Neustart

Das Jüdische Museum Berlin feiert Wiedereröffnung

Das Jüdische Museum Berlin hat mit Hetty Berg seit April 2020 eine neue Leiterin. Nach fünfjähriger Planungsphase eröffnet am 23. August die neue Dauerausstellung. Ein Blick hinter die Kulissen – und in die Zukunft des Hauses.

Das Jüdische Museum Berlin eröffnet wieder. Das „Familienalbum“ ist eine interaktive Medienwand, an der man sich durch zehn ausgewählte Nachlässe aus dem Bestand des Hauses klicken kann. Foto: Yves Sucksdorff
Wiedereröffnung des Jüdischen Museums Berlin: Das „Familienalbum“ ist eine interaktive Medienwand, an der man sich durch zehn ausgewählte Nachlässe aus dem Bestand des Hauses klicken kann. Foto: Yves Sucksdorff

Mit Ausstellungseröffnungen hat das Jüdische Museum Berlin kein Glück. Der Libeskind-Bau sollte am 11. September 2001 für Besucher*innen freigegeben werden. Durch die Anschläge von New York wurden die ersten Gäste erst zwei Tage später in das zickzackförmige Gebäude des amerikanischen Star-Architekten gelassen. Dieses Mal war es die Corona-Pandemie, die die fristgerechte Fertigstellung der neuen Dauerausstellung verhinderte. Fachleute aus dem Ausland konnten zwischenzeitlich nicht anreisen, Ausstellungsobjekte nicht fristgerecht versandt werden. Statt im Frühjahr wird das Museum nun mitten im Hochsommer eröffnet.

Die Wiedereröffnung am 23. August markiert das Ende einer fünfjährigen ebenso aufregenden wie turbulenten Zeit. Während man hinter verschlossenen Türen an der Neukonzeption der wichtigsten Ausstellung arbeitete, wurde in der Öffentlichkeit über Monate der Führungsstil des Hauses diskutiert. Dabei ging es um die schwierige Balance zwischen jüdischer Repräsentation, politischer Position und wissenschaftlicher Freiheit.

Das Jüdischen Museum Berlin feiert Wiedereröffnung nach turbulenten Jahren

Der geschiedene Leiter Peter Schäfer, der Professor für Judaistik an der Freien Universität Berlin war und das Fachgebiet dort etablierte, wurde von jüdischer Seite scharf kritisiert. Die Wechselausstellung „Welcome to Jerusalem“ (2017–2019), so der Tenor, hätte ein zu einseitiges, zu israelkritisches Bild gezeichnet. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als ein missverständlicher Tweet zur BDS-Kampagne vom Museumsteam geteilt wurde. Es folgte eine Welle der Empörung. Um das Haus in Schutz zu nehmen, entschied sich Schäfer im Juni 2019 freiwillig zu gehen. Bereits im Januar hatte auch die unter Schäfer engagierte Programmdirektorin Léontine Meijer-van Mensch das Jüdische Museum verlassen.

Vielleicht wäre die Führungsvakanz gravierender ins Gewicht gefallen, hätte man sich nicht auf Cilly Kugelmann verlassen können. Die Hauptkuratorin der neuen Dauerausstellung ist längst selbst zur Institution avanciert, auf ihre langjährige Erfahrung konnte man sich ebenso verlassen wie auf ihren soliden Ruf.

Während das Kreuzberger Haus die Führungskrise managen musste, arbeitete sie mit dem insgesamt mehr als 20-köpfigen Kurator*innen-Team an der neuen Dauerausstellung. Kein Wunder, dass jetzt vor allem diese Gemeinschaftsleistung hervorgehoben wird. Das Wir-Gefühl soll die Krise überschatten und Aufbruch signalisieren.

Hetty Berg übernahm die Leitung des Jüdischen Museums Berlin von Peter Schäfer. Foto: Yves Sucksdorff
Hetty Berg übernahm die Leitung von Peter Schäfer. Foto: Yves Sucksdorff

Berg ist die erste Frau an der Spitze des Jüdischen Museums Berlin

Aufbruch signalisiert auch Hetty Berg. Die Niederländerin leitete zuletzt das Jüdische Kulturviertel in Amsterdam. Seit dem 1. April ist sie nach Schäfer und W. Michael Blumenthal, der das Haus als Gründungsdirektor bis 2014 führte, die erste Frau an der Spitze der Berliner Institution. Bergs Antritt war ebenso merkwürdig wie Schäfers plötzlicher Abgang, was allerdings der weltweiten Pandemie geschuldet ist.

„Die meisten Mitarbeiterinnen arbeiteten die ersten Wochen nach meinem Antritt im Homeoffice, sodass ich sie nur virtuell kennenlernen konnte. An meinem ersten Tag habe ich zur Konferenz eingeladen und saß allein einer Kamera gegenüber, das war sehr ungewohnt. Doch ansonsten wurde ich herzlich von einem ebenso engagierten wie dynamischen Team begrüßt“, sagt Berg auf die frische, herzliche Art, wie sie in Holland üblich ist.

