Berliner Plätze

Der Hermannplatz und seine Geschichte: Rollkrug, Karstadt, Neue Welt

Der Hermannplatz in Neukölln hat sich im Laufe der Zeit ziemlich verändert. Von einer fast leeren Gegend rund um ein kleines Wirtshaus wandelte sich das Areal zum belebten Zentrum des Ausgeh- und Einkaufsvergnügens, bis es dann wieder ruhiger wurde. Die Geschichte ist vielseitig. Wir nehmen euch mit auf eine Zeitreise über den Hermannplatz.


Der Vorgänger des Hermannplatzes: Platz am Rollkrug

Blick von den Rollbergen auf den Rollkrug und Berlin im Hintergrund, ein Gemälde von Wilhelm Barth. Foto: Archiv Axel Mauruszat

Als die Stadt Cölln im August 1543 Richardsdorf (heute Rixdorf) in Besitz nahm, existierte schon ein Wirtshaus an der Südseite des heutigen Hermannplatzes. Um das Jahr 1737 entstand dort dann das Wirtshaus Rollkrug, das dem Hermannplatz den damaligen Namen „Platz am Rollkrug“ verlieh. Rollkrug leitet sich ab von den Rollbergen, ein eiszeitlicher Höhenzug südlich vom jetzigen Hermannplatz. Lange stand der Rollkrug einsam am Platz, bevor durch die Industrialisierung städtische Bauten um ihn herum aus dem Boden wuchsen – und das kleine Wirtshaus fast fremd wirkte. 


Die Geschichte des Hermannplatzes: Weitere Bebauung und erste Bahnen 

Der Rollkrug um das Jahr 1900, mit Blick auf den Hermannplatz. Foto: Gemeinfrei

Der Platz wurde nach und nach immer weiter bebaut. In einem Situationsplan aus 1862 ist erkennbar, dass an der Ecke Urbanstraße/Hermannplatz ein weiteres Gasthaus Platz fand, eine Apotheke befand sich an der Ecke Hasenheide/Hermannplatz. Nachdem Rixdorf als Vergnügungsviertel nach und nach einen schlechteren Ruf bekam und auch der Rollkrug ein zunehmend schlechteres Ansehen genoss, wurde der Bau 1907 abgerissen. Das Geschäftshaus an derselben Stelle steht seit 1988 unter Denkmalschutz. 


Die ersten Bahnen kreuzen den Hermannplatz

1875 eröffnete die Große Berliner Pferde-Eisenbahn die Linie vom Halleschen Tor bis nach Rixdorf und passierte den Hermannplatz südlich. 1884 kam dann die Linie Spittelmarkt-Rollkrug dazu, die über den Hermannplatz verlief. Fünf Jahre später rollte die erste elektrische Straßenbahn über den Hermannplatz. Die Geschichte der Berliner Straßenbahn könnt ihr hier nochmal genauer nachlesen. 1905 stand sogar die Idee einer Schwebebahn zwischen Gesundbrunnen und dem Hermannplatz im Raum, doch dieses Vorhaben ließ sich nicht verwirklichen.

Im Jahr 1885 wurde der „Platz am Rollkrug“ umbenannt. Über die Namensherkunft ist man sich allerdings uneinig: die einen sagen, der Platz sei wie die Hermannstraße, nach Hermann dem Cherusker benannt, für andere ist der ehemaligen Rixdorfer Gemeindevorsteher Hermann Boddin Namensgeber des Platzes. 


