finden, die sehr lange auf ihr Geld warten konnten, weil der Senat nur alle drei Monate eine Bauabnahme gemacht hat. Erst dann floss das Geld. 1986 waren wir dann endlich fertig.

tipBerlin Und dann entstand auch die Begine?

Manu Hoyer Genau. Nachdem die Wohnungen fertig waren, haben wir die Gewerberäume renoviert und hatten dann die Idee, darin ein Vereinscafé einzurichten. Wir hatten ja den Verein zur Entwicklung neuer Lebensqualitäten für Frauen e.V. gegründet und Gerdien Jonker, eine Holländerin, die damals mit uns aktiv war, wollte einen Ort nur für Frauen schaffen, in dem auch Kultur stattfinden sollte. Anfangs kamen zum Beispiel Frauen aus den Altersheimen in der Nachbarschaft, die bei uns Musik machten. Von Anfang an war es ein Ort nur für Frauen, Männer haben bei uns keinen Zutritt.

Begine von außen: Männer nicht willkommen. Foto: Archiv Begine

Begine ist das einzige Projekt, das übrig geblieben sind

tipBerlin War es der einzige Ort in West-Berlin, der nur für Frauen bestimmt war?

Manu Hoyer Überhaupt nicht. Es gab in Berlin viele Frauenkneipen und auch Diskotheken nur für Frauen. Die Zwei, LQ, Pour Elle, das Lipstick am Richard-Wagner-Platz, das Boccacio, der Blocksberg und das Paramount. Das war eine ganze Szene. Das war nicht neu damals. Heute wirkt es für viele neu, weil wir die einzigen sind, die übrig geblieben sind. Alle anderen haben zu.

tipBerlin Warum gibt es heute in Berlin keine reinen Frauenorte mehr?

Manu Hoyer Die Frauen haben in der Regel weniger Geld und konsumieren auch weniger. Wenn man von einer Kneipe leben muss, dann rechnet sich das nicht. Dadurch haben viele Projekte schon damals an einzelnen Tagen doch Zutritt für alle gehabt, aber letztlich ging es nicht auf. Frauenkneipen hatten keine Chance. Die Begine war als Vereinscafé nicht darauf angewiesen, Profite zu erwirtschaften. Ich habe immer einen ganz normalen Job gehabt, bei der Gewerkschaft, und nach Feierabend machte ich dann ehrenamtlich in der Begine weiter. Heute gibt es etwas Förderung vom Senat, für die Kulturarbeit, die Kneipe ist aber ein eigenständiger Geschäftsbetrieb. Wir haben kürzlich auch eine Sozialarbeiterin einstellen können. 

Veranstaltung in der Begine. Foto: Archiv Begine
Veranstaltung in der Begine. Foto: Archiv Begine

tipBerlin In diesem Jahr feiert die Begine 35 Jahre Bestehen, würden Sie sagen, es ist eine Erfolgsgeschichte?

Manu Hoyer Die Begine ist ein notwendiges Projekt für Frauen. Wir sind ja auch ein Schutzraum. Anfang der 1980er-Jahre gab es an der Potsdamer Straße noch den Straßenstrich und in vielen Häusern Stundenhotels. Die Prostituierten waren glücklich, wenn sie zu uns kamen, um sich aufzuwärmen, etwas zu trinken und einfach mal, um Ruhe zu haben. Aber eigentlich sind wir bis heute für alle Frauen ein Zufluchtsort.


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