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Mit dem Rennrad in Berlin: Vom Kauf im Vintage-Shop bis zum gefürchteten Anstieg

Ein altes Rennrad kaufen und einfach losfahren? Kostet etwas Recherche, ist aber durchaus beglückend. Notizen aus Berlin , jener Stadt, in der einmal sogar die Tour de France startete. Verfasst von unserem Rennrad-begeisterten Autor Jochen Overbeck.

Der in Berlin lebende Autor Jochen Overbeck testete sein neues Rennrad auf dem Kronprinzessinnenweg. Foto: Patricia Schichl
Der in Berlin lebende Autor Jochen Overbeck testete sein neues Rennrad auf dem Kronprinzessinnenweg. Foto: Patricia Schichl

Berlin liegt heute im Schwarzwald, wenigstens eine Viertelstunde lang. Der Grunewaldturm ist die Aussichtsplattform am Feldberg, die Havelchaussee die Hochstraße. Auf dem Asphalt steht in Großbuchstaben mein Name, am Straßenrand ein Spalier von Fans, die mir die Trinkflasche reichen. Ich schalte, gehe aus dem Sattel, trete an. Ich bin Jan Ullrich (die Version aus den frühen 90ern, wohlgemerkt). Oder Marco Pantani. Oder Eddie Merckx. Ich lege noch einmal eine Schippe drauf und fahre so schnell, wie ich kann. 900 Meter lang geht es bergauf. Mit durchschnittlich fünf Prozent Steigung. „Der gefürchtete Anstieg zum Grunewaldturm“, steht im Internet. „Willi“ wird der Berg im Volksmund genannt, die Gründe hierfür sind mir nicht bekannt.

Die erste Tour mit dem eigenen Rennrad in Berlin – der gefürchtete Anstieg zum Grunewaldturm

Oben mache ich erstmal Pause. Beim Absteigen stürze ich beinahe, ich habe mich noch nicht an die Schlaufenpedale gewöhnt. Eine Gruppe anderer Rennradler gleitet scheinbar mühelos an mir vorbei und fragt, ob alles in Ordnung sei. Ich bin zu erschöpft, um zu antworten, aber auch stolz auf mich: Es ist meine erste Tour mit meinem ersten Rennrad.

Ich fahre gerne Rad. In der Stadt sowieso, aber auch am Wochenende, wenn ich etwas Zeit habe. Ich habe das bisher alles mit meiner alten, aber immer gut gepflegten Stadt-Mühle erledigt. An der Havel nach Oranienburg, über Wandlitz zurück in die Stadt. Einmal den Panke-Radweg hoch nach Bernau, dann noch 25 Kilometer weiter, mit dem Regio wieder nach Berlin.

Zur wunderbaren Heilandskirche in Sacrow, westwärts nach Potsdam und dann immer am Teltowkanal entlang bis Neukölln. Und eben manchmal die Charlottenburger Hausstrecke. Hoch nach Spandau, vorm Ikea scharf links. Dann geradeaus, auf die legendäre Havelchaussee und über den Kronprinzessinenweg, auf dem Autos verboten sind, zurück nach Grunewald oder umgekehrt. Das waren keine langen Touren. 60, 70, manchmal 100 Kilometer. Aber sie machten Lust auf mehr. Mehr Strecke. Mehr Geschwindigkeit. Und irgendwie auch mehr Stil, denn eines ist ja klar: Die Ästhetik des Rennradsportes ist unübertroffen.

Schauen sie sich eine beliebige Tour-De-France-Etappe aus den letzten 50 Jahren an. Mont Ventoux. Les deux Alpes. Oder eine Ausreißergruppe bei ihrem Ritt durchs französische Flachland. Das ist Musik. Manchmal hart und groovy, wie ein Song von Rage Against The Machine. Und manchmal elegant fließend wie Eighties-Wave. Da will man doch mitmachen!

Berlin ließ sich den Start der Tour de France mindestens drei Millionen Euro kosten

Apropos Tour de France. Die hat auch schon einmal in Berlin Halt gemacht. Sie blieb satte drei Tage lang. 1987, die Stadt wurde 750 Jahre alt, bestritten die Fahrer den Prolog, eine gewöhnliche Etappe und ein Mannschaftszeitfahren in der Stadt. Der Pole Lech Piasecki holte das Gelbe Trikot, und es ist immer noch ein großes Vergnügen, auf Youtube nachzuverfolgen, wie er und seine Kollegen in der City West Strecke machten.

Die Route führte sie einmal durch alle zwölf West-Berliner Altbezirke, von der Straße des 17. Juni in einem großen Nord-Bogen nach Wannsee und über Steglitz wieder zurück. Ziel war das Rathaus Schöneberg, damals Regierungssitz. Drei Millionen D-Mark kostete die Stadt das Vergnügen, die Gesamtausgaben lagen noch einmal eineinhalb Millionen Mark höher. Danach ging’s nach Karlsruhe – natürlich mit dem Flugzeug: Ein komplettes Radrennen wollten die Funktionäre der DDR, die ob des Trubels, der da direkt vor ihrer Haustür stattfand, nur mäßig amüsiert waren, dann doch nicht durch ihr Land lassen.