Mit der Zeit hat sich der anfängliche Fluch allerdings als Segen entpuppt. Durch die Aussetzung der meisten Museumsangebote hatte Berg Zeit, Mitarbeiterinnen und Strukturen im Haus kennenzulernen. Und natürlich die Stadt, die jetzt ihre neue Heimat ist.

So sieht der neugestaltete Eingangsbereich des Jüdischen Museums Berlin aus. Foto: Yves Sucksdorff
So sieht der neugestaltete Eingangsbereich des Jüdischen Museums Berlin aus. Foto: Yves Sucksdorff

„Langsam nehme ich auch wieder repräsentative Aufgaben wahr“, sagt sie. Dazu zählt, sich mit den Leiterinnen anderer Berliner Institutionen auszutauschen. Mit ihrem Landsmann Paul Spies, dem Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, hat sie sich bereits getroffen. Und auch mit Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, über deren Zerschlagung zuletzt diskutiert wurde. Zugleich traf sich Berg mit Repräsentantinnen der Jüdischen Gemeinde Berlin.

Repräsentation ist ein riesiges Thema

Die Tatsache, dass Berg einer jüdischen Familie entstammt, kommt bei der Gemeinschaft gut an. Dass die neue Leitung jüdisch ist, hatte sich diese nach Schäfers Abgang auch gewünscht. Ein Wunsch, der vom Stiftungsrat unter Leitung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) offensichtlich beherzigt wurde.

Dass Repräsentation ein riesiges Thema ist, musste indes auch Grütters erfahren: Einen Vertreter des israelischen Staates im Beirat des Jüdischen Museums lehnte sie im September 2019 freundlich, aber bestimmt ab. Immerhin sei das Jüdische Museum eine staatliche Institution, die sich mit der Geschichte der Juden in Deutschland auseinandersetzt. Und keine, die israelische Interessen vertritt.

Auch wenn die neue Dauerausstellung jetzt unter Berg eingeweiht wird, ist ihr unmittelbarer Einfluss auf selbige marginal. Dafür ist sie einfach erst zu kurze Zeit in Berlin. Die Entscheidung, die Dauerausstellung zu überarbeiten, wurde bereits vor vielen Jahren getroffen und hatte mehrere Gründe.

Zunächst hatte die alte Dauerausstellung ihre Halbwertszeit erreicht. Die Berliner*innen kannten sie, was sich insbesondere an den kontinuierlich zurückgehenden Besucherzahlen aus der Region zeigte. Das Museum wurde infolgedessen immer stärker von Touristen frequentiert – was zwar honoriert wurde, auch wenn man sich mehr Berliner*innen gewünscht hätte. Zudem fehlte mit der Zeit nach 1945 eine wichtige geschichtliche Epoche. Umfragen zeigten außerdem, dass viele Besucher*innen stärker noch an jüdische Traditionen herangeführt werden wollten.

Jüdisches Museum Berlin: Um den Schabbat als Zeit der Ruhe und Kontemplation geht es im letzten Teil des Ausstellungsraums „Gebot und Gebet“. Foto: Yves Sucksdorff
Um den Schabbat als Zeit der Ruhe und Kontemplation geht es im letzten Teil des Ausstellungsraums „Gebot und Gebet“ im Jüdischen Museum. Foto: Yves Sucksdorff

Die Kurator*innen haben diese Besucherbefragungen offenbar ernst genommen. Das merkt man bei einem Rundgang durch die neue Dauerausstellung deutlich. Der chronologische Aufbau von den ersten jüdischen Gemeinschaften, die sich im 9. Jahrhundert in Deutschland etablierten, über die frühe Neuzeit bis zur Vernichtung, der Shoah, ist geblieben.

Neue Themenräume im Jüdischen Museum Berlin: Facelift und Monumentalkunst

Neu sind die Themenräume, die ausgewählte Aspekte vertiefen. Gleich hinter dem bereits aus der alten Dauerausstellung bekannten „Wunschbaum“, der ein Facelift bekommen hat, wird die Tora als zentrales Glaubenswerk in den Fokus gerückt. Einigen dieser Themen wird sich klassisch-wissenschaftlich genähert, anderen über einen künstlerischen Zugang. So im Fall von Anselm Kiefers monumentalem Kunstwerk „Schewirat ha-Kelim“ („Bruch der Gefäße“), das ebenso geheimnisvoll wirkt wie die thematisierte Kabbala, eine mystische Tradition, die durch Hollywood-Stars wie Madonna in der Popkultur zuletzt eine Renaissance erlebte.

Mehrfach wird hinterfragt, was das Jüdischsein eigentlich bedeutet. Gibt es etwa so etwas wie jüdische Kunst, jüdischen Humor, jüdischen Klang? Um Musik geht es auch in der Auseinandersetzung mit Richard Wagner, der trotz seiner antisemitischen Ressentiments von vielen deutschen Jüdinnen und Juden geschätzt, teils zelebriert wurde. Welche Bedeutung der Komponist hat(te), diskutieren etwa Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, und Dirigentenlegende Daniel Barenboim in aufgezeichneten Videointerviews.

