Michelin-Sterne

Ausgezeichnet! Berlin hat vier neue Sternelokale

Und einmal mehr erzählen die Entscheidungen des Guide Michelin viel vom kulinarischen Zeitgeist und der Verfasstheit des Restaurantführers selbst. Vier Ortstermine

Ernst Restaurant,Foto: Maidje Meergans

Dieser Stern war erwartbar. Genauso, dass es für das noch immer junge Restaurant Ernst noch kein zweiter geworden ist. Dylan Watson-Brawn sah das anders und hat erst einmal sichtlich geschmollt. Vielleicht hatte das kanadische Wunderkind mit dem japanischen Produktverständnis und dem Hang zum gar ins Protestantische abgleitenden Minimalismus einfach nicht verstanden, dass hier „nur“ die deutschen Michelin-Sterne vergeben worden sind. Und die tun sich mit Neuerungen, zumal solchen, die dem frankophilen Kochhandwerk und der bürgerlichen Etikette so radikal widersprechen, noch immer schwer.

Richtig ist, dass das im Wedding versteckte Ernst eine Herausforderung bleibt. Eine einzelne Möhre, die noch am Mittag in der Erde war. Ein Toffee aus dem Fett des Mangalica-Schweins. Als ein Seminar haben manche den Besuch im Ernst beschrieben. Und das durchaus voller Begeisterung gemeint. Dass auch Billy Wagner und sein Nobelhart & Schmutzig erneut vergeblich auf den zweiten Stern gewartet haben, legt zudem den Verdacht nahe, dass dieser radikale Fokus auf das Produkt und seine Produktionsbedingungen für die Michelin-Tester noch immer eher ein Zeitgeist sind als notwenige Grundbedingung für jede hochwertige zeitgenössische Küche.

Ernst Restaurant Gerichtstr. 54, Wedding, www.ernstberlin.de

Savu,Foto: Tommi Anttonen

Dieser Stern ist alte Schule. Tatsächlich ­hatte Sauli Kemppainen ja schon einmal einen. Und zwar ebenfalls in Berlin, wo der Finne ab 2009 Küchenchef des Quadriga im Brandenburger Hof war. An einen herausragenden Handwerker (und Lehrmeister) erinnern sich alle, die damals unter ihm gearbeitet haben. Im erst 2018 eröffneten eigenen Restaurant Savu auf dem Kurfürstendamm hat sich Kemppainen durchaus zeitgenössisch weiterentwickelt, ohne den eigenen, in diesem wie jenem Sinn kraftvollen Stil zu verleugnen. Sauli Kempainen steht schon noch auf und er steht noch für die großen Gesten der gehobenen Gastronomie. Das Drüberhobeln etwa, ob es nun italienischer Wintertrüffel oder ein getrocknetes Rentierherz ist. Die auf dem Papier durchaus wilde Mischung seiner Küche – nordisch, spanisch, italienisch – wird gerade durch diese starke Persönlichkeit zusammengehalten. Was auf den Tellern passiert ist eine (rauch-)aromenintensive Ansage, der man als Gast verlässlich folgen kann.

Das Savu mag diesen Stern dennoch als Aufforderung nehmen, auch atmosphärisch ein wenig mehr Wagnis und Zeitgenossenschaft zuzulassen. Mit dem jungen Sommelier Serhat Aktas wurde Anfang des Jahres schon mal ein Anfang gemacht.

Savu Kurfürstendamm 160, Wilmersdorf, www.savu.berlin

Coda Dessert & Dining Bar, Foto: Ett La Benn

Auf diesen Stern hatten wir gewettet. Und zwar bereits im vergangenen Jahr, als mit dem Cookies Cream deutschlandweit erstmals ein rein vegetarisches Restaurant mit einem Stern ausgezeichnet war. Dieser Stern war verdient und schmeckte doch auch strategisch. Das Neue, das Junge, das Lebensstilige – der altehrwürdigste unter den Restaurantführern hat sich auf der Suche nach der eigenen Relevanz und Zukunftsfähigkeit in diesem Jahr an diese wunderbar zurückhaltend designte Theke in der Friedelstraße gesetzt. Ein Lokal, dass sich einzig dem Nachtisch widmet, hat nun einen Stern. Das sei doch mal eine Pointe.

Immerhin: Den gastgebenden Küchenchef dürften sie damit kaum überrascht haben. Frank kam aus einem Drei-Sterne-Haus nach Berlin. Ironischerweise aber auch, um sich von den Erwartungen und Etiketten der Sterneküche erst einmal zu lösen. Löst sich jetzt auch der Guide Michelin? Aber die nie nur süßen Dessertgänge in der Coda Dessert & Dining Bar wissen doch genau um jenes Spiel mit den Aromen, Konsistenzen und Aggregatzustäden, das einer handwerklich herausragenden Küche jenes geradezu Zauberhafte gibt. So gesehen ist René Frank ein geradezu typischer Sternekoch – nur ist seine Coda Bar eben auch schon ein paar Schritte weiter.

Coda Dessert & Dining Bar Friedelstr. 47, Neukölln, www.coda-berlin.com

Kin Dee, Foto: Lena Ganssmann

Dieser Stern kam aus heiterem Himmel. Und es darf als verbürgt gelten, dass Dalad Kambhu den Anruf des Guide Michelin zunächst noch für einen Hoax gehalten hatte. Ein thailändisches Lokal, in dem regional-saisonale Zutaten zu einem Vier-Gang-Menü verarbeitet werden? Zum tischweisen Teilen für 48 Euro pro Person? Gut, das Kin Dee gehört zur Grill-Royal-Familie, einer verlässlichen Adresse für ­kompetente wie lässige Gastgeberschaft. Zudem funktioniert dieses Lokal kaum nach den Regeln der Haute Cuisine: Schon wegen der zwölf Quadratmeter kleinen Küche, in der die Autodidaktin Kambhu mit ihren beiden Köchinnen steht.

Dabei ist dieser Stern ist wichtig. Ganz unbedingt. Weil Dalad Kambhu eine der politischsten Köch*innen dieser Stadt ist und ihr die Arbeitsverhältnisse in der Küche genauso wichtig sind wie die Klimabilanz des Brandenburger Kohlgemüses. Und weil ja auch die deutschen Michelin-Tester mal begreifen mussten, das herausragendes Essen nicht erst jenseits der 100 Euro beginnt. Dieser Stern sollte für den Guide Michelin der Beginn eines Umdenkens sein (hin zum Produkt, weg vom Prätentiösen) und kein popkulinarisches oder gar politisch korrektes Feigenblatt bleiben. Letzteres hätte eines der wunderbarsten Restaurants dieser Stadt nicht verdient.

Kin Dee Lützowstr. 81, Tiergarten, www.kindeeberlin.com

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