Fine Dining

Brandenburg am Meer: Ein Besuch im Bandol sur Mer in Mitte

Sterneküche von unten: Mit dem Bandol sur Mer weitete sich vor drei Jahren die Vorstellung davon, was Fine Dining in Berlin ist. Wir haben den kleinen Laden und seinen großen Koch Andy Saul noch einmal besucht

Fermentierter Rotkohl: Alte Kochtechniken und lokales Gemüse. Foto: F. Anthea Schaap

Welch wunderbarer Boom  an guten Restaurants in Berlin in den vergangenen Jahren. Die deutsche Kapitale entpuppt sich als Food-Metropole von europäischem Rang. Nicht so einfach für jedes einzelne Restaurant, zumal für die nicht gerade brandneuen, da von sich reden zu machen. Das „Bandol sur mer“ gibt es nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt, ein ziemliches Alter für ein feines Restaurant im heutigen Berlin.

Die Beständigkeit des Lokals spricht aber dafür, wieder einmal vorbeizuschauen. Es hat sich in mancher Hinsicht gewandelt, ist nun ein anderes als früher – und wohl besser denn je. Was auch und vor allem Andy Saul zu verdanken ist, dem Küchenchef und, seit rund einem Jahr, auch Inhaber dieses ehemaligen Dönerimbiss’ an der Torstraße.

Eine gewisse existentialistische Anmutung

Saul fing 2010 zunächst als Aushilfskoch an, wollte aus familiären Gründen eine Zeitlang kürzertreten. Bis dahin hatte er eine sehr gute Ausbildung genossen, arbeitete mehrere Jahre unter Küchenchef Marco Müller im Rutz in Mitte und stieg dort just in jener Zeit zum Souschef auf, als das Rutz den ersten Michelin-Stern erhielt.

Andy Saul ist ein waschechter Berliner, wuchs in den 1980er-Jahren in Prenzlauer Berg auf, wo er auch heute noch wohnt. Als er einst vom Rutz aus über die Torstraße mit dem Rad nach Hause fuhr, war die heutige gastronomische Meile nachts noch ziemlich dunkel. Das Bandol sur Mer gehörte jedoch zu den ersten Lichtpunkten dort. Es wurde als französisches Bistro gegründet. Doch die Betreiber waren damals schon Deutsche.
Lediglich der Innenarchitekt, Fred Rubin, hatte französische Wurzeln. Er verlieh dem „Bandol“ eine gewisse existentialistische Anmutung. Die Wände wurden mannshoch mit schwarzer Tafelfarbe gestrichen, auf die bis heute mit weißer Kreide das Menü geschrieben wird. Weiter oben hängen kleinere Küchenschränke, die aus dem Zentralkomitee der DDR stammen. Das sieht alles ein wenig rough aus, passend zur Torstraße.

Ungezwungen, elegeant

Saul wurde rasch Küchenchef im „Bandol“ und veränderte den Küchenstil. Inspiriert vom Gedanken der Nachhaltigkeit, von kurzen Kreisläufen, Frische, Saison, richtete er sein Augenmerk mehr und mehr auf Zutaten aus der Nähe, aus der Mark Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, ohne sich ausschließlich darauf zu beschränken.

Französisch blieb auf jeden Fall das handwerkliche Verständnis des Kochens, der Hang zu besten Produkten, die Genauigkeit in der Verarbeitung und die Liebe zur Soße, in der Butter als Geschmacksträger nicht fehlen darf. 2016 wurde das Bandol erstmals mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, seit 2018 ist Saul sowohl Patron als auch Küchenchef. Das Lokal ist ein inhabergeführtes kleines Restaurant mit offener Küche. Der Gast sieht den Chef bei der Arbeit – und der kommt gelegentlich auch an den Tisch. Es geht familiär zu.

Der neue Restaurantchef und Sommelier Alexander Seiser tritt in diesem Sinne nicht gravitätisch als Maître auf, sondern als freundlicher Kellner, der unaufdringlich und elegant Speisen und Getränke serviert. Im Bandol spiegelt sich mustergültig der aktuelle Status Quo der Berliner Hochgastronomie: ungezwungen-elegant, werktagstauglich und zugleich professionell und raffiniert, jederzeit in der Lage, für außergewöhnliche Momente zu sorgen.

Küchenchef vor Tafelfarbe: Seit rund einem Jahr gehört Andy Saul das Bandol sur Mer. Foto: F. Anthea Schaap

Saul verlässt sich bei der Bestellung der Waren nicht einfach nur auf Großhändler, er hat sich selbst ein kleines Netz an regionalen Erzeugern und Lieferanten geschaffen. So serviert er einen vegetarischen Gang mit Karotte, eingelegten Hopfensprossen, Steinpilz-Mayonnaise und Deichkäse-Soße. Die Karotte stammt von der namhaften Biogärtnerin Grete Peschken aus Mecklenburg, die für den Gemüseanbau eigenes Saatgut verwendet, das noch nicht überzüchtet ist. Man schmeckt es: die Karotte als wahre Delikatesse.

Steinpilz-Mayonnaise mit verführerischer Morbidezza

Wenn der Gast mit dem Löffel durch das Gericht sticht, sieht er die einzelnen Schichten: ganz unter das pulverisierte Grün der Karotte, dann die rot-orange Karottencreme, darauf ein gemächlich gebratenes Karottenstück, leicht eingeschrumpelt und verdichtet im Geschmack, außen mit Röstnoten, innen cremig und weich, von feiner Süße und Erdigkeit, dazu die Steinpilz-Mayonnaise mit verführerischer Morbidezza, die süßsauer eingelegten Hopfensprossen sowie roh marinierte Karottenscheiben, schließlich die vom Kellner angegossene Deichkäse-Soße, die durch einen Schuss Kirschwasser an Spiel gewinnt. Es ist, als werde man von Schicht zu Schicht in die aromatische Tiefe gezogen.

Reh bezieht Saul von dem Jäger Jörn Korte aus der Schorfheide. Selten, dass man so gutes Reh isst, wie im Bandol sur Mer, so zart und mineralisch, fein nach Waldwürze schmeckend, dazu eine umwerfend gute Soße – Rehjus mit Cassislikör und Limettensaft, aufgeschlagen mit Fichtennadelbutter, voll von geschmacklicher Fülle und doch so frisch und fruchtig. Es ist, als rücke die duftende Schorfheide an die Torstraße heran.

Bandol sur Mer Torstr. 167,  Mitte, Tel. 67 30 20 51, Do–Mo 18–23 Uhr, www.bandolsurmer.de

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