Gastrotipp

Sebastian Leyer auf Gut Boltenhof: Feine Küche für den Ausflug aufs Land

Sebastian Leyer kocht auf Gut Boltenhof zwischen Oranienburg und Fürstenberg – glücklich, wer einen Koch engagiert und einen Gemüsegarten dazu bekommt. Seine Küche fühlt sich nach Urlaub an und schmeckt so konzentriert wie naheliegend. Sebastian Leyer war Sous-Chef im Pauly Saal und Küchenchef im Le Faubourg. In der Schorfheide beteibt er eine Permagärtnerei. Unser Redakteur hat seine fein zubereiteten Gerichte auf Gut Boltenhof gekostet.

Konzentrierte Küche auf Gut Boltenhof: Maräne aus dem Stechlinsee, Rinderschulter von der  Weide hinter dem Gutshaus. Foto: Clemens Niedenthal

Gut Boltenhof: Geschossener Salat wird zur Delikatesse

Das kennt man ja aus dem eigenen Hochbeet: Plötzlich ist der Salat geschossen und baumelt wie eine Laterne am dürren Stiel. Da kann man nix mehr machen, habe ich von der Oma gelernt, die wahrlich nicht verlegen darin war, alles und jedes im Garten einer effektiven Nutzung zu überführen. Sebastian Leyer aber macht aus dem Stiel der geschossenen Salatköpfe eine Vorspeise, eine grandiose Vorspeise. Dabei verarbeitet er die Stiele wie Spargel. Besser gesagt: So wie Sebastian Leyer Spargel verarbeiten würde.

Die Stiele geschält, auf dem japanischen Holzkohlegrill kurz, aber zackig angeröstet und zu einer Rapsemulsion serviert. Süß, bitter und ganz schön umami. Ein Teller so wie überhaupt der ganze Abend: puristisch, aber nicht freudlos. Schlau, aber nicht belehrend. Von hier, aber entgrenzt im Geschmack. Was sich genauso über den letzten Gang dieses sechsgängigen Menüs sagen ließe: Kaum marinierte Rote Bete, ein wunderbar saurer und ebenso schlonziger Quark – und ein Granité aus Sanddorn und Karotte. Erfrischender könnte man nicht in eine laue Brandenburger Nacht entlassen werden.

Land in Sicht: Permakulturgärtnerei in der Schorfheide

Was Bittersalate, Bete, Sanddorn und Karotte gemeinsam haben? Sie kommen allesamt aus dem Garten von Sebastian Leyer. Genauer, aus seiner Permakulturgärtnerei Hortus Tayta, die er mitten in der Pandemie gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Phuong Anh Tran in Groß Väter in der Schorfheide angelegt hat. Gut 25 Kilometer von Gut Boltenhof entfernt. Restaurants wie das Nobelhart & Schmutzig, das Kin Dee und das Frühstück 3000 gehören zu ihren Kunden.

Rechts steht er, der Koch von GUTess auf Gut Boltenhof: Sebastian Leyer. Foto: Boltenhof

Speisen auf Gut Boltenhof aus der Küche von Sebastian Leyer

Diese räumliche Nähe ist der eine Grund dafür, dass Leyer nun also die holzvertäfelten, angenehm zurückhaltend sanierten Räume des historischen Gutshauses rund eine halbe Stunde nördlich von Oranienburg bespielt.

Der andere Grund: Der Frühdreißiger mit dem dunkelblauen Shirt und dem drahtigen Körper ist nun einmal ein verflixt talentiertere Koch. Er war Sous-Chef im Pauly Saal auf der Auguststraße und vor gut zwei Jahren als Küchenchef im Le Faubourg am Kurfürstendamm gerade dabei, das radikal Lokale der Neuen Berliner Küche in eine für ein größeres Publikum verständliche Vollmundigkeit zu übersetzen, als die Launen eines Lockdowns zur zwischenzeitlichen Insolvenz seines Arbeitgebers führen sollte.

Im Lockdown stand für Leyer der Garten auf dem Programm

Ein Glück, dass Sebastian Leyer da schon seinen halb verfallenen Hof in Groß Väter hatte. Der zunehmend depressiven Stimmung seiner Branche entzog er sich aufs Land. Und wühlte sich, buchstäblich, durch die Theorie und Praxis der Humusbildung. Sebastian Leyer wurde ein Experte für Kompost. Und endgültig zu einem Koch, der jeden Teller vom Ausbringen der Saat oder der Aufzucht der Tiere zu denken begann.

