Von den Schauspiel-Stars Philipp Hochmair und Lars Eidinger bis hin zum TV-Philosophen Richard David Precht: Das Lausitz Festival soll zwischen dem 24. August und dem 14. September eine abgeschiedene Region auf die kulturelle Landkarte bringen. Was Besucherinnen und Besucher im Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Sachsen erwarten können, lest ihr hier.
Lausitz Festival: Shakespeare in Weißwasser
Vielleicht ist ja der Lost Place einer Industriebrache in Weißwasser, dieser Schrumpfstadt in der Lausitz, das passende Biotop für Shakespeares Geisterkabinett. Auf dem früheren Gelände des einstigen Weltmarktführers Telux, dessen Beschäftigte einmal Meister des Lichts waren, weil sie Verglasungen für Lampen und andere Illuminierungsobjekte hergestellt haben, wollen sie den „Othello“-Stoff aufführen. Ein Drama über einen Feldherrn aus Venedig, der nach Verheerungen auf dem Schlachtfeld eine Friedenszeit erlebt – und von der Harmonie überfordert ist. Also wütet er wieder drauf los, im privaten Beziehungsgefüge, überwältigt von der Macht der Gewohnheit.
Ein junger Schauspieler führt Regie: Marcel Kohler, 33, ist Ensemblemitglied an der Schaubühne in Berlin und zuletzt auch im Kino aufgefallen, etwa in dem Ostidentitätsfilm „Alle reden übers Wetter“ von 2022. Den Othello gibt Leonard Burkhardt, Mitte 20, vom Nationaltheater Mannheim.
„Mit den Besonderheiten des Ortes“ solle das Stück zu tun haben, sagt Kohler. Die Stadt um die alte Glashütte herum taumelt ins Abseits: In Weißwasser, früher nicht nur Wirtschaftsstandort, sondern auch Mekka des Eishockeys, leben nur noch 16.000 Menschen. Zur Wendezeit waren es noch knapp 40.000.
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Gedacht ist die Adaption des Shakespeare-Klassikers nun als Stationenreise durch Hallen und Gänge der stillgelegten Fabrik, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Heute ist dort ein soziokulturelles Zentrum angesiedelt. Das Publikum soll den Darstellern folgen, zwischen alten Öfen und zersprungen Fenstern, in diesem Monument der Hochindustrialisierung, wo es staubt, modrig riecht, überhaupt Mad-Max-Vibes in der Luft liegen. Wie artgerecht: Die Theatermacher haben Requisiten auch von Schrottplätzen in der näheren Umgebung abgezweigt. Ergänzt wird das Originalmaterial des kanonischen Dramatikers aus Stratford-upon-Avon um einen aktuellen Text namens „Die Fremden“.
Der Spuk wird das stimmungsvollste Happening des Lausitz Festivals zwischen dem 24. August und 14. September. Dieses Mehrspartenereignis leitet nunmehr schon zum fünften Mal das Magma namhaft besetzter Produktionen in den entlegenen Südosten der Republik, deren sozioökonomische Lage mit dem Modewort „Strukturwandel“ etikettiert ist. Die Braunkohle-Industrie verschwindet dort. Auch sonst war das produzierende Gewerbe in dieser Gegend, teils brandenburgisches und teils sächsisches Landesterritorium, schon einmal erfolgreicher. So bildet das Lausitz Festival das ostdeutsche Komplementär zur Ruhrtriennale, jener Großveranstaltung im Revier, die im Umfeld von Zeche, Arbeitersiedlung und Stahlwerk schon seit mehr als zwei Jahrzehnten für Belebung sorgt.
Lausitz Festival: Das Motto lautet „Anderselbst“
4,5 Millionen Euro beträgt das Budget der Sommerauszeit in einer Region, die im Schatten von Berlin, Leipzig und Dresden steht – und dennoch ein Dauerpolitikum ist. Damit kann man sich schon ein paar bekannte Namen leisten. Der Schauspieler Philipp Hochmair, der schon am Burgtheater, am Thalia Theater und am Deutschen Theater auf den Brettern war, bringt Kafkas „Prozess“ in einer Solo-Performance auf die Bühne. Er ersetzt damit die Regie-Legende Claus Peymann, der krankheitsbedingt ausgefallen ist und ursprünglich „Ein Bericht für eine Akademie“, ebenfalls ein Prosawerk Kafkas, verarbeiten wollte. Christine Hoppe und Thomas Eisen, Darsteller am Staatsschauspiel Dresden, erproben außerdem eine szenische Lesung des neuen Romans der tschechischen Autorinneninstanz Radka Denemarkovà. Am finalen Abend legt Lars Eidinger ein paar Tanzbodenhits auf.
