Berlinale 2020

Wettbewerb: Rezension von Kelly Reicharts „First Cow“

Oregon liegt an der Westkueste der USA. Wer hier Anfang des 19. Jahrhundert, aus Schottland, Russland oder Maryland kommend, angelandet ist, der sollte sein Glueck so langsam gefunden haben. Viel weiter westwaerts geht nicht. Die Gestalten jedoch, die Kelly Reicharts neuen Film First Cow bevoelkern, fristen fast ausnahmslos ein karges, beinahe elendes Dasein

© Allyson Riggs/A24

Es ist eine klamme, morastige, ewig bewoelkte Welt, die Reichart in ihrem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag zeigt. Eine Mannerwelt, aber eine ohne Helden. Das Glueck stellt sich in diesem Anti-Western nicht von alleine ein, man muss schon verdammt hart danach suchen, eine Idee haben, und ein klein wenig kriminelle Energie.Reichart, eine, wenn man so will, Ikone des Slow Cinema, beackert in ihrem neuen Werk mal wieder bekanntes Terrain. Wie schon in ihren wunderbar monotonen und monochromen Filmen Meek`s Cutoff und Wendy and Lucy hat sie auch diesmal wieder eine literarische Vorlage von Jonathan Raymond in Szene gesetzt. Wieder laesst sie mit stoischer Kamera die grandiose Natur Oregons erkunden, hier nun statt der weiten Ebenen die schier endlosen Waelder.

Und wieder deskonstruiert sie mit subversivem Humor das gaengige Maennerbild des klassischen Westerns. Diesmal allerdings nicht, indem sie eine Riege starker Frauen aufbietet, sattdessen vertraut sie ihren Film fast vollstaendig zwei soften Outcasts an.Der eine, Cookie, ist nicht Jaeger, sondern Sammler. Er streift stetig durch den Wald auf der Suche nach Pfifferlingen, Blaubeeren, Haselnuessen, um das Rohmaterial anschliessend zu koestlichem Naschwerk zu verarbeiten. Ein frueher Vegetarier, der mit seinen Koch- und Backkuensten unter seinen carnivoren Kumpel Argwohn erregt. Der andere, King-Lu, ist Chinese, frueher Kapitalist und auf der Flucht vor einer russischen Bande, als ihn Cookie im Wald aufgabelt.

Die dritte Hauptrolle spielt gewissermassen die titelgebende Kuh, aus deren gestohlener Milch Cookie und King-Lu eine erfolgreiche Geschaeftsidee entwickeln. Zumindest vorruebergehend.Wie sich zwischen den beiden Feingeistern inmitten einer machistischen Welt eine enge Freundschaft entwickelt, das erzaehlt Reichart unaufgeregt, zaertlich und langsam, ohne je langatmig zu werden. Es ist eine schoene Variation zur Frage, was im Leben wirklich Wert hat. Allerdings gilt auch bei Reichart: Das Schleichen um eine braune Kuh zahlt sich sowenig aus wie der Tanz ums goldene Kalb. Ulrike Rechel

Termine: First Cow bei der Berlinale


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