Das Angelhaus Koss im umkämpften Sprengelkiez ist zwischen Bars und
Foodie-Läden eine der letzten Bastionen des alten, unprätentiösen Wedding. Unser Porträt des Traditionsladens.
Ruten, Stippen, Netze: Angelhaus Koss hat fast alles
Bevor es im Sprengelkiez koreanisches Brathühnchen gab, der selige Wolfgang Herrndorf im Café Deichgraf einkehrte und im Eschenbräu Craft Beer ausgeschenkt wurde, da hing in der Tegeler Straße schon eine Kuriosität herum, die vermutlich keiner vergisst, der das Weddinger Viertel je besucht hat: der Maden-Automat des Angelhauses Koss, an dem Hobbyfischer sich an Wochenenden Köder wie andernorts Süßigkeiten ziehen können. „Das war mal ein Zigarettenautomat“, sagt Alexander Koss.
Er führt uns ins Hinterzimmer des Ladens, der buchstäblich bis unter die Decke vollgestopft ist mit Ruten, Stippen, Netzen, mit signal- oder tarnfarbenem Groß- und Kleinkram zum Fischen.
„Angelhaus Koss hat fast alles“, behauptet die Website des Familienbetriebs, und es wäre tatsächlich sehr komisch, würde das nicht stimmen. Im Vergleich zum minimalistischen Chic der vielen Krimskramsläden und hippen Bistros, die es in dem Viertel mittlerweile gibt, wirkt das Angelhaus wie die Wunderkammer unter den Hobby-Ausstattern.
Irgendwer hat ein „IRON“ über das Wort „Maden“ gekritzelt
Gerade ist ihr berühmter Automat leer. Irgendwer hat ein „IRON“ über das Wort „MADEN“ gekritzelt. Alexander Koss’ Eltern Hildegard und Otto Koss hatten die Vorrichtung vor Jahrzehnten erfunden, als Notversorgung für ihre Stammkunden. „Wir haben früher hier gewohnt, direkt neben dem Angelhaus“, sagt Koss. „Da kam es schon mal vor, dass die Kunden einen am Sonntag rausgebimmelt haben, wenn sie was brauchten.“
Koss’ Eltern haben den Laden in der Tegeler Straße in der Nachkriegszeit eröffnet und vor einigen Jahren an den Sohn abgetreten.
Wann genau es mit dem Angelgeschäft losging, kann er heute nicht mehr rekonstruieren; Anfang der 60er-Jahre muss es gewesen sein. Ursprünglich war das Angelhaus ein Zoogeschäft gewesen, „so richtig mit Fischen, Streifenhörnchen, Hamstern und Vögeln“. Aber irgendwann waren das Vogelfutter und die lebenden Tiere dann weg. Koss’ Vater Otto, ein gelernter Zimmermann, angelte seit jungen Jahren. Da habe es nahe gelegen, sein Hobby endgültig zum Beruf zu machen.
Alexander Koss ging schon als Kind mit zum Fischen. Zunächst widerwillig. Heute liebt er es, beim Angeln seine Ruhe in der Natur zu haben. Als die Familie noch direkt nebenan in der Tegeler 36 wohnte, in den 60er-, 70er-Jahren, konnte man auf der kopfsteingepflasterten Straße manchmal Fußball spielen. Es gab fast keine Autos, dafür viele Kinder. Der Kiez ist ein anderer geworden – aber das Interesse am Fischen, das bleibe groß. Auch und gerade in Pandemiezeiten.
Die Leute wollen Raubfische angeln
Allerdings, erzählt Koss, habe früher das Klischeebild, das viele von Anglern haben, noch stärker zugetroffen: Ein einsamer Typ guckt auf eine Pose im Wasser – und niemand darf reden.
„Das ist jetzt nicht mehr so“, sagt Koss, „heute wollen die Leute Raubfische angeln, Barsche, Hechte und Zander hauptsächlich. Die wenigsten wollen Friedfischen, sondern ziehen ein aktives Angeln vor. Strecke machen, am Kanal rumlaufen, mit dem Boot von Stelle zu Stelle fahren.“
Vielleicht sind die Kundenwünsche ein Indikator dafür, dass die Uhren in Berlin heute schneller ticken. Aber bislang hat das Angelhaus alles überstanden, irgendwie. Und beweist damit, dass auch Giganten wie Amazon Hobby-Nerds nicht alles bieten können.
Zum Beispiel Angelbedarfsverkäufer, die Angeln wirklich lieben. Oder Maden gegen eine schnelle Münze.
- Angelhaus Koss Tegeler Str. 37, Wedding, Mo–Fr 8.30–18, Do bis 20, Sa 8.30–13 Uhr, Website
Mehr Geschäfte mit Geschichte
Unglaublich, was diese Orte alles erlebt haben: 12 Geschäfte mit Tradition in Berlin, die es seit 100 Jahren gibt. Einer davon ist die erste Adresse für Scherzartikel und magische Trickkisten: Der Zauberkönig im Neuköllner Schillerkiez. Und in Krisenzeiten ist Alkohol eine dankbare Ware. Das weiß man bei Kierzek Weine-Spirituosen in Lichtenberg seit 110 Jahren. Berlin gibt es noch immer viele Betriebe, die handgemachte Produkte verkaufen, von Porzellan bis Schokolade. Schaut doch einmal in diesen empfehlenswerten Manufakturen vorbei. Aktuelle Tipps zum Thema Shopping haben wir hier.