Berlin hatte aber auch seine eigenen Rennen. Zum Beispiel den Velothon, der 2019 überraschend pausieren musste, 2020 als „Velocity“ wieder an den Start gehen sollte, nun aber coronabedingt ausfällt. Ein Jedermannrennen, das erstmals 2008 ausgetragen wurde und bei dem der Radler die Wahl zwischen zwei verschiedenen Strecken hat: 60 und 120 Kilometer. Mit den Jahren kamen weitere Varianten dazu.

Berlin hat eine lange Radsportgeschichte

Die Geschichte des Radsports in der Stadt ist natürlich wesentlich älter: Der erste dokumentierte Wettbewerb fand 1891 statt: Das große „Konkurrenz-Kunstfahren“ stieg am Rande des 6. Kongresses der Allgemeinen Radfahrer-Union. Fünf Jahre später gründete sich der Deutsche Rennfahrerverband. Gleichzeitig gab es die ersten richtigen Rennen, etwa das legendäre „Rund um Berlin“, eines der ältesten Straßenrennen der Welt, das bis Anfang des Jahrtausends ausgetragen wurde.

Ein anderer Schnack waren die Hallenrennen. Mehrere Tage dauerten die Veranstaltungen, gleichzeitig Sport-Großereignis und Rummel. Im Schöneberger Sportpalast fanden sie statt, aber auch auf der Friedenauer Rennbahn: Beim „Goldenen Rad“ waren vor allem Schrittmacherfähigkeiten von Bedeutung, so eine Notiz in der „Illustrierten Zeitung“ vom 18. Mai 1899, wo auch die Bestzeit verkündet wird: Ein gewisser Walters aus Großbritannien braucht für die 100 Kilometer zwei Stunden, zwei Minuten und 7,6 Sekunden.

Der Lenker glänzt dank frischer Bandarole. Foto: Patricia Schichl.
Der Lenker glänzt dank frischer Bandarole. Foto: Patricia Schichl.

Ein guter Schnitt. Keiner, bei dem ich mitkommen werde. Aber der Wille ist da! Die Suche nach einem entsprechenden Untersatz führt mich zu Ebay Kleinanzeigen. Ein schneeweißes Peugeot-Rennrad mit gelb-orange-roter Bandarole wartet in Friedenau. Es sei ein Modell aus den späten 70er-Jahren, steht da, ansonsten eigentlich nur noch: „Kaufen und losfahren. ;)“.

Das Ironie-Smiley hätte mir Warnung genug sein sollen. In Friedenau stelle ich fest, dass das Rad auf dem Foto recht gut aussehen mag, aber in einem beklagenswerten Zustand ist. Die Ritzel am Hinterrad? Komplett hinüber, die Kette ohnehin. Die Pedale haben viel zu viel Spiel, auch der Lenker wackelt. Ich setze mich kurz drauf, fahre ein paar Meter, stelle fest: Der Rahmen ist komplett verzogen. Als der Verkäufer bemerkt, dass ich das Rad nicht möchte, geht er zweimal mit dem Preis runter. Als ich es immer noch nicht möchte, pöbelt er mich an, warum ich seine Zeit stehlen würde.

Räder von Bianchi sind in der Szene beliebt. Foto: Patricia Schichl
Räder von Bianchi sind in der Szene beliebt. Foto: Patricia Schichl

Am Tag danach besuche ich einen Laden. Beziehungsweise: einen Laden, der gleichzeitig ein Café ist. Bei Steel Vintage in der Auguststraße ist es wirklich sehr schön. An den Wänden hängen nicht nur alte Trikots, die von längst vergangenen Zeiten zeugen, sondern auch einige wunderbare Räder. Weitere stehen an den Wänden, und es macht große Freude, sie anzuschauen.

Es handelt sich allerdings um Oldtimer. Bianchi-Modelle aus den 50er-Jahren. Das liegt nicht nur preislich außerhalb meiner Reichweite, sondern ist auch nicht das, was ich suche. Auch wenn es in der Wohnung stehen wird: Es soll nicht so wertvoll sein, dass ich schon Angst habe, wenn ich mir irgendwo am Streckenrand ein Eis hole. Später schaue ich auf der Homepage, was Steel Vintage noch so im Angebot hat. Es sind die großen Namen der Radsport-Geschichte. Colnago. Pinarello. Cinelli. Nicht alle Räder sind so teuer wie die im Laden. Jene, die mir am besten gefallen, leider schon.

