Brandenburg

E-Werk Luckenwalde: Kunstgalerie mit eigenem Kraftwerk

Moderne Kunst benötigt viel Strom. Im E-Werk Luckenwalde denken Pablo Wendel und Helen Turner Kunst radikal neu – und produzieren ihren eigenen Strom für ihre Ausstellungen. So entsteht ein einzigartiges Projekt in einem DDR-Industriedenkmal, das allein wegen seiner Architektur schon einen Besuch wert ist.

Ein Raum auch ohne Kunst beeindruckend wäre: Der Turbinensaal des E-Werk Luckenwalde.
Ein Raum auch ohne Kunst beeindruckend wäre: Der Turbinensaal des E-Werk Luckenwalde. Foto: Imago/Eberhard Thonfeld

E-Werk Luckenwalde: Durch und durch Avantgarde

Als der Künstler Pablo Wendel die Stromrechnungen für seine Projekte nicht mehr bezahlen konnte, hatte er eine radikale Idee: Warum den Strom nicht einfach selbst erzeugen? Jahre später setzten er und seine Partnerin, die Kuratorin Helen Turner, diese Idee mit dem E-Werk Luckenwalde in die Tat um. Wendel und Turner haben das Kohlekraftwerk aus dem Jahr 1910 in der Kreisstadt eine halbe Stunde südlich von Berlin zu einem nachhaltigen Kraftwerk und einer Kunstgalerie umgebaut. Ihre Vision von Kunststrom – von und für die Kunst erzeugter Strom – steht im Mittelpunkt des Projekts, das die alten Produktionsmittel des Elektrizitätswerks nutzt, um einen avantgardistischen Ansatz für Kunst und Strom zu schaffen.

Herzstück des diesjährigen Programms (das E-Werk ist seit 2019 für die Öffentlichkeit zugänglich) ist die Ausstellung „POWER NIGHTS: Being Mothers“. Dafür sammeln Kuratorin Lucia Pietroiusti und Helen Turner, Katharina Worf sowie Adriana Tranca vom E-Werk über Monate Installationen, Filmarbeiten, Performances sowie partizipatorische Angebote. „Slow Curating“ nennt man diese Art Kuration. Nach und nach füllt sich so das E-Werk seit Oktober 2021 mit Kunst, einiges verschwindet auch wieder, aber alle kommen bei einem großen Live-Event im April zusammen.

Curated by Lucia Pietroiusti and E-WERK’s .

Derzeit ist im E-Werk zum Beispiel eine Sammlung trippiger Filmen im Home-Movie-Stil des Karrabing Film Collective, einer australischen gemeinnützigen indigenen Gruppe zu sehen. Im Zentrum steht „The Family (A Zombie Movie)“. In einem der kleineren Räume zeigt Himali Singh Soin „Static Range“, ein Stück mit mehreren Elementen, das von der seltsamen Geschichte eines angeblichen Lecks in einem Atomkraftwerk im indischen Himalaya inspiriert ist.

Der Geist des Widerstands prägt das E-Werk – damals und heute

Der Geist des alten E-Werks wird gleich bei der Ankunft in Form eines originalen Glasfensters im Eingangsbereich sichtbar: eine erhobene Faust, aus deren Mitte Blitze hervorgehen. Turner erklärt, dass die Behörden es nach dem Krieg rausreißen wollten, weil es eine faschistische Ikonographie sei. Es waren die ehemaligen Fabrikarbeiter, die für den Erhalt des Fensters kämpften und darauf hinwiesen, dass es die linke Faust ist, die erhoben ist, ein Symbol für die Macht der Arbeiter.

Die Ausstellungen, die sich mit Kolonialismus und Industrialismus und deren Auswirkungen auf die Umwelt beschäftigen, greifen diesen Geist des Widerstandes auf. Das gesamte Gebäude, einschließlich aller Multimedia-Ausstellungen, wird mit der eigenen nachhaltigen Energie des E-Werks betrieben, die auch in das Stromnetz eingespeist und für die Stromversorgung der Menschen in der Region verwendet wird.

Das Industriedenkmal E-Werk

Das E-Werk atmet industriellen Charme, mit seinen Decken, die jeden Altbau in den Schatten stellen, und einem Blick auf antike, pastellgrüne Maschinen überall. Besonders beeindruckend ist der Turbinensaal, in dem früher riesige energieerzeugende Turbinen standen und heute die Ausstellungen zu sehen sind.

