Der Weiße See gehört zu den am schlimmsten übernutzten Seen der Stadt. An Hitze-Wochenenden ist in Weißensee die Hölle los. Ab Herbst soll er fürs Wildbaden abgesperrt werden. Ist der Weiße See noch zu retten? Ein Essay.

Der Weißer See: Diesen einen Sommer muss er noch durchhalten
Diesen einen Sommer muss der See noch durchhalten. All den Irrsinn um ihn herum, der sich besonders an Hitzetagen auftürmt an seinem Ufer und im Park, der ihn umarmt wie ein Kind, das Trost nötig hat. Jene Art von Irrsinn, der an heißen Samstagen und Sonntagen so richtig eskaliert. Das Bad in der Menge.
An hitzigen Wochenenden dürfte der Weiße See in Pankow zu den meistübernutzten Badegewässern Berlins gehören. Wenn sie alle zu ihm herbeieilen, als gäbe es keine Freibäder und kein Brandenburg. Täglich bis 4.000 Leute, wie das Ordnungsamt Pankow mal ausrechnete. Diese vielen Leiber, die aus der Straßenbahn M4 herausquellen, keine halbe Stunde Fahrzeit vom Alex, oder mit Fahrräder anlanden, dicht an dicht. Die über die geschundenen Rasenflächen kommen wie eine biblische Plage, sich ausbreiten auf Decken und Yogamatten. Die Slacklines zwischen Bäumen aufspannen, sich zu Trinkspielen zusammenfinden, zu Bluetooth-Boxen, die Bässe ballern.
Aller Sorten Rauch liegt dann schwadenschwer in der Luft. Und über den Gebüschen müffelt es mächtig nach Urin.
Hedonisten, Ballermänner, Volltrottel
Egal ist es dabei, dass seit vergangenem Jahr an einer der Wildbadestellen, ein paar Meter vom Bootsverleih entfernt, ein quietschgelbes Unisex-Trockenklo aufgestellt wurde, das aussieht wie eine sehr unglückliche Kreuzung aus einem Briefkasten und einem U-Bahn-Waggon, der seit immer und ewig geplanten U-Bahnlinie 10, von der immer mal wieder die Rede ist, zuletzt vor mehr als einem Jahr von einer CDU-Verkehrssenatorin, die aber auch schon lange nicht mehr im Amt ist.
Genauso egal ist es vielen, dass offiziell nur im Strandbad Weißensee das Baden gestattet ist, diesem pittoresken Areal, über dem der „Weißensee“-Schriftzug im Schwung seines Vorbilds in den Hollywood Hills schwebt.
Und in manchen Sommernächten pumpen potente Lautsprecher bei illegalen Partys ihren Techno-Trott durch den Park wie ein Donnergrollen mit 130 beats per minute. Wie überhaupt der See an Feiertagen eine geradezu magnetische Anziehung für Hedonisten, Ballermännern und Volltrottel ausübt, bei denen angemessenes Benehmen berlintypisch allenfalls optional ist.
Als vor drei Jahren in der Walpurgisnacht Unbekannte dem einzigen Schwanenpaar auf dem See sämtliche acht Eier mit Steinen zerstörten, kurz vor dem Schlupftermin, war das Entsetzen groß. Ende April 2025 wurde nun das Schwanenweibchen tot aufgefunden.
Könnte ein See schreien, um Hilfe rufen
Könnte ein See schreien, vor Wut, Schmerz oder Ohnmacht, könnte er um Hilfe rufen, es würde einen donnernd in den Ohren dröhnen, sobald man sich dem Weißen See nur näherte. See unter.
Und nirgendwo sind in einem einzelnen Berliner Gewässer in den vergangenen zehn, elf Jahren so viele Menschen gestorben wie im Weißen See. 14 an der Zahl. Bis zu zehn Meter geht es hier in die Tiefe. Ungewöhnlich tief für ein eher kleines Gewässer. Aber der See wird auch immer weniger, sein Ökosystem immer fragiler. Der Klimawandel, die Verdunstung. Und kein natürlicher Zufluss, der den Pegel hochhieven würde. Dafür muss Grundwasser in den See gepumpt werden.
Diesen einen Sommer also noch. Dann bekommt er endlich etwas Ruhe. Im September soll die lang geplante, mehrfach verschobene Sanierung von See und Park beginnen. Und dabei wird das Wildbaden durch mit Totholz gefüllte Barrieren, 1,10 bis 1,20 Meter hoch, unterbunden. Mehr als 1,7 Millionen Euro umfasst das Budget. Wenn das mal reicht.
Wem gehört der Weiße See?
Der Weiße See, 8,3 Hektar groß, mit einer Ost-West-Ausdehung von 300 Metern und einer Nord-Süd-Breite von 350 Metern anmutig ebenmäßig geformt, ist ein Kind der Eiszeit. Das einzige Gewässer im Nordosten Berlins, das leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist und das kostenlose Baden einfach macht.
Anders als im nahen Orankesee, wo es auch ein Strandbad gibt, der restliche See aber mit Schilf abgeriegelt ist. Wer sich aus dem Bojen-Bereich herauswagt, vernimmt alsbald das heisere Gebrüll des Bademeisters. Beim Weißen See kann man sich die Stimmwucht sparen. Hört ja eh keiner hin.
Dabei ist der Weiße See doch an sich ein anheimelndes Fleckchen Berlin im Ortsteil Weißensee. Mit einem Restaurant, das lange Milchhäuschen hieß und nun als griechisches Restaurant wieder eröffnen soll. Und mit der mit grandios geschwungenem Zeltdach beschirmten Freilichtbühne auf seiner Nordseite, deren Veranstaltungsprogramm aus Kino und Konzerten mitunter von lärmsensiblen Anwohnern tangiert wird.
Als eines Sommers Erobique, „die lebende Discokugel“, am längsten Tag des Jahres seine auf trefflichen Tanztaumel angelegte Veranstaltung über die voll besetzten Traversen abhielt, beendete er mit Einsetzen des Sonnenuntergang früh die Show mit dem Hinweis auf die hörnahe Nachbarschaft.
Muss der Weiße See seinen Reiz verlieren, um gerettet zu werden?
Es ist ein Beispiel für die vielfältigen Nutzungskonflikte, die sich am See nur schwer bis eigentlich gar nicht unter einen Hut bringen lassen. So viele widerstrebende Interessen. Die Spaziergänger, die Jogger, die Yoga-Poser, die Nackt-Sonnenden (die in Berlin viel geeignetere FKK-Orte fürs Hüllen-Fallenlassen finden). Die Naturschützer. Und die Hundehalter, die ihre Tiere Brutvögel am Ufer aufbringen lassen. Alle zerren sie am See, wollen etwas von ihm, fühlen sich im Recht, orchestrieren Widerspruch.
Von zwei künftig legalen Badestellen außerhalb des Strandbads, von denen im Beteiligungsverfahren zur Umgestaltung die Rede war, ist mittlerweile auch nichts mehr zu hören. Bei einer Ortsbegehung mit dem Gesamt-Bauleiter und Vertretern vom Pankower Straßen- und Grünfächenamt Anfang Mai vergangenen Jahres polterte ein Mann drauflos: „Wer in der Seemitte schwimmt, ist ein Verbrecher, oder wie?“ Der zuständige Planer guckte verdattert.
Vielleicht kann der Weiße See nur gerettet werden, indem er ein Stück weit seinen Reiz von sich wirft. Indem er aufhört, ein Versprechen für alle und jeden zu sein, das nicht erfüllbar ist. Und man hat das Gefühl, der See wüsste das auch ganz genau.
Der weise See.
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