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Kommentar

Keine Termine in Berlins Bürgerämter: Das ist sehr fahrlässig, lieber Senat

Die Bürgerämter in Berlin haben in den nächsten zwei Monaten kaum freie Termine und schicken Bürger*innen, die unbedingt einen brauchen, auf eine kafkaeske Telefon-Odyssee. Als Folge können manche Bürger*innen Behörden keinen gültigen Ausweis vorlegen. Das ist fahrlässig, weil es die Menschen unterschiedlich hart trifft und jene, die diskriminiert werden, noch mehr einer möglichen Diskriminierung preisgibt. Ein Kommentar von Xenia Balzereit

Die Bürgerämter in Berlin handeln fahrlässig, indem sie kaum Termine vergeben
In den nächsten Monaten einen Termin bei einem Berliner Bürgeramt zu bekommen, scheint schier unmöglich. Foto: imago images/Schöning

Ohne ein schlechtes Gefühl zu einer Demo gehen? Mit dem Zug die Verwandten in einer anderen Stadt besuchen, ohne fürchten zu müssen, in eine Diskussion mit der Polizei zu geraten? Ins Ausland fahren? Für Berliner*innen, die gerade ihren Ausweis verloren haben oder die keinen gültigen besitzen, weil er abgelaufen ist – und warum auch immer keinen aktuellen Reisepass haben –, ist das gerade schwer möglich.

Berliner Verwaltung oder Kafkas „Prozess“?

Verantwortlich für diese missliche Lage sind die Berliner Verwaltung und die Landespolitik. In Deutschland herrscht Ausweispflicht. Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, keinen gültigen Ausweis haben, können ihr derzeit in Berlin nicht nachkommen: Auf der zentralen Buchungsseite bei berlin.de gibt es im ganzen Juli und August keine freien Termine bei den Bürgerämtern, für September sind noch keine angesetzt.

Laut einem Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres stellen die einzelnen Bürgerämter am Anfang der einzelnen Werktage, der Wochen und der Monate zwar kurzfristig Termine ein, doch auch die sind immer binnen kürzester Zeit vergeben. Wenn man dort keinen Termin ergattere, rät der Sprecher dazu, die zentrale Servicenummer der Verwaltung, die 115, zu wählen. Oder direkt bei den Bürgerämtern anzurufen, die Nummern stünden auf den Serviceseiten der Ämter.

Das Problem: Weder funktioniert die 115 (dort ertönt das Besetztzeichen anstatt der Warteschleife), noch finden sich auf den Serviceseiten die jeweiligen Nummern der Bürgerämter. Dort steht wieder nur die 115. All das mutet so kafkaesk und absurd an, dass man sich nicht wundern bräuchte, wenn die Menschen den Ämtern irgendwann hysterisch lachend die Bude einrennen würden. Das aber ist streng verboten: Man solle bloß nicht ohne Termin kommen, „um unkontrollierte Kundenströme zu vermeiden und damit das Infektionsrisiko zu minimieren“, sagt der Sprecher der Senatsverwaltung. Ha!

Eine Farce, die teuer werden kann

Angesichts dieser Farce hilft es wenig, dass die Ämter Pass- und Personalausweisangelegenheiten vorrangig behandeln und kein Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Ausweispflicht einleiten, wenn der Ausweis nach dem 1. März 2020 abgelaufen ist. Denn wer seinen Ausweis blöderweise einfach nur verloren hat, muss theoretisch trotzdem mit einem Bußgeld von 5.000 Euro rechnen. Als wäre das ganze Neu-Beantragen nicht schon Strafe genug.

Auch weil Verwaltung und Politik sich mal zum Ziel gesetzt hatten, die Anliegen von Bürger*innen innerhalb von zwei Wochen zu bearbeiten, wirft das Ganze ein schlechtes Licht auf die Berliner Behörden. Joachim Klinnert aus Moabit zum Beispiel hat nach einem rbb-Bericht allein zwei Wochen lang online versucht, einen Termin beim Bürgeramt zu bekommen. Als er beim Bürgeramt anrief, sagte man ihm nur, er müsse online einen Termin vereinbaren.

Es ist zu bequem, alles auf Corona zu schieben

Natürlich läuft jetzt, in der Corona-Zeit, nicht alles rund. Und man sollte auch der Verwaltung nachsehen, wenn Dinge länger dauern. „Der Infektionsschutz für Mitarbeitende und Kundinnen und Kunden [hat] oberste Priorität. Die aktuellen Arbeitsplatzkapazitäten in den Bürgerämtern richten sich weiter nach den individuellen räumlichen Gegebenheiten vor Ort und können nur unter Berücksichtigung aller arbeitsmedizinischen Vorgaben und Schutzvorschriften erweitert werden“, so der Sprecher den Senatsinnenverwaltung. 

