Berlinale 2020

Wettbewerb: Rezension von Burhan Qurbanis‘ „Berlin Alexanderplatz“

Es geht gut aus. Nein, nicht die Geschichte vom Franz. Die geht natürlich schlecht aus, wie in Döblins Roman. Aber Regisseur Burhan Qurbanis Wagnis, eine so bekannte Geschichte wie „Berlin Alexanderplatz“ ins Heute zu übertagen und aus dem Franz den Francis aus Bissau zu machen, der die Flucht übers Mittelmeer geschafft hat, lädiert zwar, denn seine Freundin Ida ist dabei ertrunken, aber der doch in Berlin einen Neuanfang machen möchte. Der in seinem früheren Leben schon Schlepper, Zuhälter und Dieb war. Der keinen Pass hat und illegal auf Baustellen schuftet. Der extrem eingeschränkt ist in seinen Möglichkeiten, und der dennoch unbedingt ein guter Mensch sein möchte

Deshalb lehnt Francis auch Reinholds Angebot ab, für ihn als Dealer zu arbeiten. Reinhold, der diabolische Verführer, weiß, dass die Männer, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, einen Ort und eine Gruppe brauchen, zu der sie gehören. Und Geld. Beides will er ihnen mit den Drogengeschäften in der Hasenheide verschaffen. Und mit dem Geld bekommen sie dann auch die Anerkennung und Liebe.

Reinhold, die faustische Figur, ist bei Qurbani deutlich präsenter als in Döblins Roman, der Film ist in vielem eine Art Ringen zwischen den beiden Männern – ganz stark besetzt mit Welket Bungué und Albrecht Schuch. Hass und Liebe, Kampf und Erotik, Gut und Böse. Der psychisch stark gestörte Reinhold, der nur in der Zerstörung Befriedigung findet, und Francis, der alles richtig machen möchte, und immer wieder falsche Entscheidungen trifft. Und seine Freundin, die Mieze (Jella Haase), wird es büßen müssen. Warum? Darauf gibt es keine psychologisierende, sondern eine soziale Antwort: Weil es die Konstellation aus Charakteren und Zeitgeschichte so erzwingt. 

Burhan Qurbani hat die epischen Sound von Döblins Geschichte übernommen, diese Wucht des unausweichlichen Schicksal, aus dem keine der Figuren entrinnen kann. „Der Hammer saust nieder“, heißt das dann auch in der Erzählstimme aus dem Off, die wortwörtlich zitierte Passagen aus Döblins 90 Jahre altem Roman zu den Filmbildern aus dem Berlin von heute spricht, die immer wieder auch assoziativ montiert sind. Das ist sehr stark, sehr poetisch und in der erzählerischen Grundhaltung unheimlich nah an Döblin. Stefanie Dörre

Termine: Berlin Alexanderplatz bei der Berlinale


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