Ende der Szene?

Berlins Clubs hoffen weiter auf Rettung: Schuldenberge inzwischen teils enorm

Sie mussten als erste schließen und dürfen wohl als letzte wieder öffnen: Die Clubs in Berlin hoffen auf Rettung. Ist das das Ende vom Berlin, das wir lieben?

Bangen um die Zukunft: Das SO36 ist einer der Clubs in Berlin, die auf Rettung hoffen. Foto: Imago/Pop-Eye
Bangen um die Zukunft: Das SO36 ist einer der Clubs in Berlin, die auf Rettung hoffen. Foto: Imago/Pop-Eye

Weit über Kreuzberg 36 hinaus lieben Menschen das SO36. Vielleicht ja, weil sie sich hier zum ersten Mal in ihrem Leben frei gefühlt haben. Vielleicht bei der schwulen, türkisch-arabischen Party Gayhane. Und weil Menschen das SO36 lieben, nehmen sie nicht hin, dass es verschwindet. Sie nähen Masken und Geschirrhandtücher mit dem SO36-Logo drauf, verkaufen sie und spenden den Erlös ans SO36. Die Weinhandlung Suff bietet ein SO36-Soli-Weinpaket an. Und die Vermieterin des SO36, die Familie Stober, drückt zwei Augen zu bei den Mietzahlungen. Es rührt einem das Herz. Doch wird all das reichen, um das SO36 zu retten?

Folge #38 von United We Stream, aus dem SO36 in Kreuzberg

Die monatlichen Fixkosten lassen sich, meldet das SO36, nicht unter 23.000 Euro drücken. Optimistisch gedacht, schaffen sie es somit über den Sommer. „Wir bekamen bislang nichts aus dem Soforthilfe-IV-Paket“, sagt Nanette vom SO36. „Außerdem fallen wir auch nicht unter die Bedingungen der anstehenden Kulturförderung. Es ist zum Heulen!“

Zocken Versicherungen die Clubs in der Corona-Krise ab?

Macht die Politik also zu wenig? „Wir sehen“, sagt Pasqual vom SO36, „dass etwa Klaus Lederer sehr bemüht ist, auch für die Clubs zu kämpfen. Insgesamt müsste aber mehr Geld fließen, um die Clubs zu retten. Außerdem wäre ein bisschen Druck auf die Versicherungs­giganten gut, die sich vor den rechtmäßigen Zahlungen aus den Betriebsschließungs­versicherungen drücken wollen, die wir alle haben.“

Sitztrinken im Sektgarten des About Blank. Foto: ://about blank

Dem About Blank am Ostkreuz hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg immerhin die Miete gestundet. Schulden, aufgeschoben in die Zukunft. „Es ist abzusehen“, schreibt das Kollektiv des About Blank dem tip, „dass wir am Ende des Jahres vor einem großen Schuldenberg stehen.“ Ohne Hilfe schaffen sie das nicht bis 2021. „Ein Mieterlass für Betriebe, die besonders stark von den Eindämmungsmaßnahmen getroffen sind, ist in unseren Augen eine machbare Lösung.“ Andere Städte handhaben das sogar schon so. Warum Berlin nicht? Ach ja, wir sind sexy.

Folge #23 von United We Stream, aus dem About Blank am Ostkreuz

„Dass es uns heute noch gibt“, schreibt das About-Blank-Kollektiv, „haben wir allein dem massiven Support für unser Crowdfunding zu verdanken, das uns durch die ersten Wochen gerettet hat.“ Seit zehn Jahren steht das About Blank für Antirassismus und Queerfeminismus. Hier gibt es mehr weibliche Türsteherinnen und DJs als in den allermeisten Clubs der Stadt. Das About Blank ist Vorbild. Hat das nicht auch einen gesellschaftlichen Wert? Ist das nicht auch Kultur?

Weil’s eben nicht um Zaster, sondern ums Zusammensein geht, gibt’s im About Blank seit Mitte Juni draußen einen Sektgarten am Wochenende, wenn das Wetter schön ist. Freitags ab 18 Uhr, samstags und sonntags ab 15 Uhr. Kommerziell lohnt sich das kaum. „Es war uns aber wichtig, den sozialen Ort About Blank nicht den ganzen Sommer über brachliegen zu lassen“, heißt es aus dem Kollektiv.

Soforthilfen für Club-Personal schrammen an der Realität vorbei

Der neu gestaltete Garten im Suicide Club auf dem RAW-Gelände. Foto: Pat Flanders

Auch im Suicide Club auf dem RAW-Gelände bietet man nun Drinks im Garten an und sogar Pizza, von donnerstags bis sonntags, 17 Uhr bis Mitternacht. Wie fast alle, mit denen man in der Berliner Club-Landschaft spricht, hat auch Pat Flanders vom Suicide Club großes Verständnis für die staatlichen Corona-Regeln. Trotzdem ist er „mehr als ernüchtert“ von den öffentlichen Hilfen für die Clubs: „Während nicht alle Clubs das ‚Angebot‘ der Politik wahrnehmen können, sich mit Krediten zu verschulden“, sagt Pat Flanders, „gibt es noch immer keinen verlässlichen Plan für unsere Branche und die damit verbundenen Gewerke. Die Soforthilfen für Solo-Selbstständige schrammen völlig an der Realität der meisten Künstler*innen aus der Berliner Clubszene vorbei.“

Folge #21 von United We Stream, aus dem Suicide Club auf dem RAW-Gelände

Pamela Schobeß, Betreiberin des Gretchens (und zugleich Vorsitzende der Club Commission) räumt ein, dass das Gretchen ohne die solidarischen Spenden der Gäste längst hätte aufgeben müssen: „Der Wille seitens der Politik, uns zu helfen, ist da“, sagt Schobeß. „Es dauert nur leider sehr, sehr lang, bis die Programme bei uns ankommen. Für viele von uns wird die Luft immer dünner.“

Corona-Hilfen für Clubs treffen oft spät ein – und helfen nur kurz

So auch beim Mensch Meier. „Die Schließung wegen Covid-19 hat bei uns bereits zu einer hohen Verschuldung geführt“, sagt Anias Meier. „Jetzt müssen die versprochenen Hilfen von staatlicher Seite aber auch langsam mal bei uns ankommen. Wenn sie da sind, gehen wir davon aus, dass wir es damit bis Ende August schaffen. Und wenn die Clubs nicht gerettet werden, geht auch Berlin, so wie wir es kennen, unter.“

Ein bisschen Hoffnung gibt es: Am 1. Juli wurde bekannt, dass der Senat viele Förderanträge genehmigt hat – auch 35 Clubs sollen Geld bekommen, neue Förderungen in Höhe von 30 Millionen sind für September bis November geplant. Die Soforthilfe IV richtet sich an Kultur- und Medienunternehmen, ausgegeben werden 8,5 Millionen – mehr als die Hälfte geht an Theater. Rund 3,5 Millionen Euro teilen sich 35 Clubs, dazu Festivals, Bibliotheken, Musik-, Gesangs- und Theatergruppen, zusätzlich ausgewählte Museen. Die großen Schuldenberge kann das bei weitem nicht beseitigen.


Harte Kritik hatte es an einem Boot-Rave zugunsten der Club-Kultur gegeben. Und auch an zuletzt eher halb-geheimen Partys in der Hasenheide. Was sich nicht groß geändert hat? Die Koks-Taxis fahren weiter – und versorgen alle, die jetzt zuhause feiern, bei Bedarf mit Drogen. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass Club-Kultur mehr als nur Ballern ist. Clubs sind wichtig.

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