Berliner Straßen

Geschichte der Karl-Marx-Allee: Aufstände, Arbeiterpaläste, Ausverkauf

Die Karl-Marx-Allee reicht vom Alexanderplatz über den Strausberger Platz bis zum Frankfurter Tor. Die Geschichte der Karl-Marx-Allee reicht aber viel weiter: Der Prachtboulevard hat Barrikadenkämpfe im 19. und 20. Jahrhundert erlebt, wurde im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört und als Prestigeobjekt der DDR wieder aufgebaut. Die Straße war Schauplatz eines Volksaufstandes und von Militärparaden, unter dem Namen Stalinallee war sie Inbegriff der Glorifizierung des sowjetischen Regimechefs. Heute steht sie nicht mehr für die Ästhetik des Sozialismus, sondern auch für Gentrifizierung in Friedrichshain. Die Geschichte der Karl-Marx-Allee erzählen wir euch hier.


Barrikadenkämpfe zur Märzrevolution 1848 und zur Novemberrevolution 1918/19

Barrikadenkämpfe gehören zur Geschichte der Karl-Marx-Allee, die damals noch Große Frankfurter Straße hieß. Foto: Wikimedia Commons/Alfred Grohs – Scan vom Original: Bernd Schwabe/CC BY 3.0

Die Karl-Marx-Allee, für viele ist das vor allem die Erzählung von der sozialistischen Prachstraße, die mal Stalinallee hieß, und von den monumentalen Palästen für Arbeiter und Bauern. Die Straße hat aber bereits Jahrzehnte vor den sozialistischen Paraden und dem Volksaufstand von 1953 Geschichte gemacht. Zur Märzrevolution von 1848 und zur Novemberrevolution 1918 lieferten die Menschen sich hier und in anderen Teilen Berlins Straßenkämpfe und bauten Barrikaden, um sich dahinter zu verstecken und um die Gegner am Weiterkommen zu hindern.

Das Ergebnis: Die Weimarer Republik entstand. Bis 1949 trug die Straße den Namen „Große Frankfurter Straße“.


Kurzes Wiederaufleben der Bauhaus-Ideale

Arbeiterpaläste und Aufstände: Die Geschichte der Karl-Marx-Allee in Bildern
Die beiden Laubenganghäuser in der Karl-Marx-Allee fallen aus dem Rahmen. Foto: Wikimedia Commons/Gryffindor

In der Karl-Marx-Allee gibt es zwei sogenannte Laubenganghäuser. Die beiden Häuser stehen im Kontrast zur restlichen, monumentalen Bebauung an der Magistrale im Osten Berlins. Sie stammen aus der Feder der russischen Architektin Ludmilla Herzenstein, Ko-Autorin des sogenannten Kollektivplans, an dem neben vielen anderen auch Hans Scharoun, einer der bedeutendsten Architekten der Berliner Moderne, mitschrieb. Viel Grün sollte es dem Plan von 1945/46 nach zwischen den Häusern geben, locker und dezentral die Bebauung sein.

Kurze Zeit später war es vorbei mit dem Kollektivplan. Die Ideen dahinter bekamen den Stempel elitär, formalistisch und westlich-dekadent. Die zukünftige Bebauung sollte wohl besser zu den Idealen des Sozialismus passen. Die beiden Laubenganghäuser ließ diese Umorientierung wie zwei einsame Wanderer durch fremde Lande zurück.


Hochhaus an der Weberwiese

Das Hochhaus an der Weberwiese ist Vorbild für alle anderen Häuser, die die DDR-Führung danach auf dem repräsentativen Prachtboulevard bauen ließ. Entworfen hat es Hermann Henselmann, einer der wichtigsten DDR-Architekten in Berlin. Im Mai 1952 erhielten die künftigen Bewohner die Schlüssel zu ihren neuen Wohnungen. Die waren im Gegensatz zu den anderen Häusern auf der Großen Frankfurter Straße außergewöhnlich luxuriös. In den großen hellen Wohnungen gab es fließendes Wasser, sogar warmes, Heizungen, und unten betrat man das Haus unter den wachsamen Augen eines Portiers.


