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Situation der Theater

Thomas Ostermeier über den Lockdown: „Lassen wir die Theater jetzt lieber zu!“

Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne, plädiert für den Lockdown der Theater, auch wenn dieser wehtut. Im Sommer will er durchspielen. Protokoll: Anna Fastabend

Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne, plädiert für den Lockdown der Theater. Foto: Imago Images/Galuschka

Schon bevor der neue Lockdown  verkündet wurde, gab es auf meinen Proben den Witz, dass wir mit „Das Leben des Vernon Subutex 1“ sowieso nicht rauskommen. Trotzdem ist es natürlich schmerzhaft, wenn so ein Szenario Realität wird. Auch weil wir mit der Produktion schon zum zweiten Mal an die Wand knallen. Beim ersten Mal war es nicht ganz so schlimm, da hatten wir noch fünf Wochen bis zur Premiere, jetzt waren es nur noch fünf Tage, das ist schon schlimmer.

Besonders leid tut es mir für mein tolles Ensemble, für das dieses ständige Hin und Her absolut frustrierend ist. Deshalb hatten wir am Samstag auch unsere Belegschaft eingeladen, wir wollten nicht komplett ungesehen in den Lockdown gehen.

Ostermeier über den Lockdown: „Ich finde diese ständige Konfrontation mit neuen Situationen ziemlich belastend“

Dieser Abend über den gesellschaftlichen Abstieg eines Plattenhändlers hätte so gut in diese Zeit gepasst! Schließlich werden die sozialen Verwerfungen durch Corona gerade deutlicher und bringen, um es mit Autorin Virginie Despentes zu sagen, vermutlich noch eine ganze Menge gescheiterte Existenzen mehr hervor. Wir hätten das Ganze im Geiste der Musik erzählt, von einer grandiosen Band begleitet, die Sonic Youth, Dead Kennedys, The Cramps und Pixies neu interpretiert hätte. Doch das wird jetzt alles nichts, zumindest nicht bis Ende November…

Aber genügen ein paar Wochen wirklich, um die rasant steigenden Infektionszahlen zu senken? Oder wird dann kurz vor knapp entschieden, dass alles weiter geschlossen bleiben muss? Und wenn wir wieder öffnen dürfen, was bringen wir raus: die Inszenierungen, die wir im Dezember geplant hatten oder stattdessen die nachgeholte Premiere und drei Wochen en-suite „Subutex“?

Ich finde diese ständige Konfrontation mit neuen Situationen ziemlich belastend, auch weil man die Beschäftigten ja nicht von heute auf morgen in die Kurzarbeit schicken kann. Die Dienstpläne sind geschrieben, da geht uns also Geld verloren. Aber so richtig brutal wird es bei den Gastspielen. Normalerweise spielen wir im Jahr mindestens in 20 verschiedenen Ländern und nehmen da um die 2,5 Millionen Euro ein. Dieses Geld ist jetzt weg, das ersetzt uns niemand.

„Im angelsächsischen Raum ist die Lage besonders dramatisch“

Und das wird in den kommenden Jahren erst recht zum Problem, weil ich nicht davon ausgehe, dass unsere Partner im Ausland so schnell wieder auf die Beine kommen. Im angelsächsischen Raum ist die Lage besonders dramatisch. West End und Broadway, aber auch die Theater und Festivals in Frankreich, Spanien und Italien kämpfen ums Überleben.

Wenn man mich fragt, ob die Theaterschließungen verhältnismäßig sind, kann ich das nicht beantworten, ich bin kein Spezialist. Doch was ich mit ziemlicher Sicherheit weiß: Wenn wir im Dezember wieder spielen, stehen wir spätestens im Februar vor einem neuen Lockdown. Ich habe schon beim ersten Mal dafür plädiert, nicht so früh wieder aufzumachen, doch ich konnte mich nicht durchsetzen. Und auch jetzt denke ich, dass eine vorausschauende Entscheidung die beste Lösung wäre. Also: Lassen wir die Theater jetzt lieber zu und spielen im Sommer durch!


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