Nüchtern, aufgeräumt, klar strukturiert

Im Vergleich zum Jüdischen Museum in Warschau, das mit seinen teils riesigen Exponaten beeindruckt – darunter die reich verzierte Gewölberekonstruktion der hölzernen Hwisdezener Synagoge – wirkt die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin aufgeräumter, klarer, aber auch nüchterner und weniger opulent. Das Kurator*innenteam setzt auf moderne Technik, großflächige Projektionen und interaktive Stationen, vor allem in den Epochen, aus denen wenige, originale Sammlungsstücke überliefert sind.

Andererseits werden rund 1.000 Exponate gezeigt, von denen 70 Prozent aus der eigenen Sammlung stammen. Die ist in den vergangenen Jahren durch Schenkungen kontinuierlich angewachsen. Welch wertvoller Schatz mittlerweile im größten jüdischen Museum Europas lagert, zeigt sich am „Familienalbum“, einer interaktiven Touchscreen-Wand, an der man sich durch zehn ausgewählte Familiennachlässe klicken kann.

Die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin befindet sich im Libeskind-Bau, der 2001 eröffnet wurde. Foto: Jens Ziehe
Die neue Dauerausstellung befindet sich im Libeskind-Bau, der 2001 eröffnet wurde. Foto: Jens Ziehe

„Wir sind kein Holocaust-Museum“, betont Hetty Berg, die in diesem Punkt wohl der Linie ihres Vorgängers treu bleiben wird. Und doch ist die Shoah die wichtigste, die einschneidendste Zäsur in der deutsch-jüdischen Geschichte. Die Kuratorinnen nähern sich der von der NS-Diktatur organisierten Massenvernichtung über einen jüdischen Blickwinkel. Von der Decke hängen riesige Plakate, auf denen sämtliche antijüdische Gesetze notiert sind, die seit 1933 erlassen wurden. Je tiefer man in diese dunkle Epoche eindringt, desto enger stehen die metallenen Wände. Den Besucherinnen wird buchstäblich der Weg abgeschnitten. In Yad Vashem, dem großen israelischen Holocaustmuseum, werden am Ende des Rundgangs Videos gezeigt von Leichenbergen. In Berlin hat man sich für einen anderen Weg entschieden. Hier flimmern Videoschnipsel von Überlebenden über die Leinwand, die sich in Siegerposen ablichten ließen. Das Judentum, es konnte nicht endgültig ausgelöscht werden, so die Botschaft.

Dass dieses über die Jahzehnte zumindest zart wieder aufblühen konnte, ist den Shoah-Überlebenden, die in Deutschland blieben, ebenso zu verdanken wie den jüdischen Migrant*innen aus der ehemaligen UdSSR, die in den 90er-Jahren kamen, sowie den vielen Tausenden Israelis, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in Berlin eine Heimat gefunden haben. Sie sind es letztlich auch, die in der Schluss-Installation „Mesubin“ von Yael Reuveny und Clemens Walter zu Wort kommen und darin ihr Jüdischsein im 21. Jahrhundert reflektieren.

Ein Diskussionsraum für antisemitische Entwicklungen

Der Rechtsruck in der Politik indes, das Erstarken identitärer Bewegungen und der Anschlag von Halle (2019) als seine drastischste Ausformung werden allesamt nicht abgebildet. Raum, diese erschreckenden Entwicklungen zu diskutieren, bietet ein Séparée, in dem antisemitische Entwicklungen in der Gesellschaft diskutiert werden sollen. Vor allem Schulklassen, so wünscht sich das Museumsteam, sollen so das Judentum ebenso kennenlernen wie die gesellschaftlichen Gefahren von Antisemitismus.

Der 23. August ist für das Museum ein großer Tag. „Auch wenn es natürlich schade ist, dass pandemiebedingt die großen Feierlichkeiten ausfallen müssen“, so Berg, auf die bereits die nächsten Herausforderungen warten. Im November wird mit „Anoha“ endlich das Kindermuseum eröffnen. Das soll nicht nur Heranwachsenden die jüdische Themenwelt näherbringen, sondern auch als Familienzentrum zum Anlaufpunkt für Kreuzberger Familien avancieren.

Und es wird auch schon an den nächsten Wechselausstellungen gearbeitet, an denen sich Bergs Einfluss auf das Museum dann auch zeigen werden. „Wir werden den Fokus stärker auf Berlin richten“, sagt die neue Leiterin. Man kann gespannt sein, was da kommt.

  • Jüdisches Museum Berlin Lindenstraße 9–14, Kreuzberg, Wiedereröffnung am 23. August 2020, tägl. 10–19 Uhr, Karten: 8, erm. 3 Euro, www.jmberlin.de

Jüdisches Berlin entdecken

In Berlin gibt es heute wieder ein vitales jüdisches Leben. Das sind die wichtigsten Orte des jüdischen Lebens in Berlin. Unser Autor Patrick Wildermann hat 2015 recherchiert, warum so viele Israelis nach Berlin kommen – und was sie hier schätzen.

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