Monumentalarchitektur und Personenkult

Arbeiterpaläste und Aufstände: Die Geschichte der Karl-Marx-Allee in Bildern
Nach dem Krieg war die Große Frankfurter Straße, später Karl-Marx-Allee fast vollständig zerstört. Foto: Wikimedia Commons/ Bundesarchiv, Bild 183-13301-0003 / Martin / CC-BY-SA 3.0

Im Zweiten Weltkrieg war die Große Frankfurter Straße weitgehend zerstört worden. Das Erscheinungsbild sollte sich grundlegend wandeln, die DDR-Führung hatte Großes mit der Straße vor, die fast schnurgerade nach Osten führt – in die Richtung, in der früher die Sowjetunion und jetzt Russland liegt. Nach und nach entstanden entlang der Frankfurter Allee noch mehr Arbeiterpaläste nach Vorbild des Hochhauses an der Weberwiese.

Tatsächlich war und ist es ein beeindruckender Anblick, wenn man abends stadteinwärts fährt und mächtigen Häuser sich vor dem Himmel über der Großstadt erheben. Wer an der Stalinallee wohnte, genoss gegenüber anderen DDR-Bürger noch mehr Vorteile: In den Geschäften gab es so viele Waren wie sonst kaum an einem anderen Ort im Osten, und das Café Moskau sowie das Haus Bukarest boten ausgefallene Gerichte.

Arbeiterpaläste und Aufstände: Die Geschichte der Karl-Marx-Allee in Bildern
Das Ziel: Irgendwann sollten alle Arbeiter so luxuriös wohnen wie die in der Karl-Marx-Allee. Foto: Imago/serienlicht

Die neuen Gebäude sollten den Erfolg des Sozialismus widerspiegeln und suggerieren, dass bald alle Menschen so luxuriös leben würden, wenn der Sozialismus erst richtig in Fahrt käme. Vorher, an Stalins offiziellem 70. Geburtstag, bekam die Magistrale auch einen neuen Namen: Stalinallee. Eigentlich war es nicht üblich, Straßen nach noch lebenden Personen zu benennen. Bei Stalin aber machte man eine Ausnahme, schließlich ließ der sich als Lichtgestalt des sowjetischen Sozialismus feiern.

Vorbilder der Stalinallee waren die großen Magistralen in Moskau und Sankt Petersburg (damals Leningrad), der Klassizismus des 19. Jahrhunderts und die Bauweise von Karl Friedrich Schinkel, einem der wichtigsten Architekten des preußischen Berlin.

1961 war es übrigens vorbei mit der Stalin-Verehrung. In der Nacht zum 14. November rückten Soldaten der Nationalen Volksarmee an und warfen das 4,80-Meter-große Stalin-Denkmal, das seit 1951 gegenüber der Deutschen Sporthalle auf einem Sockel gethront hatte, einfach um. Angeblich benutzte man das eingeschmolzene Material für Bronzefiguren im Tierpark. Einem Deutschlandfunk-Beitrag zufolge haben sich aber wohl auch einige Brigadiers Teile davon gesichert: 2001 sollen etwa das linke Ohr und ein Stück Bart aufgetaucht sein.

Nirgendwo in Berlin finden sich Häuser, die mit denen in der Karl-Marx-Allee vergleichbar wären. Foto: imago images/ZUMA Press

Nirgendwo in Berlin gibt es vergleichbare Architektur – auch nicht im jüngsten Bezirk der Stadt, Marzahn-Hellersdorf, den die DDR-Führung in den 1970er-Jahren aus dem Boden stampfte und Platte um Platte errichten ließ.

Im Gegensatz zu den funktionalen Plattenbauten sind die Arbeiterpaläste an heutigen Karl-Marx-Allee aufwendig verziert – Zuckerbäckerstil nannte man das damals gerne. Säulen und Simse, Ornamente und Tempelmotive schmücken die Häuser. An kalten, windigen und trüben Wintertagen vermag aber auch das nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die Karl-Marx-Allee vor allem eines ist: Eine viel zu breite, lange Straße ohne allzu viele Geschäfte, wo einem der Wind in die Kleidung fährt. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang der DDR verfielen auch die Prunkbauten an der Karl-Marx-Allee.


