Interview

Visionärer Landwirt: „Kühe sind wandelnde Komposteimer“

„Beyond Farming“ nennt Benedikt Bösel seine Art zu landwirtschaften. Sein Betrieb Gut & Bösel in Alt Madlitz kurz hinter Fürstenwalde ist einer der größten Bio-Getreide-Produzenten in Brandenburg. Und eine der visionärsten Landwirtschaften in Deutschland. Auf dem Weg zu gesünderen und damit produktiveren Feldern in der Mark hat Benedikt Bösel ausgerechnet ein Instrument entdeckt, das gemeinhin als Klimakiller gilt: die Kuh. Ein Besuch auf der Weide, die eigentlich ein Acker ist.

Beyond Farming: Benedikt Bösel will in Alt-Madlitz Landwirtschaft neu denken. Foto: Gut & Bösel / Emanuel Finckenstein

Die Zukunft von Ökosystemen liegt nicht nur in der Technologie

tipBerlin Benedikt Bösel, Kühe, so hören wir allenthalben, seien Problemtiere. Sie produzieren einfach viel zu viel CO2? Sind Sie gerade deshalb Landwirt geworden, um das Gegenteil zu beweisen?

Benedikt Bösel Im Gegenteil, als ich den Betrieb Ende 2016 übernommen hatte, war ich der Meinung, dass in der Technologie die Zukunft liegt, in einer datenbasierten Landwirtschaft. Aber dann ist mir zunehmend klar geworden, dass die Technologie heute häufig aus einem exploitativen Verständnis von Ökosystemen heraus entwickelt wird und nur dazu führt, dass man sich immer weiter spezialisiert, immer weiter verschuldet und zunehmend seine Unabhängikeit verliert. Von der Farm-Management-Software über den Düngerstreuer bis hin zum Mähdrescher mit der digitalen Schnittstelle. Mir bringt diese ganze Technologisierung aber nichts, wenn der Boden und das Ökosystem so krank sind, dass man nicht langfristig hochwertige und gesunde Lebensmittel produzieren kann.

Kühe als wichtiger Faktor im Nährstoffkreislauf einer autarken Landwirtschaft

tipBerlin Deshalb also die Kühe?

Benedikt Bösel Ich habe mich gefragt, was es für Methoden gibt, um Boden, und Bodendiversität, wieder aufzubauen. So bin ich in Südafrika bei Allan Savory gelandet, der gezeigt hat, wie man durch das intelligente Führen der Tiere die Biodiversität, das Pflanzenwachstum und damit den Bodenaufbau wieder in Gang setzen kann. Über die Ernte unserer Kulturen entziehen wir dem Boden Nährstoffe. Diese Nährstoffe müssen wir wieder zurückführen. Wenn ich diese Nährstoffe hinzukaufe, also meinen Nährstoffkreislauf nicht selber schließe, begebe mich auch ökonomisch in Anhängigkeiten. Das heißt: Die Kühe sind der Schlüssel, um solche Abhängigkeiten zu reduzieren und die eigenen Kreisläufe zu schließen.

tipBerlin Kühe, die nicht auf der Weide stehen oder im Stall, sondern auf dem Acker?

Benedikt Bösel Genau. Die Kühe sind das ganze Jahr draußen. Wir orientieren uns dabei am natürlichen Verhaltensmuster von Wiederkäuern in großen Graslandschaften. Die Tiere bleiben in der Gruppe eng zusammen und in Bewegung, schon um sich vor ihren Fressfeinden zu schützen. Wir arbeiten mit mobilen Zäunen, die wir tagtäglich verstellen und umstellen, sodass die Kühe mehrfach am Tag von einer kleinen Parzelle auf die nächste geführt werden. Die Tiere fressen so alles, was um sie herumsteht.

Kühe sollen für einen fruchtbaren Acker sorgen

Benedikt Bösel Würden die Kühe anfangen zu selektieren, würde das, was sie nicht mögen, stehen bleiben und sich immer weiter ausbreiten. Eine Verödung, ja Versteppung wäre die Folge. Stehen die Tiere eng zusammen, fressen sie aber alles. Darauf reagieren die Pflanzen mit neuerlichem Wurzelwachstum. Und weil die Kühe gleichzeitig in Bewegung sind, trampeln sie auch viel um, Blattmasse bedeckt den Boden, speichert Feuchtigkeit im Boden, schützt vor Sonneneinstrahlung und versorgt das Mikrobiom mit Nährstoffen.

Wenn wir diese Flächen nach einigen Jahren wieder mit Getreide bestellen, das gilt es zu beweisen, werden sie resillienter und ertragreicher sein. Am Ende geht es ja darum, genau das zu beweisen: Eine ökologische, in die Zukunft gerichtete Landwirtschaft ist auf längere Sicht auch ökonomisch am vernünftigsten.

Im Sommer 2022 ist das Neuköllner Restaurant Marold zum Pop-up-Diner bei Gut & Bösel zu Gast. Foto: Gut & Bösel / Emanuel Finckenstein

„Es ist eine ganze Kaskade an positiven Effekten bezüglich der Biodiversität“

tipBerlin Kühe machen aber auch viel Mist.

Benedikt Bösel Durch die Kuhfladen wird ein unglaubliches Milieu an Insekten und Kleinstlebewesen angezogen, das lockt wiederum viele Vögel, es ist eine ganze Kaskade an positiven Effekten bezüglich der Biodiversität.

tipBerlin Nun produziert Gut & Bösel in erster Linie Bio-Getreide. Wie würden Sie das ohne Kühe machen?

Benedikt Bösel Als tierloser Betrieb kaufe ich Nährstoffe ein, beispielsweise in einer Futter-Mist-Kooperation. Wenn ich auf diese Weise also tausend Tonnen Mist kaufe, sind das 50 Sattelzüge, die erstmal hunderte Kilometer durch die Republik rollen müssen. Danach muss ich den Mist noch auf die Äcker bringen, mit einem schweren Traktor, einem schweren Anhänger, der Boden wird dadurch zusätzlich verdichtet. Zudem weiß ich nicht, wo der Mist herkommt.

Emissionsreiche Transporte können durch Kuhhaltung ersetzt werden

Benedikt Bösel Jetzt habe ich die Kühe: Die bringen mit ihren Füßen von allein die Nährstoffe dahin, wo wir sie haben wollen, ohne dass wir einen Traktor oder einen LKW bemühen müssen. Kühe sind wandelnde Komposteimer. In unseren Kühen steckt das Mikrobiom von Alt-Madlitz.

tipBerlin Welche Rassen weiden auf Ihren Äckern?

Benedikt Bösel Salers, eine alte französische Rasse, und Angusrinder. Das sind beides Rassen, die sich mit dem natürlichen Futter – Gräser, Klee, Kräuter – gut entwickeln können und die das ganze Jahr draußen bleiben können. Natürlich gibt es ganz, ganz viele Kuhrassen, die auf Leistung getrimmt und auf Kraftfutter gesetzt worden sind. Würde man die jetzt einfach aus ihren Ställen holen, würde das nicht natürlich funktionieren.

  • Gut & Bösel Schlossstraße 32, Briesen OT Alt Madlitz, Tel. 033607/219, online

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