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Architektur

Das Sony Center ist Berlins enttäuschendstes Bauwerk – und genau die Architektur, die wir jetzt brauchen

Was geschieht, wenn man 600 Millionen Euro in die Hand nimmt, um damit eine klaffende Lücke zu füllen? Der Stadt Berlin ist auf diese Weise das Sony Center am Potsdamer Platz passiert. Am 14.6.2000 wurde Helmut Jahns postmoderne Koloss am Potsdamer Platz eröffnet. Der Versuch, die Innenstadt mit Glas und Beton zu reanimieren, konnte ja nur misslingen. Zum 20. Geburtstag kann man aber auch vorsichtig loben: Vielleicht wird ja noch was draus.

Gilt das schon als Wahrzeichen? Das Dach des Sony Centers und der Bahntower. Foto: Imago Images/Brigani-Art

Denn die Bombenkrater, pardon, Fußstapfen, in die das Sony Center treten sollte, sind ohnehin zu groß. Der gesamte Potsdamer Platz war einst Inbegriff des pulsierenden Lebens, zwischen klassizistischen Palästen und modernen Bürofestungen wie dem Columbushaus ein Metropolen-Märchenpark. Ein dauerhafter Aufbruch unter nie erlöschenden Leuchtreklame-Bändern.

Nächtlicher Blick vom Potsdamer Platz auf die Stresemannstraße, 1932. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-13681 / CC-BY-SA 3.0
Nächtlicher Blick vom Potsdamer Platz auf die Stresemannstraße, 1932. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-13681 / CC-BY-SA 3.0

Sony Center: Die Stimmung ist gespenstisch

Bis der Krieg kam, und das zertrümmerte Areal jahrzehntelang brach lag. Der Potsdamer Platz war kein Zentrum mehr, sondern Peripherie, eine städtische Steppe, hinter der man nur noch auf die Berliner Mauer stieß.

Gerade diese gespenstische Stimmung hat der fulminante Wiederaufbau des Areals in den 1990er-Jahren bewahrt, was ja auch eine Leistung ist. Der Potsdamer Platz ist so atmosphärisch wie die Vapiano-Filiale, die es dort mittlerweile nicht mehr gibt. Und so steril, dass man sich ins Marzahner Eastgate träumt, um etwas zu spüren.

Der Potsdamer Platz am 24.3.2020: Fast völlig verlassen in der Hochphase der Pandemie. Foto: Imago Images/Klaus Martin Höfer

Im „Abriss-Atlas Berlin“ (Mitte Rand, 2018), eines der visionärsten Bücher, das je über diese Stadt geschrieben wurde, heißt es, man fühle sich wie in der Themenecke „Die Großstadt“ in einer Modelleisenbahnanlage. Auch der behauptete Wahrzeichen-Charakter des Sony Centers lässt sich nicht einlösen. Das merkt man am besten an Filmproduktionen in Berlin, die dann doch lieber aufs Brandenburger Tor oder den Alexanderplatz ausweichen.

Das Sony Center entspricht den Anforderungen, finden die Besitzer

So künstlich und öde ist die Gegend, dass es sogar den aktuellen Besitzern des Sony Centers schwerfällt, glaubwürdig enthusiastisch zu klingen. In einer Pressemitteilung zum Jahrestag der Eröffnung am 14.6. schreibt Oxford Properties: „Es ist das Verdienst Helmut Jahns, dass der Entwurf des Sony Centers sich sehr gut in Berlins Mitte und den Potsdamer Platz einfügt, den städtebaulichen Anforderungen entspricht und dem Gebäudeensemble ein einzigartiges, künstlerisches Antlitz verleiht.“ Das Sony Center sei „in der Hauptstadt bestens etabliert“, heißt es zuvor. Kurz: Passt schon.

Aber man sollte froh sein über ein Lebenszeichen von diesem Ort, den die Menschen in Berlin in diesem Jahr leicht hätten vergessen können. Das Kino war pleite, die Berlinale eine andere Spielstätte suchen.

Und mit der Pandemie kam die Leere. Das Filmmuseum: geschlossen. Die Hotelgäste: fort. Nachbarn: Leben hier nicht. Schließlich sind die 67 Wohneinheiten nicht mit Kiezgedanken im Hinterkopf gebaut worden – und sowieso das letzte, auf das die stolzen Eigentümer hinweisen.

Abstand und frische Luft: Das Sony Center ist perfekte Hygiene-Architektur

Doch zum 20. Jahrestag der Eröffnung sollte man das verkannte Bauensemble würdigen. Schließlich könnte es versehentlich seine wahre Bestimmung gefunden haben. Dieses unvollkommene Zwischenreich ist genau das, was wir brauchen: Hygiene-Architektur.

Das Sony Center ist der perfekte Raum für öffentliches Leben in der Pandemie: groß, leer, sauber und überdacht. Foto: Imago Images/STPP
Das Sony Center ist der perfekte Raum für öffentliches Leben in der Pandemie: groß, leer, sauber und überdacht. Foto: Imago Images/STPP

Denn das vielgerühmte Dach, das zwar Regen abhält, aber die schärfsten Winde durchlässt, ist keine sinnlose Spielerei mehr. Diese Illusion eines Innenraums ist durchlüftet genug, um die Infektionsgefahr gering zu halten.

Und dieser gepflegte Fußboden, der eh wie frisch desinfiziert wirkt, ist der positive Gegenentwurf zu Zecken und Grasflecken. Keine Abfallberge, wie sie sich derzeit in den Parks türmen, und keine Hundehaufen. Ein Draußen ohne Draußen.

Und dann die milden Beklemmungsgefühle an diesem Ort, dessen Motto dauerhafte Durchreise zu sein scheint. Hier eingemietet haben sich WeWork, die Deutsche Bahn und Facebook. Und auch das Forum wirkt wie eine Fernbahnhofshalle.

Hier fällt man Fremden nicht in die Arme, lernt niemand kennen und ist sowieso skeptisch anderen Menschen gegenüber – denn was für einen Grund sollten sie haben, überhaupt herzukommen? Abstand hält man da automatisch.

Eigentlich könnte es dort richtig schön sein

Helmut Jahns großes Werk könnte ein Beispiel sein für Architektur, wie es sie mehr geben sollte. Halb öffentlicher Raum, überdacht, durchlüftet, großflächig und anonym. Stadtgeschehen unter Corona-Bedingungen. Das Forum des Sony Centers wäre der perfekte Biergarten und ein idealer Konzertsaal.

„Wir möchten das Sony Center zur attraktivsten Immobilie Deutschlands machen, die alle Anforderungen der modernen Arbeitswelt erfüllt und für internationale Talente, innovative Unternehmen, Berliner und andere neugierige Besucher gleichermaßen anziehend ist“, sagt Abigail Shapiro von Oxford Properties zu ihren Plänen.

Es wird Zeit, dass das Sony Center sich emanzipiert

In einem an die Marketingkampagne angeschlossenen Podcast namens „What’s Next, Berlin?“ soll es gleich um die Zukunft des Bauensembles und die großen Erwartungen an diese Stadt – also ihre Büroflächen – gehen.  

Aber zum 20. Geburtstag kann man das Sony Center daran erinnern, dass etwas Großes oft mit der Enttäuschung der eigenen Eltern beginnt. Und um dem Sony Center zu gratulieren, könnte man ausnahmsweise hingehen, statt es nur immer nur zu ignorieren. Uns steht ohnehin der Pop-up-Sommer bevor, vielleicht sogar eine ganz neue Freiluftkultur – das Sony Center ist dafür aus Versehen der perfekte Ort.


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