Pastellgrüne Maschinen im E-Werk: Ästhetisch war das E-Werk Luckenwalde schon immer.
Pastellgrüne Maschinen im E-Werk: Ästhetisch war das E-Werk Luckenwalde schon immer. Foto: Imago/Eberhard Thonfeld

Ein Raum, der gleichzeitig so riesig und leer ist, strahlt eine gewisse Ruhe aus: Man fühlt sich mit der Kunst auf eine Art und Weise allein, wie es in traditionellen Galerien nur schwer möglich ist. Die beiden anderen Räume sind kleiner und heller. In allen drei Räumen finden das ganze Jahr über wechselnde Ausstellungen statt.

Vom Turbinenraum aus kann man einen Teil des Kraftwerks selbst sehen. Er ist einer der wichtigsten Räume bei der Stromerzeugung. Früher wurde hier Kohle in das Innere der Fabrik transportiert, heute sind es Holzhackschnitzel aus Waldbränden und gefällten Brandenburger Bäumen – der Rohstoff, aus dem das E-Werk seinen Strom gewinnt.

Durch die riesigen verglasten Flügeltüren hinter den Maschinen fällt Licht auf sie, das sie leuchten lässt. Dazu die Mischung aus raschelnden Holzspänen, die durch die Rutschen über dem Kopf fliegen, und dem süßen, fast benzinartigen Geruch von frischem Zellstoff und Metall. Eine angehende „Geruchskünstlerin“ (Sissel Tolaas) plant sogar, dieses Duftprofil für ihre Arbeit zu verwenden.

Luckenwalde: Eine Stadt der Arbeiter

Das E-Werk ist nicht das einzige architektonische Schmuckstück der Stadt. Berliner, die auf der Suche nach einer Wohnung sind, werden wahrscheinlich neidisch werden beim Anblick der vielen schönen verlassenen Gebäude in Luckenwalde, viele davon stillgelegte Fabriken, die mit erstaunlicher Liebe zum Detail gebaut wurden.

Die berühmte Hutfabrik, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Luckenwalde zu seinem bisherigen Zenit verhalf, wurde von Erich Mendelsohn im Stil des Expressionismus entworfen und trägt einen eigenen „Zylinder“. Das Stadtbad im Bauhaus-Stil war im vergangenen Sommer Schauplatz der Opern-Performance Sun & Sea (ein Gemeinschaftswerk von Lina Lapelytė, Vaiva Grainytė und Rugilė Barzdžiukaitė), präsentiert vom E-Werk.

Wer nach dem Erkunden der Überreste der Luckenwalder Industriekultur noch bleiben möchte, kann Marx stolz machen, indem er in der Arbeiterkantine einkehrt, einer Retro-Kantine, die deftige Gerichte im DDR-Stil serviert – für weniger als den Preis der Fahrt zurück nach Berlin. Die Kantine ist allerdings nur unter der Woche von 10 bis 14 Uhr geöffnet.

Am Wochenende bietet sich für den großen und den kleinen Hunger das klassMO an, ein kleines Kulturcafé, das von 10 bis 19 Uhr Kaffee, Kuchen und Mittagessen in großen Portionen serviert. Noch ein Vorschlag: Lasst den Tag danach mit einem Saunagang und einem Bad in der Fläming-Therme Luckenwalde ausklingen, einer schnörkellosen Therme, von der Einheimische behaupten, dass sie von bekannten Berlinern besucht wird.

Kunststrom auch für zu Hause

Ein besonderes Ereignis in diesem Jahr: die Enthüllung von Super Duty, einem amerikanischen Feuerwehrauto aus dem Jahr 1969 (natürlich auf eBay-Kleinanzeigen gekauft), das Pablo Wendel in einen tragbaren Kunststrom-Anbieter umbauen will. Man kann das E-Werk übrigens Kunststrom auch von zu Hause aus unterstützen und nebenbei nachhaltige Energie nutzen, indem man zum E-Werk als Energieversorger wechselt – ein relativ unkomplizierter Vorgang, der auf der Website ausführlich beschrieben wird.

Wie man dorthin kommt

Vom Südkreuz aus mit dem RE3 in Richtung Lutherstadt Wittenberg fahren und in Luckenwalde aussteigen. Von dort aus sind es noch 15 Minuten bis zum E-Werk, insgesamt dauert die Anreise vom Südkreuz aus eine knappe Stunde. Besuche nur nach Vereinbarung, Anmeldung über [email protected]. Der Eintritt in die Galerie ist frei.


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