Erfolgreich bin ich mit meiner Suche am Ende bei Instagram. „Radspeicher“ heißt der Account, in dem sich Rennrad an Rennrad reiht. Andreas hat eigentlich einen ganz anderen Beruf, er macht das mit den Fahrrädern eher nebenbei, aber mit großer Leidenschaft. Eines Abends stehe ich in Neukölln, nicht weit vom Landwehrkanal in seiner Wohnung, die, wie auch das Dachgeschoss darüber, mit Rennrädern vollgestellt ist. Dass Andreas es ernst meint, merke ich daran, dass er mir das Fahrrad, das ich eigentlich möchte, nicht unbedingt verkaufen will. Beziehungsweise: dass er davon abrät. „Das ist einfach zu klein für dich“, sagt er. Schade, das ungefahrene Modell aus den 70er-Jahren, hergestellt von den Österreichern Puch, hätte mir gut gefallen. Stattdessen entscheide ich mich für ein blitzeblankes Bianchi Rekord 905.

Das war in den 80er-Jahren das Einstiegsmodell der italienischen Rennradschmiede, als genau das wird es auch mir gute Dienste leisten. Es sieht aus, als käme es frisch aus dem Laden, was sicher daran liegt, dass es kaum gefahren wurde, es gehörte vorher einem alten Mann in Hof. Es liegt aber auch daran, dass Andreas Fahrräder liebt. So sehr, dass er sie erst einmal auseinandernimmt und jedem Einzelteil seine maximale Zuneigung schenkt. Das Bianchi ist fliederfarben. Wäre es in der klassischen Bianchi-Farbe gehalten, die Celeste heißt und ihren Ursprung angeblich in der Augenfarbe der italienischen Königin Margherita hat (andere sagen, beim italienischen Militär war damals, vor bald 100 Jahren, einfach sehr viel Lack in dieser Farbe übrig), wäre es teurer gewesen, sagt er.

Ist mit seinem Rad mehr als glücklich: Jochen Overbeck kaufte sein Rad bei Andreas, der den Instagram-Account Radspeicher betreibt. Foto: Patricia Schichl
Ist mit seinem Rad mehr als glücklich: Jochen Overbeck kaufte sein Rad bei Andreas, der den Instagram-Account „Radspeicher“ betreibt. Foto: Patricia Schichl

Jetzt, wo ich noch nicht ganz unfallfrei absteige, wo ich es am Lenker nehme und die paar Meter zum Turm schiebe, um es dort anzulehnen und ein paar Schluck aus meiner Trinkflasche zu nehmen, stelle ich fest: Die Farbe, die in den einschlägigen Foren im Internet als „wirklich unmöglich“ bezeichnet wird, gefällt mir gut. Und ich bin damit nicht alleine. Ein anderer Radler fährt vorbei. „Nice bike“, sagt er und steuert seines zurück Richtung Havelchaussee, zurück Richtung „Willi“. Warum die Strecke so heißt, recherchiere ich abends: Eigentlich heißt der Grunewaldturm „König-Wilhelm-I-Gedächtnisturm“. Was man nicht alles lernt beim Rennradfahren.


Rennräder in Vintage-Optik – die besten Adressen in Berlin

https://www.instagram.com/p/B_5O5BjAulx/
  • Radspeicher Kleine, aber feine Auswahl an gut gewarteten Vintage-Rädern. Preise meistens zwischen 200 und 600 Euro, www.instagram.com/radspeicher
  • Steel Vintage Mit den beiden Filialen in Mitte (Wilhelmstraße 91 und Auguststraße 91) der Platzhirsch in Berlin. Dort gibt es neben frisch geröstetem Kaffee und einem ziemlich guten Rührei auch Merchandise, Retro-Ersatzteile und Zubehör wie Radlermützen und -schuhe. Für die komplette Auswahl an Fahrrädern lohnt ein Blick auf die Homepage. Preise: 600 bis 8.000 Euro, www.steel-vintage.com
  • Vintage Velo Gutes Angebot im Online-Shop wie auch im Showroom in Friedrichshain (Petersburger Platz 2). Angeboten werden Räder aus den 60er- bis 90er-Jahren, der Fokus liegt dabei auf High-End-Maschinen, die eigens für den professionellen Radsport gefertigt wurden. 800 bis 3.500 Euro. www.vintageveloberlin.de
  • Cicli Berlinetta In Sachen italienische Rennrad-Geschichte führt an dem Laden in Prenzlauer Berg kein Weg vorbei. Große Auswahl an Rädern von Colnago, De Rosa, Pinarello und Co. Preise: ab 800 Euro, nach oben offen. Das teuerste Rad auf der Homepage liegt bei 25.000 Euro, www.cicli-berlinetta.com
  • Der Radrenner Überwiegend Räder aus den 70er- und 80er-Jahren am Boxhagener Platz. Preise beginnen bei 350 Euro, www.radrenner.berlin

Rennrad in Berlin – Ausflüge und Reparaturservice

Ihr liebt es, Rad zu fahren, die Stadt ist euch aber zu voll? Dann macht doch einen Ausflug nach Brandenburg, diese Strecken im Umland empfehlen wir euch wärmstens. Mal wieder ein Problem, das ihr nicht selbst beheben könnt? Dann wendet euch vertrauensvoll an einen dieser Fahrradläden, die euch bei euren Problemen unterstützen.

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