Lieferanten gibt es auf Gut Boltenhof so gut wie keine. Gemüse, Salate und Kräuter kommen aus Leyers Garten. Rinder, Hühner oder Duroc-Schweine aus der biologischen Landwirtschaft des historischen Landguts selbst. Nur die Maränen, eine Art Süßwasser-Hering, werden jeden Donnerstag von der nahen Fischerei Stechlin geholt. Hier erfahrt ihr mehr über kleine Brandenburger Zuchten und Fischereibetriebe, die noch im Einklang mit der Natur arbeiten: Fangfrisch und lecker aus der Region.

Man kann die Dinge nicht nur Rot-Weiß betrachten. Die Hühner auf Gut Boltenhof können das schon. Foto: Clemens Niedenthal

Gut Boltenhof: Urlaub auf dem Bauernhof

Das Gut Boltenhof ist nicht nur dem Ortschild nach ein eigenes Dorf. Und eines der raren Landgüter, die der real existierende Sozialismus nicht mit betonrohen LPG-Stallungen überformt hat. Die grob gepflasterte zentrale Allee ist so alt wie das Gut selbst. Zur rechten liegen die historischen Wirtschaftsgebäude, die größtenteils zu Ferienwohnungen umgebaut sind. Manche verbringen hier ganze Monate, arbeiten an „Projekten“. Junge Familien kommen übers Wochenende. Immer um acht und um 16 Uhr werden die Tiere gefüttert. Ein großes Hallo. In der Marktscheune gibt es ein Frühstück, das es sich aufs Beste macht: gute handwerkliche Bio-Produkte, wenn nicht vom Hof, wie die selbstgebackenen Sauerteigbrötchen, dann ganz aus der Nähe.

Im Hofladen gibt es hausgemachte Bolognese im Glas, jede der zehn Ferienwohnungen hat ja eine komplette Küche. Darüber hinaus wird die Marktscheune nun wieder regelmäßig zur rustikalen Speisewirtschaft. Wer sich für Hofläden begeistert, wird auch auf diesen Höfen in Brandburg glücklich: Naturnahe Lebensmittel aus der Region.

Der Blick geht weit: im Gastraum von Gut Boltenhof. Foto: Clemens Niedenthal

Gut Boltenhof ist mehr als ein kulinarisches Highlight

Auch das ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den beiden anderen großartigen Produktküchen auf dem Weg von Berlin an die Ostsee, dem Forsthaus Strelitz und der Alten Schule in Fürstenhagen an der Mecklenburgische Seenplatte: Während Wenzel Pankratz (Forsthaus) und Daniel Schmidthaler (Alte Schule) zwei zeitgenössische Gourmet-Hide-Aways im Geiste des From-Farm-to-Table-Gedankens entwickelt haben, steuern die Elektroteslas und Reiserennräder Gut Boltenhof noch nicht nur ob seiner guten, radikal im Hier und Jetzt verwurzelten Küche an. 

Manch eine:r wird gerade das als entspannter empfinden. Oder einfach glücklich darüber sein, nicht nur gut essen, sondern auch gut wandern, radfahren, baden und saumselig sein zu können. Um dann am nächsten Abend einfach wieder gut zu essen. Vielleicht ja an der Bar. Sebastian Leyer und sein kleines Team, tatsächlich schmeißen sie das Restaurant GUTess im Gutshaus momentan nur zu zweit, arbeiten schon an einer kleinen Barkarte. Wir würden bald vorbeischauen. Und versprechen, schon 24 Stunden Boltenhof fühlen sich nach Urlaub an.

  • Gut Boltenhof Lindenallee 14, 16798 Fürstenberg/Havel, Tel. 033087 / 525 20, Restaurant Do–Sa ab 19 Uhr, Weideküche Sa, So+Mo, 12:30–15 Uhr, Hofladen & Café Mo-Do 15–17 Uhr, Fr–So 14–18 Uhr, Ferienwohnungen ab 125 €, online

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