Volksaufstand vom 17. Juni 1953

Der Volksaufstand ist eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Karl-Marx-Allee. Foto: Wikimedia Commons/Bundesarchiv, B 145 Bild-F005191-0040 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de
Der Volksaufstand ist eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Karl-Marx-Allee. Foto: Wikimedia Commons/Bundesarchiv, B 145 Bild-F005191-0040 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de

Bereits Anfang der 1950er-Jahre kämpfte das SED-Regime mit einer schwächelnden Wirtschaft. Der Lösungsansatz: Die Menschen sollten für das gleiche Geld mehr arbeiten. Das schmeckte den Arbeitern gar nicht, auch weil sich eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik der DDR-Führung breit machte. Am 16. Juni verfassen einige Arbeiter eine Resolution gegen die Arbeitsnormerhöhung, viele andere solidarisieren sich. Erst protestieren etwa 2.000 Menschen, danach wächst die Menge schnell auf etwa 10.000 an. Am 17. Juni eskalieren die Proteste und die Sowjetunion schlägt den Aufstand brutal nieder. Panzer fahren durch die Stalinallee.


Karl-Marx-Allee vs. Hansaviertel

Ein Modell des Hansaviertels. Zur Geschichte der Karl-Marx-Allee gehört auch, dass nahezu zeitgleich auch im Westen ein ambitioniertes Wiederaufbauprojekt begann. Foto: Imago/Jürgen Hanel
Ein Modell des Hansaviertels. Zur Geschichte der Karl-Marx-Allee gehört auch, dass nahezu zeitgleich auch im Westen ein ambitioniertes Wiederaufbauprojekt begann. Foto: Imago/Jürgen Hanel

In den 1950er-Jahren nahm der Kalte Krieg an Fahrt auf. Das spiegelt sich auch in den Bauprojekten von DDR und BRD wider. Während die DDR einen klassizistischen Prachtboulevard errichtete, baute der Westen im Rahmen der Interbau 57 ein ausgesprochen modernes Quartier im Hansaviertel. Beide Bauvorhaben sollen das jeweilige System ausdrücken: Im Osten die prunkvolle Monumentalarchitektur, im Westen versprengte, schlichte Wohneinheiten und viele Grünflächen. Dass es aber einen typisch sozialistischen und kapitalistischen Städtebau gegeben hätte, lässt sich so nicht sagen. Beide Regierungen suchten auch nach dem Bau der Viertel nach geeigneten Ausdrucksformen und Bauweisen – siehe Marzahn am Ostrand Berlins.

2012 wollten drei Bürgerinitiativen die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel zum Weltkulturerbe erklären lassen, weil sie, so die Initiativen, den Wettstreit zwischen den Systemen abbildeten. Das Vorhaben scheiterte zwar 2014, wurde aber 2021 erneut aufgegriffen: Der Berliner Senat möchte, dass die Siedlungen unter dem Titel „Karl-Marx-Allee und Interbau 1957. Architektur und Städtebau der Nachkriegsmoderne“ in die Auswahlliste für das Unesco-Welterbe aufgenommen werden.


Café Sibylle an der Karl-Marx-Allee

Das Café Sibylle ist ein wichtiger Teil der Geschichte der Karl-Marx-Allee. Der markante Neon-Schriftzug steht unter Denkmalschutz. Foto: Imago/Schöning
Das Café Sibylle ist ein wichtiger Teil der Geschichte der Karl-Marx-Allee. Der markante Neon-Schriftzug steht unter Denkmalschutz. Foto: Imago/Schöning

Als es 1953 öffnete, hieß das Café Sibylle Milchtrinkhalle. Dann hieß es, ganz nach den dort angebotenen Speisen, Milchbar. Eis und Milchgetränke konnten die Ost-Berliner dort nämlich verzehren. In den 1960er-Jahren gab es auf Geheiß der SED einen weiteren Namenswechsel: Ab jetzt aß man Kuchen im Café Sibylle. Der Name leitet sich von der einflussreichen Frauenzeitschrift „Sibylle“ ab, dem wohl wichtigsten Magazin für Mode und Stil in der DDR.

Nach der Wende war es erstmal aus mit dem Kult-Café. Anfang erfolgte die Wiedereröffnung mit freigelegten Wandbemalungen authentischem DDR-Mobiliar. Außerdem können Besucher sich dort in einer Dauerausstellung über die Geschichte der Karl-Marx-Allee informieren. In den folgenden Jahren musste das Café noch einmal schließen, ist aber seit 2018 mit neuem Betreiber wieder geöffnet. Auch Hans Modrow, der letzte Regierungschef der DDR, nahm an der Eröffnungsfeier teil.


