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Berliner Gefängnisse: Wie Inhaftierte unter der Corona-Krise leiden

Auch wenn das Leben in Berliner Gefängnissen grundsätzlich von Einschränkungen geprägt ist — die Corona-Krise setzt auch hier noch einen drauf! Wir haben mit Manuel Matzke, dem Sprecher der Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO), über die aktuelle Situation der Inhaftierten in Berlin gesprochen.

Im Berliner Gefängnis JVA Tegel wurde bereits Skypetelefonie eingeführt.

Im Berliner Gefängnis JVA Tegel wurde bereits Skypetelefonie eingeführt. Foto: imago/Schöning

In einigen Justivollzugsanstalten (JVA) in Deutschland gibt es bereits Corona-Fälle. In Berlin verzeichneten die Behörden bisher einen Infizierten. Dieser befand sich jedoch bereits seit Wochen im Hafturlaub, hat sich also außerhalb angesteckt und bleibt zunächst weiter zuhause. Für die Inhaftierten in den JVAs bedeutet Corona: eingeschränkte Freizeitaktivitäten, keine Gottesdienste, keine Therapiesitzungen und vor allem kein Besuch. Allein ihre Anwält*innen können sie noch hinter einer Trennscheibe persönlich treffen. Diese Maßnahmen gelten zunächst bis zum 3. Mai.


tipBerlin Wie gut sind die Inhaftierten der Berliner Gefängnisse über die aktuellen Entwicklungen rund um den Corona-Virus informiert?

Matzke Die Informationspolitik des Justizsenats in Berlin, aber auch auf Bundesebene, ist zu kritisieren. Wir sehen, dass kaum Informationsaustausch stattfindet. Es geht vom Senat in die Anstalten zu den Leitern. Das mag vielleicht noch funktionieren. Aber schon von der Leitung zu den Bediensteten bis runter zu den Inhaftierten und vor allem zu den Angehörigen wird es immer schlechter. Dabei ist es das Wichtigste, die Sache transparent zu halten. Durch die bisherige Kommunikation des Justizsenats wird eher Ungewissheit vermittelt. Das schürt natürlich auch Ängste auf allen Seiten, ob Inhaftierte, Angehörige oder auch Bedienstete. Die können dann auch nur Anweisungen übermitteln ohne genauere Auskünfte.

Corona: Es mangelt an Transparenz in den Berliner Gefängnissen

tipBerlin Welche Schritte von Seiten der Justizsenatsverwaltung halten Sie in diesem Fall für sinnvoll?

Matzke Es wäre wünschenswert, wenn die Pandemiepläne der jeweiligen Anstalten veröffentlicht würden. Damit die Leute wissen, was sie erwartet und wie sie sich verhalten sollen bzw. wie die Anstalten vorgehen werden. Keiner weiß, was passiert, wenn ein Inhaftierter in einem der Berliner Gefängnisse positiv getestet wird. Gilt dann in dieser Anstalt ein 24-Stunden Verschluss? Was wird dann noch gewährt?

tipBerlin In Berlin gibt es einen Pandemieplan für den Justizvollzug insgesamt, als auch jeweils Pläne für die einzelnen Anstalten. Laut Justizssenatsverwaltung werden sie nicht veröffentlicht, weil sie sicherheitsrelevante Informationen enthalten.

Matzke Das können wir nicht ganz nachvollziehen. Einige Bundesländer machen das transparent. Die sagen ganz klar: Es gilt der Pandemieplan für diese Anstalt und so läuft es ab. Wir reden hier nicht davon, zu veröffentlichen: „Wenn wir hier die Notsituation haben, fahren wir den Anstaltsbetrieb mit 25 Prozent.“ Sondern es geht darum, dass die Gefangenen wissen, welche Einschränkungen sie erwarten würden.

Das Besuchsverbot wegen der Pandemie setzt Inhaftierten zu

tipBerlin Welche Einschränkungen haben Inhaftierte auf Grund von Corona bisher?

Matze Die gravierendste Einschränkung ist das Besuchsverbot. Wir sehen, dass das für die Häftlinge eine enorme psychische Herausforderung ist. Das gleiche gilt für die Angehörigen. Das Zusammentreffen mit der Familie ist natürlich auch ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Resozialisierung. Da stellt sich die Frage: Was unterbindet man damit alles bzw. schafft man einen Ausgleich? Das schafft man noch nicht wirklich.

Wenn jemand entlassen wird, dann müssen wir gucken: Inwieweit ist denn der Übergang in ein geordnetes Leben gewährleistet? Das ist die Aufgabe des Vollzuges, der oberste Grundsatz der Resozialisierung und das findet momentan einfach nicht statt. Das sind restriktive Einschränkungen, die unserer Ansicht nach unverhältnismäßig sind.

tipBerlin Der Grund für diese Maßnahmen ist, dass der Virus nicht von außen in die Haftanstalten hineingetragen werden soll.

Matzke Bedienstete und Externe gehen trotzdem täglich ein und aus. Diese werden nicht getestet. Den Insassen ist natürlich klar, dass wir da jetzt alle durchmüssen. Aber es kommt eben darauf an, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Das bedeutet, den Gefangenen zu signalisieren, dass nicht nur Anordnungen umgesetzt werden, sondern zugleich alles dafür getan wird, um die Situation zu entspannen, wo es geht.