Zwischendurch diskutieren Stimmen wie Carl Hegemann, Susan Neiman, Armin Petras und Richard David Precht über politische Topics. Das Festival gastiert nicht nur in Weißwasser, sondern zum Beispiel auch in Cottbus und Görlitz, in Bad Muskau, Guben und Finsterwalde. Es sind rund 60 Veranstaltungen an 30 Orten. Darunter Kulturstätten ebenso wie die freie Wildbahn.
Daniel Kühnel, der künstlerische Leiter, ist Gründungsintendant des Festivals. Ein feinnerviger Typ, der aus der Musikwelt kommt und auch die Hamburger Symphoniker managt. Ihn begeistert das Festivalmotto „Anderselbst“. Der Begriff soll die Offenheit der menschlichen Persönlichkeit für neue Wesensanteile beschreiben. Das Training der erforderlichen Membranen könnte vor allem AfD-Wählern helfen, die ja ziemlich arg Veränderungen scheuen, ob wegen Zuwanderung oder Klimawandel. Die rechtsextreme Partei versammelt im Landstrich die Massen hinter sich. Man darf die Rede vom „Anderselbst“ als Appell deuten.
Am ersten Abend des Lausitz Festivals wird übrigens auf dem Görlitzer Obermarkt der alte Beethoven intoniert. Genaugenommen der vierte Satz der 9. Symphonie samt „Ode an die Freude“, mithilfe der Neuen Lausitzer Philharmonie, internationaler Solistinnen sowie eines Chors einheimischer Sänger. „Freude schöner Lausitzfunken“, so wird die Hymne im Titel der Veranstaltung in lokalpatriotischer Manier umgewidmet. Das Publikum soll mitsummen. Etwas präsidial ist das schon. Vor dem Hintergrund der Altstadtkulisse an der Neiße könnte das Singspiel aber ein Anblick liefern, der instagrammable ist.
Highlights des Lausitz Festivals
- Freude schöner Lausitzfunken Beethovens 4. Satz als kollektives Chorerlebnis im Görlitzer Stadtzentrum. Sa 24.8., Obermarkt, Görlitz, Eintritt frei
- Othello / Die Fremden Neu-Adaption des Shakespeare-Stoffs in postindustrieller Umgebung. Mit Leonard Burkhardt, Götz Schubert und Linn Reusse in tragenden Rollen. So 25.8. (ausverkauft), Di 27.8., Mi 28.8., jeweils 19.30 Uhr, Danner-Halle, Telux-Gelände, Str. der Einheit 20, Weißwasser
- Franz Kafka: Der Prozess Eine Solo-Performance des Schauspielers Philipp Hochmair. So 8.9., 18.30 Uhr, Di 10.9.–Do 12. 9., jeweils 19.30 Uhr, Lichtsaal, Telux-Gelände, Str. der Einheit 20, Weißwasser
- Radka Denemarková: Das Geld von Hitler Das poetische Gewissen Tschechiens wird die 56-jährige Schriftstellerin genannt. Die Schauspieler Christine Hoppe und Thomas Eisen bieten eine szenische Lesung, die Autorin ist anwesend. Sa 7.9., 19.30 Uhr, Gleis 1 im Bahnhof Görlitz, Bahnhofstr. 76, Görlitz
- Die verlorenen Spiegel Ausstellung im Neuen Schloss von Bad Muskau, die sich mit Märchen und Mythen beschäftigt. Zu sehen sind u. a. Werke von Andreas Gursky und Ana Zibelnik. Di 27.8–So 27.10., Mo–So, jeweils 10–18 Uhr, Neues Schloss, Fürst-Pückler-Park, Bad Muskau
- Lausitz Labor „Für Alle.“ Hier werden Sinn und Zweck der Philosophie fürs Verständnis der Gegenwart erörtert. Fr 6.9., 11–13.30 Uhr „Die Anmaßung der Philosophie“ mit Alex Demirović und Anne Eusterschulte, 15–17 Uhr „Das Bedürfnis der Philosophie“ mit Susan Neiman, Richard David Precht, Altes Stadthaus, Altmarkt 21, Cottbus
- Clubnacht Lars Eidinger und DJ Heimlich Knüller bringen tanzbares Material von Berlin nach Cottbus. Sa 14.9., Scandale, Kultursiedlung „Bunter Bahnhof“, Güterzufuhrstr. 8, Cottbus
Mehr Veranstaltungen auf der Website des Lausitz Festivals
Mehr Tipps für Aktivitäten in Brandenburg
Die Gegend ist einen kulinarischen Trip wert: Im Landkreis Oberspreewald-Lausitz behauptet sich eine Fülle von guten Restaurants. Wer sportliche Betätigung sucht, springt am besten in eines der vielen natürlichen Gewässer: Schöne Seen in Brandenburg, von Gorinsee bis Schermützelsee. Ebenso etwas für aktive Menschen: das Radwegenetz. Eine atmosphärische dichte Radtour in Brandenburg führt durch den Müritz-Nationalpark zu Schloss Mirow.