Kino International

Das Kino International in den 1960er-Jahren. Das Gebäude entstand nach den Bauten im "Zuckerbäckerstil" und wirkt deutlich moderner. Foto: Imago/Frank Sorge
Das Kino International in den 1960er-Jahren. Das Gebäude entstand nach den Bauten im „Zuckerbäckerstil“ und wirkt deutlich moderner. Foto: Imago/Frank Sorge

Wer die DDR nicht miterlebt hat oder während ihres Bestehens nicht dort war, kann im Kino International einen Geschmack davon bekommen, wie repräsentative Gebäude des sozialistischen Staats von innen aussahen. Bis 1990 diente es der DDR als Premierenkino. Aus großen Panoramafenster blickt man im ersten Stock auf die Karl-Marx-Allee, die holzvertäfelten Wände im Rücken und mächtige Kronleuchter über dem Kopf. Der Bau steht im Kontrast zu den Gebäuden auf zum ersten Bauabschnitt auf der Karl-Marx-Allee: Er ist funktional und flankiert von Plattenbauten, Geschäften und Restaurants. Die besten Kinos im heutigen Berlin stellen wir euch hier vor.


Wiedervereinigung

Letzte Militärparade der DDR am 7. Oktober 1989. Foto: Imago/Gueffroy
Letzte Militärparade der DDR am 7. Oktober 1989. Foto: Imago/Gueffroy

Oh, the irony! Der Verfall der Prunkbauten an der Karl-Marx-Allee, die die Gloria der DDR spiegeln sollten, nahm erst mit der Wiedervereinigung ein Ende. Noch kurz vor der Wende marschierten NVA-Truppen auf dem Prachtboulevard auf, den Häusern sah man die Zeichen der Zeit da schon längst an. Verschiedene Investoren kauften in den 1990er-Jahren dann die inzwischen denkmalgeschützten Gebäude auf und sanierten sie aufwendig. Die Eigentümer wechselten oft, kümmerten sich unterschiedlich gut um die Häuser. Alle aber erhöhten die Mieten.


Gentrifizierung und Mietenkampf

Wohnen am Strausberger Platz? In ihrer Geschichte hat die Karl-Marx-Allee auf jeden Fall deutliche Mietsteigerungen erlebt. Foto: Imago/Sabine Gudath
Wohnen am Strausberger Platz? In ihrer Geschichte hat die Karl-Marx-Allee auf jeden Fall deutliche Mietsteigerungen erlebt. Foto: Imago/Sabine Gudath

Inzwischen sind die Häuser an der Karl-Marx-Allee zum Symbol für den Mietenkampf in Berlin geworden. Wie in vielen anderen Teilen der Stadt sind auch hier die Preis in astronomische Höhen geklettert.

Im Sommer 2019 versuchte Berlin, der voranschreitenden Gentrifizierung einen Riegel vorzuschieben und der Gier der Investoren etwas entgegen zu setzen. Damals wollte die Firma Predac mehrere Häuser an die Deutsche Wohnen verkaufen. Das Wohnungsunternehmen besaß zu dem Zeitpunkt bereits mehr als 100.000 Wohnungen in Berlin, ist für überhöhte Mieten und mieterfeindliche Praktiken bekannt und mittlerweile mit Vonovia zu einem noch größeren Immobilienkonzern verschmolzen. Das Land Berlin nutzte das Vorkaufsrecht und erwarb die Wohnungen, jetzt gehören sie der landeseigenen Wohnungsgesellschaft Gewobag.


Mehr Berliner Straßen und Geschichte

Nicht nur die Karl-Marx-Allee hat prägende Momente der Geschichte erlebt. Zum Beispiel die Oranienstraße, deren Geschichte wir hier erzählen. Wir blicken auch zurück auf die Jahrhunderte, in denen die Sonnenallee vom Feldweg zum Schmelztiegel wurde. Noch mehr Stadtgeschichte findet ihr hier bei unserem Blick zurück auf die berühmten und bedeutenden Berliner Straßen.

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