Wir wissen aus den Briefen, Mails und Anrufen von den Inhaftierten, die uns täglich erreichen, oder auch von den Angehörigen, dass die aktuelle Situation einem Pulverfass gleicht.

Große Sorgen bei Inhaftieren und Angehörigen vor Corona

tipBerlin Drohen in Berliner Gefängnissen etwa Zustände wie in Italien, wo Inhaftierte auf Grund von Besuchsverboten zu Aufständen kam?

Matzke Die Inhaftierten haben Ängste und Sorgen. Die Ungewissheit ist einfach zu groß. Natürlich versucht die Senatsverwaltung, etwas umzusetzen. Die gestrichenen Besuche sollen durch Skype-Telefonate ersetzt werden. Aber wir wissen auch, dass da kaum etwas passiert, wenn man sich alle Anstalten anschaut. Da kann man Tegel als Beispiel nehmen. Wieviele Hafthäuser haben wir dort? Gibt es in jedem Hafthaus ein solches Skype-Terminal? Auf jeder Station? Oder gibt ein Terminal in der Anstalt, wo die Inhaftierten im 20 bzw. 30 Minutentakt zugeführt werden? In Anbetracht der Anzahl der Gefangenen kann man sich dann ausrechnen, wie viele da explizit Zugriff darauf haben. Wir können dankbar sein, für jeden Gefangenen, der in solch einer Situation ruhig bleibt. Das funktioniert nur weiterhin, wenn es ein Miteinander gibt.

tipBerlin Erfordert der Umgang mit Häftlingen in so einer Situation mehr Sensibilität?

Matzke Wir brauchen hier einfach nur mal 48 Stunden die Rollen tauschen.Jetzt stelle man sich einen aus der Verwaltung in der Situation der Gefangenen vor. Mit dir wird nicht richtig kommuniziert. Du weißt nicht was passiert, was morgen oder übermorgen sein wird. Da sind Menschen, die haben seit sechs Wochen ihre Kinder nicht gesehen. Telefonieren kostet ja auch Geld. Wir bekommen ja schon Zustände, weil unser Leben momentan eingeschränkt ist. Die psychische Belastung für einen Inhaftierten ist durchaus höher.

Berliner Gefängnisse: Schlechte medizinische Versorgung

tipBerlin Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung in den Berliner Gefängnissen aus?

Matzke Matzke Die medizinische Versorgung im Justizvollzugssystem ist wirklich schlecht. Viele der Anstaltsärzte arbeiten auf Honorarbasis, schieben die Besuche in ihre vollen Arbeitsalltag ein. Die Anstalten haben bereits Probleme bei der Bekämpfung von anderen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Hepatitis.  Aus unserer Erfahrung kommen die Anstalten da kaum hinterher. Als GG/BO haben wir schon mehrfach erlebt, dass die Anstalten ihrer Meldepflicht in bestimmten Situationen nicht nachgekommen sind. Das zeigt, wie mit der Gesundheitssituation umgegangen wird. Da stellen wir uns natürlich schon die Frage: Warum sollte es jetzt anders sein?

tipBerlin Sind die Haftanstalten auf eine potenzielle Welle von Infizierten vorbereitet?

Matzke Ich denke, hier ist niemand vorbereitet. Wäre dies der Fall, dann könnte die Justiz das ja auch offen kommunizieren.  Wenn diese Pandemie hinter die Mauern kommt, dann haben wir ein großes Problem. Denn wir sehen, dass in den Anstalten nicht genug Desinfektionsmittel zur Verfügung steht. Das wird dann für das Personal benötigt und die Inhaftierten müssen sich mit Seife begnügen. In solch einer Situation ist dieser Art von Hierarchie nicht angebracht. Ebenso bemängeln wir, dass die Bediensteten nicht getestet werden. Sie arbeiten ohne Mundschutz und Handschuhe.

Berliner Justiz ergreift auch sinnvolle Maßnahmen

tipBerlin Gibt es aus Ihrer Sicht auch positive Maßnahmen seitens des Berliner Justizsenats?

Matzke Die Arbeitsbetriebe in den Gefängnissen laufen größtenteils normal weiter. Also, Nähererei, Wäscherei und so weiter. Das ist auch gut und wichtig, weil es eine Routine aufrechterhält. Sollte diese Arbeiten auf Grund von Corona eingestellt werden, bekommen die Inhaftierten weiterhin ihren Lohn ausgezahlt. Hier hat der Berliner Senat eine gute Entscheidung getroffen. Denn somit haben die Inhaftierten weiterhin die Möglichkeit, ihre Einkäufe zu tätigen und Dinge wie Tabak oder Hygieneartikel zu erwerben.

tipBerlin Um räumliche und personelle Reserven zu schaffen, hat Berlin momentan die Ersatzfreiheitsstrafen ausgesetzt. Wer seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss jetzt auch nicht ins Gefängnis.

Matzke Das ist auf jeden Fall notwendig. Umso leerer ich die Gefängnisse mache, umso besser ist es. Wir sagen ganz klar: In der jetzigen Situation hat niemand etwas im Gefängnis zu suchen, der nicht gefährlich ist. Ich rede nicht von Sexualstraftätern oder Gewaltverbrechern. Aber wir können weitergehen. Gesetzlich ist da noch mehr möglich. Inhaftierte, die eh in zwei oder drei Monaten entlassen werden, könnte man bereits jetzt entlassen, um sich noch mehr Luft zu verschaffen.


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