Klassik

Als wär’s Beethoven: Frank Strobel im Gespräch

Filmmusik-Papst Frank Strobel über die Wiederaufführung von Abel Gances siebenstündigem Stummfilm „La Roue“ beim Musikfest

Frank Strobel ist Experte für Prokofiev und Wagner – aber besonders für Filmmusik, Foto: Marco Ehrhardt

tip: Herr Strobel, Abel Gances Stummfilm „La Roue“ von 1923, den Sie beim Musikfest dirigieren, dauert sieben Stunden. Rekord?

Frank Strobel: Ja! Gances anderer berühmter Film „Napoleon“ kommt nur auf 5 ½ Stunden. Fritz Langs „Nibelungen“ bleiben unter fünf – bei zwei Teilen. Wir stoßen mühelos an die Grenzen des Arbeitsrechts.

tip: Der Film ist ein Eisenbahnerdrama und zugleich ein Rührstück über ein vorm Zugunglück gerettetes Mädchen. Muss das so lang sein?

Frank Strobel: Wär’s anders, gäbe es auch keine Opern. „La Roue“ will eine Film-Oper sein und sich an Wagner messen. Mehr noch, Gance wollte an die griechische Tragödie anknüpfen. Man ließ sich mehr Zeit, weil man mehr Zeit hatte.

tip: Wurde der Film in einem Rutsch vorgeführt?

Frank Strobel: Bei der Uraufführung lief der erste Teil in der ersten Woche; die übrigen drei schlossen sich an. Epochal wirkte der Film durch Einführung von Blende und Doppelbelichtung. Es gibt Splitscreens, Zeitraffer und Zeitlupen sowie eine völlig neuartige Montagetechnik. Mit Einstellungen weit unter einer Sekunde. Ein Vorschein von Eisenstein.

tip: Abel Gances „Napoleon“-Film scheiterte vor vielen Jahren beinahe an der wirklich schrecklichen Musik von Carmine Coppola – dem Vater des berühmten Regisseurs  Francis Ford Coppola. Diesmal klingt’s besser?

Frank Strobel: Auf jeden Fall. Der Komponist Arthur Honegger schrieb eine Enzyklopädie der französischen Musikgeschichte. Von 1880 bis 1920 hatte sich die Spätromantik ja in den Impressionismus verabschiedet und war in die Moderne umgekippt. Auch Charles Widor und Paul Fosse haben beigesteuert. Bei der Musikliste, die uns vorlag, wussten wir zumeist erst nicht: Wo ist das? Was ist das? Gibt’s das noch? – Aufzufüllen waren am Ende aber nur vier von 121 Stücken.

tip: Wurde Filmmusik damals so komponiert, dass sie vom Blatt gespielt werden konnte?

Frank Strobel: Ja, wie bei Opern! Oder glauben Sie, dass bei Mozart oder Donizetti viel Probenzeit war?! Die großen Hollywood-Komponisten dagegen, also Korngold, Tiomkin, Rosza, Steiner oder Waxman, haben sämtlich sauschwer komponiert. Die waren Klassik-Kinder ihrer Zeit. Deutsche Filmorchester waren sehr versiert. Ein ordentlicher Berliner Filmpalast besaß locker 3.000 Bände Musik – fürs Repertoire. Der Markt war explodiert – und dann Ende der 20er Jahre auch wieder implodiert. Die Noten gibt es noch.

tip: Ist das RSB nicht zu gut für diese Aufgabe?

Frank Strobel: Ein Film-Orchester kann nie zu gut sein. Das macht denen übrigens sogar Spaß – seit 25 Jahren. Wir nehmen es so ernst, als wär’s Beethoven.

tip: Müssen Sie als Filmmusik-Dirigent Ihre Kreativität nicht an der Garderobe abgeben, weil die Tempi alle festgelegt sind?

Frank Strobel: Nö. Der Film ist mein Partner, so wie es ein Sänger wäre – nur zuverlässiger. Ich spiele mit dem Bild, das ist ja der Witz dabei.

Konzerthaus Gendarmenmarkt, Mitte, Sa 14.9., 14–23 Uhr, 19–29 €

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