Konzertkritik

Bob Dylan und Band spielten in der Mercedes-Benz Arena

Punkt 20 Uhr erlischt das Saallicht, die Bühne ist noch ins Dunkel getaucht, Orchestermusik erklingt aus den Lautsprechern, es ist eine Komposition des amerikanischen Komponisten Aaron Copeland.

Fotografieren ist bei Bob-Dylan-Konzerten strengstens untersagt, daher müssen wir uns mit einem älteren Pressefoto von David Gahr behelfen.

Um 20:03 Uhr betritt Bob Dylan im weißen Jackett und schwarzer Hose, ohne Hut, die Bühne und setzt sich an den Flügel. Begleitet von seiner nunmehr auf ein Quartett geschrumpfter Band. Gitarrist Stu Kimball, der Dylan von 2004 bis 2018 begleitet hat, ist nicht dabei.

Naturgemäß gibt es kein Wort zur Begrüßung, Dylan wird auch bis zum Ende des Auftritts in der gut gefüllten Mercedes-Benz Arena nicht mit dem Publikum sprechen. Wer einen Entertainer erwartet, der seine Fans unterhält, ist hier an der falschen Adresse. Diese fünf Männer arbeiten. Ohne Allüren und Arroganz aber auch ohne jegliche Leutseligkeit verrichten sie ihr Werk. Unermüdlich, an bis zu 100 Konzertabenden im Jahr. Sieben große Bühnenscheinwerfer hüllen die Spieler in eine beschauliche Lichtblase, die die Bühne der riesigen Mehrzweckhalle atmosphärisch in einen Zwischenraum aus Varieté, Westernsaloon und Honky-Tonk verwandelt.

Wer sich intensiver mit Dylan beschäftigt, schaute vorab auf die Setlisten. In Düsseldorf wo die diesjährige Frühlingsetappe seiner „Never Ending Tour“ am 31. März startete, begann er wie so oft mit dem oscarprämierten Song „Things Have Changed“ von 2006. Diesbezüglich haben sich die Dinge nicht geändert. Auch in Berlin ist das sein erster Song und auch bei den folgenden 17 sowie den zwei Zugaben wird es keine Abweichungen geben.

Dylans Werk erstreckt sich über sechs Jahrzehnte und auch die aktuelle Setlist umfasst diese Spannweite. Von Sixties-Klassikern wie „It Ain’t Me, Babe“, „Highway 61 Revisited“ und „Like A Rolling Stone” über “Gotta Serve Somebody” von seinem christlichen Album „Slow Train Coming” von 1979, bis zu dem großartigen „Love Sick” von 1997 und schließlich „Pay In Blood“, „Early Roman Kings” und „Scarlet Town” von den letzten Alben. Frank Sinatra, dem er bis etwa 2016 huldigte, bleibt außen vor.

Dabei ist es nahezu unerheblich aus welcher Ära seines Schaffens die Songs stammen. Die Band spielt routiniert, nach ungezählten gemeinsamen Auftritten vertraut sie blind aufeinander und produziert jenen kernigen von Western-Swing und Sinatra-Moods getränkten Sound, den Dylan für seine Spätphase auserkoren hat. In diese Klangform werden die Songs gegossen.

Dylans freier Umgang mit Arrangements und Harmonien des eigenen Werkes ist fester Bestandteil seines Schaffens. Ebenso wie die vermutlich seit den ersten Konzerten im New Yorker Boheme-Viertel Greenwich Village Anfang der Sechziger existierende Diskussion, ob denn Dylan nun singen kann oder nicht. Eine ebenso überflüssige wie einfältige Debatte, die zu nichts führen kann aber auch 2019 geführt wird.

Dylan raunt, jault, dröhnt und verkündet mit der abgründigen Stimme eines bald 78-jährigen Mannes. Eine Urgewalt, die sich ästhetischen Diskursen zu Feinheiten gesanglicher Schönheit komplett entzieht.

Die Stücke erinnern nicht einmal annähernd an die originalen Einspielungen, wer das erwartet hat, wurde auch an dieser Stelle enttäuscht. Wer dies nicht tat, konnte sich an der reduzierten Version von „Don’t Think Twice, It’s All Right“ erfreuen, an der Wucht von „Thunder On The Mountain“ oder der völlig dekonstruierten, vom Geigenspiel begleiteten Interpretation der an sich längst überhörten Friedenshymne „Blowin‘ In The Wind“. Und konnte in der Gewissheit nach Hause gehen, einem großen Künstler bei der Arbeit zugeschaut zu haben.     

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