Meilenstein in der Geschichte des Hermannplatzes: die U-Bahn eröffnet

Die U-Bahnstation Hermannplatz zwei Jahre nach der Eröffnung im Jahr 1926. Foto: Archiv Axel Mauruszat

Die bis dato größte Veränderung des öffentlichen Nahverkehrs am Hermannplatz lässt sich auf den 11. April 1926 datieren: Der Platz war jetzt auch mit der U-Bahn erreichbar. Den ersten Bahnsteig konnten Fahrgäste nutzen, um den ersten Abschnitt Hasenheide-Bergstraße der Linie von Wedding bis nach Neukölln zu befahren. Heute verkehrt die U7 auf den Gleisen. Ab dem 17.Juli 1927 ging auch der zweite Bahnsteig in Betrieb. Erst die kurze Strecke von der Boddin- bis zur Schönleinstraße, dann später auch bis nach Gesundbrunnen, womit die Linie den Namen GN-Bahn bekam (Gesundbrunnen – Neukölln), der Vorgänger der Linie U8, deren Geschichte entlang der Stationen es hier zu lesen gibt


Neubau eines Giganten: New York meets Berlin 

Der Dachgarten war durchaus beliebt bei den Berlinern der 1930er-Jahre. Foto: Imago/Arkivi

In den 1920er-Jahren eroberte der Bus zunehmend die Straße und somit wurde der Hermannplatz ein wichtiger Knotenpunkt. Die Karstadt-Unternehmer sahen Potenzial in dem gut angebundenen Standort am Hermannplatz und bauten dort von 1927 bis 1929 das bis dato modernste und größte Warenkaufhaus Europas. Auf neun Stockwerken erschloss sich eine Fläche von 72.000 Quadratmeter, die nicht nur dem Shopping-Erlebnis der Leute dienten, sondern auch ein Schwimmbad, ein Theater, eine Turnhalle und viele verschiedene Restaurants beherbergte. 24 Rolltreppen verbanden die Etagen miteinander, fuhren aber witzigerweise bis eine Stunde vor Geschäftsschluss nur aufwärts und erst dann auch wieder runter. 

Die Hauptattraktion lag allerdings nicht im Kaufhaus, sondern darauf: Auf der 4.000 Quadratmeter großen Dachterrasse spielte nachmittags eine Blaskapelle, während die Besucher:innen dort bei Kaffee und Kuchen zusammensaßen und in 32 Metern Höhe über Neukölln und Kreuzberg blickten. Das Vergnügen auf dem Karstadt-Dach ist Geschichte, aber dafür gibt es andere Orte: Berlins beste Rooftopbars zeigen wir euch hier.

Das Karstadt-Kaufhaus protzte auch mit seiner Beleuchtung. Foto: Imago/Arkivi

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Mit der Muschelkalkfassade erinnerte das Karstadt-Gebäude an New Yorker Hochhäuser, was besonders im Dunkeln bei der Beleuchtung der langen vertikalen Elemente und der beleuchteten zwei Türme deutlich wurde. Und auch heute ist der Big Apple manchmal doch nicht so weit entfernt wie gedacht: Orte, an denen Berlin sich wie New York anfühlt.

Shopping-Paradies auf 72.000 Quadratmeter im neuerbauten Karstadt am Hermannplatz im Jahr 1929. Foto: Archiv Axel Mauruszat

Mit dem Bau des Vorkriegs-Karstadt finanzierte das Unternehmen darüber hinaus auch die Verbreiterung des Hermannplatzes um 20 Meter nach Westen, was dazu führte, dass die Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, die vorher über den Platz verlief, jetzt am westlichen Gebäuderand des Kaufhauses lag. Da der neu gebaute Karstadt in der ersten Etage den Gehweg ein Stück überbaut und somit in Neuköllner Luftraum hineinragt, musste Karstadt eine Gebühr für „Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes“ zahlen, die Ende der 1990er-Jahre bei 15.000 DM lag.


Das Vergnügungsviertel rund um den Hermannplatz

Rund um den Hermannplatz: die Neue Welt 1925. Foto: Archiv Axel Mauruszat

Die Gegend um den Hermannplatz war immer auch ein Vergnügungsviertel, mit dem Start als Platz am Rollkrug und der sogenannten Neuen Welt, die 1880 erstmals erwähnt wurde. Vorerst ein beliebter Biergarten, wurde das Areal am Hermannplatz 1910 zu einem regelrechten Vergnügungspark mit Wasser-Rutschbahn, Marionettentheater und einer Wellenbahn erweitert und umgebaut.

