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Freibad

Warum ein Tag im Sommerbad Gropiusstadt besser ist als ein Tropenurlaub

An Orten wie dem Sommerbad Gropiusstadt findet Berlin zu sich selbst. Hier inhaliert man den Geruch von Frittenfett, lässt den Bürokörper von Chlorwasser umspülen, weidet sich am Anblick von Hochhäusern – und findet Glücksgefühle. Unserem Autor Philipp Wurm ist das allemal lieber als ein Tropenurlaub. Er hat im Süden von Neukölln angebadet.

Sommerbad Gropiusstadt: Überr den Baumwipfeln thronen die Bauten der Großwohnsiedlung. Beim Foto: Imago/Sven Lambert
Sommerbad Gropiusstadt: Überr den Baumwipfeln thronen die Bauten der Großwohnsiedlung. Beim Foto: Imago/Sven Lambert

Sommerbad Gropiusstadt ist urbaner Realismus

Es gibt Berliner:innen, die in Datschen jenseits des Barnimer Lands ihre Hängematten aufspannen. Einige Connaisseur:innen aus, sagen wir mal, Grunewald oder Zehlendorf schwärmen gleich in französische Erholungsgebiete aus – womöglich auf ein malerisches Gut in der Provence, um dort im Lavendel-Duft den Organismus zu päppeln.

Wiederum andere suchen Rast, Regeneration und Rückzug in noch lieblicheren Idyllen. Sie spazieren durch Kirschgärten in Japan. Oder ergötzen sich am Himmel, der voller Ballons hängt, über den Tempeln von Angkor Wat in Kambodscha. All diese Ziele sind wirklich hübsch. So wie eine kitschige Serie auf Netflix. 

Wer dagegen ohne Eskapismus entspannen möchte, inhaliert den Geruch von Frittenfett, lässt den Bürokörper von Chlorwasser umspülen, weidet sich am Anblick von Hochhäusern im Hintergrund. Und findet in den Wasserstrahlen verkalkter Duschtrakte ein Spa-Gefühl, das man als urbanen Realismus bezeichnen könnte. Der Autor dieser Zeilen zum Beispiel ist ein großer Freund eines solchen Programms.

So euphorisierend wie die erste Currywurst nach dürren Jahren

Das lebensnahe Geschehen konnte ich jetzt endlich wieder erleben – nach Monaten der Entbehrung. An Orten, die so vielfältig sind wie die Namen in den Vereinsregistern von  Wellensittich-Züchter:innen. Gemeint sind die Freibäder in Berlin, die fast überall in der Stadt locken, sogar in Grünau und Schmargendorf.

Die Sommersaison hat bekanntlich begonnen. Nachdem die Pandemie zuvor den Hallenbädern, jenen synthetischen Ersatzorten fürs Echtleben open air, den Riegel vorgeschoben hatte. Um es vorwegzunehmen: Das Anbaden war so euphorisierend wie die erste Currywurst am Mehringdamm nach sieben dürren Jahren.

Der Schauplatz meines Pläsiers, an einem frühen Abend im Juni: das Sommerbad in der Gropiusstadt, eröffnet in den 1970er-Jahren. Wo selbst Spätbucher:innen in Corona-Zeiten oft noch freie Tickets in den umkämpften Zeitfenstern ergattern können. Weil die meisten Liebhaber:innen zu den großen Publikumsmagneten strömen, etwa ins Prinzenbad (spätestens seit der Doku „Prinzessinnenbad“ ein Kultobjekt) oder ins Columbiabad (erprobte Kulisse für Sozialreportagen über Neukölln). 

In der Satellitenstadt regiert die Normalität

Hinter Bäumen zeichnen sich am Sommerbad Gropiusstadt die sozialdemokratischen Fassaden der Mietblöcke in Graubraun ab. Die Satellitenstadt im Süden Neuköllns ist eine der berühmtesten Großwohnsiedlungen in Berlin. Im Schwimmbecken, diesem Geviert aus mildem Blau, drehe ich meine Bahnen. Brust im Lord-Style, den Kopf oben. Wer Freibäder besucht, muss den Blick schweifen lassen. Nur Banaus:innen tauchen unter wie Medaillen-Aspirant:innen bei Olympia. 

Es ist das Bild der Gewöhnlichkeit, das Freibäder so anziehend macht – das Sommerbad Gropiusstadt ist da keine Ausnahme. Während drumherum die Welt aus den Fugen geraten ist, Holzkrise, Klimawandel, unheimliche Viren und so weiter, regiert dort die Normalität. 

Kids stehen Schlange vor dem Ein-Meter-Podest. Am Beckenrand beißt eine Frau in ihr Butterbrot. Ein Typ mit Vokuhila, Kette am Hals und breiter Schulter tigert übers Trottoir wie ein Rausschmeißer in einer verruchten 90er-Jahre-Disco. Teenager:innen aus der Neighbourhood tollen auf dem Rasen, irgendwo umweht von Qualm, vermutlich aus einer Shisha-Pfeife. Aus der Boombox ertönt Gangsta-Rap – wegen des seltsamen Dialekts könnte es der hessische Gangsta-Rapper Haftbefehl sein. Im Kinderbecken nebenan spielen ganz Kleine mit Papa und Mama. 

Im Freibad fühle ich mich eins mit dieser Stadt

Und dann sind da noch die friedvollen Angestellten der Berliner Bäder: Sie schieben eine ruhige Kugel. Weil der Worst Case, etwa ein Badeunfall, in der Gischt des atlantischen Ozeans vor Kap Verde oder anderswo auf dem Globus dann doch wahrscheinlicher wäre. 

Pünktlich um 19.30 Uhr klirrt die Stimme einer Bademeisterin durch die Lautsprecher. Man möge die Wasserflächen verlassen. Rechtzeitig zum „Badeschluss“, ein Wort voll sachlicher Melancholie, das den letzten Akt eines beruhigenden Theaterstücks einläutet.

Selbst die kalte Dusche nach dem Wassergang verströmt mehr Wellness als jedes Solebecken an irgendeinem Kneippkurort. Im Freibad fühle ich mich eins mit dieser Stadt. Und Verbundenheit mit dem großen Ganzen ist ja schon immer auch Maßstab für Glück gewesen. 


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