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Erste Klasse im ICE: Wird Zeit für was Neues

Bahnfahren in der ersten Klasse, reisen wie Adelsgeschlechter. Viel Beinfreiheit, um die Testikel zu schonen, die Fortpflanzung der Eliten zu sichern; gastronomischer Service, um die königliche Fruchtbarkeit zu erhalten; Unbegrenztes W-Lan, um die Schnurr zum Nabel der Zeit nicht zu trennen, zu wissen, wer denn nun Nachwuchs erwartet. Hier sind sie unter sich, Menschen mit Geld. Ihre Sitze weit auseinander, ihre Glieder gemütlich gestreckt. Währenddessen stapeln sich in den anderen Waggons die Körper, ein Menscheneintopf gärt im eigenen Schweiß. Eine Corona-Gulaschkanone. Die Deutsche Bahn sollte deshalb die erste Klasse in ihren ICEs überdenken.

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Erste Klasse im ICE: Ungenutztes Potential der Bahn

Diskussionen um die erste Klasse gibt es immer wieder. Zuletzt war es Linken-Politiker und Bundestagsabgeordneter Bernd Riexinger, der auf eine Abschaffung pochte. Das war 2019. Er kam nicht durch. Der Bahnbeauftragte und CDU-Politiker Enak Ferlemann warf ihm „sozialistische Gleichmacherei“ vor. Mag sein, die kann heute jedoch, in Zeiten der Inzidenzen, Ansteckungsrisiken, Lockdowns, nicht schaden. Geht es doch darum, den Einzelnen zum Wohle aller zu schützen. Wie es momentan in der Bahn läuft, funktioniert das aber nicht.

Die zweite Klasse ist oft überfüllt. Zwar ist es nicht mehr möglich, Plätze nebeneinander zu reservieren, nur bringt das wenig, wenn Sitznachbar:innen nicht per se verboten sind. Die Waggons können weiterhin voll ausgelastet werden. Und das werden sie, besonders während der Urlaubssaison. Geht es in den Zweite-Klasse-Wagen zu wie in einem Amazon-Lager zur Weihnachtszeit, bleibt die erste Klasse hingegen häufig leer. Vereinzelt finden sich, pardon, Poloshirt-Enthusiasten, die es sich bequem machen. Vor, hinter, neben ihnen: freie Bänke. Und nebenan suhlen sich die anderen in ihren Aerosolen.

Grundsätzlich sollen Klimaanlagen und Masken für ein geringeres Ansteckungsrisiko in öffentlichen Verkehrsmitteln sorgen, zeigt etwa eine Untersuchung der Deutschen Luft- und Raumfahrtbehörde hier. Ein Freifahrtschein ist das aber nicht. Ob sich ein Fahrgast ansteckt, hängt unter anderem auch davon ab, wie Kontaktdauer und Abstand zu einer infizierten Person ausfallen. Zunächst sind Corona-Tests für ICE-Fahrten nicht nötig. Streng genommen könnte jeder Fahrgast infiziert sein. Streng genommen. Sitzen wir also für mehrere Stunden neben einer erkrankten Person, etwa von Berlin nach Düsseldorf, besteht trotz Lüftung ein Risiko.

Erstmal muss die erste Klasse nicht abgeschafft werden

Gäbe es die erste Klasse nicht, stünden im Schnitt zwei bis vier Waggons mehr zu Verfügung. Deutlich mehr Platz, um die Herde auseinanderzutreiben. Jetzt bestehen einige auf ihr Privileg, eine komfortablere, wenngleich teurere Reise anzutreten. Das gilt gerade für Berufspendler:innen. Damit diese nicht frustriert ins Flugzeug wechseln, könnte die DB eine Sonderregelung einführen: Je nach Auslastung, öffnen sie die erste Klasse für alle. Dafür müsste das Servicepersonal sich lediglich regelmäßig einen Überblick verschaffen. Die DB könnte so weiterhin feigenblattrige Schutzmaßnahmen wie die Platzreservierungen beibehalten und Erste-Klasse-Passagiere ihre Privilegien.

Über die Pandemie hinaus wäre es hingegen sinnvoller sich der „sozialistischen Gleichmacherei“ hinzugeben, die erste Klasse ganz abzuschaffen. Die Bahn hat ein nachhaltiges Image, nur wird sie dem nicht gerecht, wenn sie stets fast leere Waggons durch Deutschland kurvt. Füllen könnten sie Menschen, die zwischen Auto und Bahn abwägen, es aber weder einsehen, in einen voll ausgelasteten Zug zu steigen noch bis zu 50 Euro mehr für eine Fahrt zu bezahlen. Und ja: Alle Ureinwohner:innen der ersten Klasse könnten vergrault werden. Hinsichtlich ihrer Menge ist der Konjunktiv aber verkraftbar.


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