Nach Nutzung als Lazarett im ersten Weltkrieg und Versammlungsort für politische Parteien wurde die Neue Welt 1956 wieder zum Ort für das traditionelle Bockbierfest und Catchveranstaltungen, dem Vorreiter von dem, was wir jetzt unter Wrestling verstehen. In den 1960er-Jahren traten viele Musiker:innen aus Pop, sogar Jimi Hendrix spielte dort seine ersten Konzerte. 

Die Neue Welt wurde in Huxleys Neue Welt umbenannt und konnte ab 1985 als Rollschuhdisco befahren werden. Auch jetzt steht das Huxleys für Konzerte und Veranstaltungen aus verschiedensten Genres und Sparten. Berlin ist ein beliebter Tour-Stopp für viele Musiker:innen und Bands. Was gerade los ist in Berlin, lest ihr bei unseren Konzert-Tipps der Woche.


Bombardierung des Hermannplatzes

Das Karstadt-Kaufhaus nach dem Bombardement am 25. April 1945. Foto: Archiv Axel Mauruszat

Am 21. April 1945 beschoss die Rote Armee den Hermannplatz mit Artilleriegranaten, der gesamte Platz war übersäht von Leichen und Leichenteilen, Menschen schrien vor Schmerz. Der Volkssturm und Freiwillige der Waffen-SS verteidigten den Platz noch einige Tage, bevor Einheiten der 40. Garde-Panzerbrigade den Bereich am 27. April 1945 schlussendlich eroberten. 

Zwar wurde das Karstadt-Gebäude im Zweiten Weltkrieg von Fliegerbomben verschont, trotzdem lag es nach Kriegsende in Schutt und Asche. Bis jetzt ist nicht ganz klar, ob das Gebäude durch eine Sprengung oder Brandstiftung plattgemacht wurde. Sicher ist aber, dass die Waffen-SS das Karstadt-Gebäude am 25. April 1945 gezielt zerstörte, damit die Rote Armee das Gebäude und die Waren im Kaufhaus nicht in die Hände bekamen. Aus 72.000 Quadratmeter Ladenfläche wurde ein 55.000 Kubikmeter großer Trümmerhaufen. Ein kleiner Teil des Gebäudes hat die Zerstörung überstanden und markiert heute noch die Größe des damaligen Kaufhauses. Auch andere Orte in Berlin zeigen noch Narben von den Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs, hier zu sehen.


Hermannplatz im Wiederaufbau – der Karstadt steht wieder

Bereits Ende Juli 1945 begann ein Neuanfang. In dem noch erhaltenen Teil des Warenhauses baute Karstadt ein Provisorium auf, in dem Lebensmittel, Spielsachen, Kleidung und Möbel verkauft wurden. Ab 1950 nahm der Architekt Alfred Busse sich dem Entwurf eines neuen Karstadts an: ein reduzierter vierstöckiger Bau, der an den noch erhaltenen Teil grenzt, eröffnete schon ein Jahr später.


Ende der Straßenbahn-Ära am Hermannplatz

So schnell kann Wiederaufbau gehen: der neue Karstadt, während im Hintergrund noch die Spuren des Kriegs sichtbar sind. Foto: BVG-Archiv

Mit der vermehrten Nutzung von Bussen nahm die Straßenbahn-Ära in den 1960ern ihr Ende, und der letzte Waggon rollte am 1.10.1964 vom Hermannplatz. Über die Geschichte der Berliner Straßenbahn gibt es hier mehr zu lesen. Die Gleise lagen noch bis 1980 nutzlos auf dem Platz, bevor sie dann im Zuge eines weiteren Umbaus des Platzes schlussendlich entfernt wurden. Seitdem wird der Platz hauptsächlich als Marktplatz (Wochenmärkte in Berlin stellen wir euch hier vor) genutzt – oder einfach als Weg zur U-Bahnstation.

Allerdings soll die Straßenbahn wieder zurück zum Hermannplatz kommen: mit der Verlängerung der M10 sollen Neukölln und Kreuzberg direkt an die Linie angebunden, die durch Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Mitte und Moabit fährt.


