Berlinale 2020

Alfred Bauer, der Nationalsozialismus und die Berlinale. Ein Kommentar von Bert Rebhandl

Alfred Bauer (li.) begrüßt die US-Schauspieler James Stewart, dessen Ehefrau und James Mason am Flughafen Tempelhof im Juni 1962. Foto: imago images / ZUMA/Keystone

Am 15. Januar 1990 besetzten Aktivisten die Zentrale der Staatssicherheit in der Normannenstraße in Ostberlin. Sie retteten damit zahlreiche Akten, mit deren Vernichtung die Stasi eifrig beschäftigt war. Wenn ein Unrechtsstaat endet, ist es von entscheidender Bedeutung, dass er seine Spuren nicht verwischen kann. Einen ähnlichen Wettlauf gab es auch in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, als die Nationalsozialisten einsehen mussten, dass sie den Krieg verlieren würden. Aber das Hitler-Regime war viel zu bürokratisch, als dass es nicht unzählige Zeugnisse hinterlassen hätte.

Ein eifriger SA-Mann

Gar nicht wenige betrafen den Filmbürokraten Alfred Bauer, der seit 1942 für die Reichsfilmintendanz in hoher Funktion arbeitete. Er war also keineswegs ein einfacher Mitarbeiter des Filmkonzerns Ufa, wie er später behauptete. Bauer wurde 1951 zum ersten Direktor der Berlinale bestellt. Schon damals fragte niemand mehr genau danach, was er zwischen 1942 (als er aus dem Kriegsdienst nach Berlin zurückgeschickt wurde) und 1945 genau getan hat. Darüber hätte man in den Archiven viel finden können. Aber es hat nie jemand wirklich nachgesehen.

Erst jetzt hat ein Hobby-Historiker sich eingehender mit Alfred Bauer befasst, er hat seine Funde der Zeit anvertraut, wo sie am Donnerstag veröffentlicht wurden. Nun ist also heraußen, dass Bauer ein aktiver Nationalsozialist war, ein „eifriger SA-Mann“, und ein Spitzenbeamter des nationalsozialistischen Kinos. Für einen „Mitläufer“, wie danach die entlastende Kategorie lautete, ist das schon ein bisschen viel.

Die neuen Direktoren der Berlinale haben eine Affäre geerbt

Für einen Berlinale-Direktor hätte es zuviel sein müssen, hätte man es nur gewusst. Aber Bauer hat immer seine eigene Geschichte erzählt, und niemand hat sie wirklich hinterfragt. Auch dieses Jahr hätte die Berlinale, noch dazu im Jubiläumsjahr der 70. Ausgabe, wieder den Alfred-Bauer-Preis für „neue Perspektiven der Filmkunst“ vergeben. Das findet nun nicht statt, der Preis aus „ausgesetzt“. Dass er wieder „eingesetzt“ wird, was in dieser Formulierung als Möglichkeit mitschwingt, ist wohl doch als unwahrscheinlich einzuschätzen.

Die neuen Direktoren der Berlinale, Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek, haben da also plötzlich eine Affäre geerbt. Denn die Frage nach den genauen Umständen der Biografie von Alfred Bauer war in all den Jahren unter seinen Nachfolgern Wolf Donner, Moritz de Hadeln und Dieter Kosslick zwar nie wirklich virulent, es gab aber durchaus Hinweise darauf, dass man da hätte forschen müssen und die Archive bemühen. Die Berlinale hat aber ihre eigene Geschichte nie wirklich aufgearbeitet (wie das so viele andere Institutionen und Unternehmen inzwischen getan haben, meistens auch erst aufgrund von öffentlichem Druck), sondern hat sich immer mit offiziösen und lückenhaften Darstellungen begnügt. Man sah sich wohl als Nachkriegsgründung per se auf der sicheren Seite. Noch eine aktuell angekündigte Publikation zu Alfred Bauer von Rolf Aurich, Mitarbeiter der Deutschen Kinemathek, war offensichtlich angesichts des tatsächlichen Archivbestands so ungenügend, dass sie kurzfristig vom Verlag zurückgezogen wurde.

Um irgendeine Form von Historikerkommission wird die Berlinale nun nicht herumkommen. Da es bei Archivarbeit auch um Gründlichkeit geht, ist mit Ergebnissen nicht allzu bald zu rechnen, im Gegenteil sollte man sich die Zeit nehmen, den Start des Festivals anno 1951 sorgfältig aus den Bedingungen in Berlin in der damaligen Zeit heraus zu rekonstruieren. Es war eine spannende Zeit, und wir werden einiges über diese Stadt lernen. An die Stelle von Halbwahrheiten und Selbstentnazifizierung sollte die Wahrheit von Dokumenten und eine vernünftige Einschätzung des Archivmaterials treten.

Mehr zu dem Thema finden Sie auch auf der Seite des Verlages: https://www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/917-alfred-bauer.html

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