In der Hochphase der Pandemie in Deutschland waren 50 Prozent der Bürgerämter ganz geschlossen. Das war, angesichts der Fallzahlen im März und April, vernünftig. So konnte das Ansteckungsrisiko verringert werden. Doch dass Bürger*innen nun monatelang mit ihren Anliegen allein gelassen werden, ist fahrlässig. Außerdem ist es verdammt bequem von der Verwaltung, wenn sie jetzt alles auf die Corona-Pandemie schiebt. Laut der Senatsinnenverwaltung konnten die Kapazitäten in den Bürgerämtern unter Berücksichtigung der Corona-Regeln zuletzt auf durchschnittlich 88 Prozent hochgefahren werden. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer.

In Deutschland herrscht Ausweispflicht. Foto: imago images/Christian Ohde

Denn die Probleme mit den Terminen bei den Bürgerämtern sind so alt wie der Wald. Im August 2019 schlug Innensenator Andreas Geisel (SPD) wegen langer Wartezeiten Alarm, 69 Vollzeitstellen waren da unbesetzt. 2018 warteten Eltern wochenlang auf die Geburtsurkunden ihrer Kinder, 2016 machte der hohe Krankenstand in den Bürgerämtern (ein Drittel der Beschäftigen) Schlagzeilen. Und einige Jahre vorher bekam Berlin den inoffiziellen Titel „failed state“, weil das Land nicht gewährleisten konnte, dass die Bürger*innen ihre gesetzlichen Pflichten erfüllten. Klar ist aber auch: Menschen, die ihre Termine nicht wahrnehmen, ohne sie vorher abzusagen, tragen ihren Teil zur Situation bei.

Trotzdem ist es ein Problem, wenn Menschen wochen- und monatelang keinen Ausweis haben. Und Politik und Verwaltung sind verpflichtet, es zu lösen. Vor allem, weil es sie unterschiedlich hart trifft, wenn sie keinen zeigen können, wenn die Polizei es verlangt.

Keinen Ausweis zu haben, trifft die Menschen unterschiedlich hart

Entgegen der landläufigen Meinung bedeutet Ausweispflicht nicht, dass man seinen Perso immer dabei haben muss: Man muss nur einen besitzen. Für Prostituierte, Mitarbeiter*innen der Fleischindustrie und der Gebäudereinigung oder Menschen, die auf dem Bau arbeiten, gilt das allerdings nicht. Sie müssen ihren Ausweis bei der Arbeit mit sich führen, weil ihre Branchen besonders stark von Schwarzarbeit betroffen sind. Es macht bestimmt Spaß, der Bauaufsicht oder anderen Staatsvertreter*innen zu erklären, dass man keinen Ausweis hat, weil die Berliner Verwaltung nicht hinterherkommt.

Noch unangenehmer könnte es für PoC werden, die ihren Ausweis nicht zeigen können, wenn die Polizei sie auf Demos oder an Bahnhöfen kontrolliert. Wer sich auf Demos nicht ausweisen kann, den können die Beamt*innen mit auf die Wache nehmen, um ihre Identität festzustellen. Keine schöne Vorstellung für Menschen, die ohnehin schon unverhältnismäßig oft allein wegen ihrer Haut- oder Haarfarbe kontrolliert werden. Denen unterstellt wird, sie dürften sich gar nicht in Deutschland aufhalten, weil sie aussehen, wie sie aussehen. Angesichts der offenkundig rechten Einstellung mancher Polizeibeamt*innen dürfte die Zeit auf der Wache für viele auch nicht rosig werden.

Racial Profiling ist ein Problem dabei

Denn auch wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) meint, Deutschland brauche keine Studie zu Racial Profiling und die Augen davor verschließt wie ein kleines Kind, das denkt, man findet es beim Versteckenspielen nicht, wenn es nur die Augen zu macht: Racial Profiling is a thing. Rassistische Polizeibeamt*innen, die mit PoC unverhältnismäßig hart umgehen, auch. Berichte von Augenzeug*innen und Betroffenen belegen das. Und wer mit offenen Augen durch die Welt geht, weiß es auch, ohne die Berichte zu kennen.

Also, liebe Bürgerämter: Kommt bitte schnell wieder auf die Beine und tut alles dafür, dass möglichst viele Menschen möglichst schnell Termine kriegen. Keinen Ausweis zu haben ist schon für Bio-Deutsche mit Bürojobs schlecht und schränkt ihre Freiheit ein. Für Menschen, PoC und Menschen in prekären Jobs wie in der Fleischindustrie ist es fatal.


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