Das „goldene Tanzpaar“

Das „goldene Tanzpaar“ am Hermannplatz. Foto: Imago/ Pond5 Images

Das „goldene Tanzpaar“ schmückt den Platz seit 1985. Anlässlich der Bundesgartenschau im Britzer Garten sollte auch der Hermannplatz verschönert werden. Die Bronzeplastik, die ein tanzendes Paar abbildet, drehte sich anfangs zweimal stündlich um die eigene Achse, seit Anfang des 21. Jahrhunderts steht die Plastik nun aber still.


Hermannplatz als zunehmend politischer Ort

Mittlerweile hat sich der Hermannplatz zum Versammlungsort für viele Protest-Aktionen entwickelt, hier ein Protest zum Nahost-Konflikt im Mai 2021. Foto: Imago/Achille Abboud

Galt sonst in erster Linie Kreuzberg als der politische Bezirk, in dem Autonome sich zum Beispiel auch zum 1. Mai 1987 Straßenschlachten lieferten, in denen die Polizei sich sogar stundenweise aus SO36 vollständig zurückzog, wurde auch der Hermannplatz zunehmend politisiert. Der erste Ostermarsch nach der Wiedervereinigung endete beispielsweise am Hermannplatz mit einer Kundgebung. Und auch jetzt finden viele politische Proteste am Hermannplatz statt, seien es Kundgebungen zum Nahost-Konflikt oder Veranstaltungen zum Wiederaufbau des Karstadt in den Vorkriegszustand. 

Auch Im Blickfeld des Hermannplatzes hat sich manches verändert. So geht dort die Lucy-Lameck-Straße zwischen Huxleys Neuer Welt und Hermannplatz links von der Hasenheide ab. Vor April 2021 war die Straße nach dem Kolonialverbrecher Hermann von Wissmann benannt, aber der Bezirk machte sich auf die Suche nach einem neuen Namen – und fand die tansanische Politikerin und Frauenrechtlerin Lucy Lameck. CDU, FDP und AfD waren gegen die Umbenennung, die Grünen konnten sich aber in der Bezirksverordnetenversammlung durchsetzen. Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sagte zur Umbenennung: „Als vielleicht vielfältigster Ort der Republik mit Menschen aus 150 Nationen steht Neukölln heute für Diversität, für ein selbstbestimmtes Leben und gegen jede Form von Rassismus. Für diese Werte steht auch das Wirken von Lucy Lameck.“


Was nun?

Die Signa-Gruppe, ein österreichisches Immobilien- und Handelsunternehmen, übernahm den Karstadt und auch andere große Kaufhäuser in Berlin und wollte den Karstadt in den Vorkriegszustand im imposanten Art-Déco-Stil wiederherstellen, um den Hermannplatz aufzuwerten. Auf der anderen Seite positionieren sich Initiativen von Anwohnenden und Gewerbetreibenden gegen die Rekonstruktion, weil sie Mieter:innen mit geringem Einkommen von Verdrängung gefährdet sehen. Anfang 2024 ist die Signa-Gruppe allerdings auch mit dem Standort Hermannplatz insolvent gegangen, weshalb die Restaurationsvorhaben vorerst auf Eis gelegt sind. 


Mehr zum Thema

An den Hermannplatz schließt direkt die Sonnenallee an, die Verkörperung kultureller Diversität in Neukölln. Auch diese hat eine spannende Vergangenheit. Von der Geschichte des Potsdamer Platz erfahrt ihr hier mehr. Eine andere bekannte Straße Berlins ist die Oranien Straße, die sich von der einst bürgerlich jüdisch geprägten Geschäftsstraße zur bunten Kiezmeile entwickelte. Die Müllerstraße trägt ebenso viel Historie in sich. Auch anderswo standen einst besondere Konsumpaläste: Historische Kaufhäuser in Berlin. Ein Blick in die Vergangenheit: Berlin und seine Geschichte.

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