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Pflegenotstand

Care Slam: In der Alten Feuerwache slammen Pflegekräfte über Alter, Tod und die Missstände in ihrem Beruf

Durch den schwarzen Vorhang tritt eine Frau auf die verdunkelte Bühne der Alten Feuerwache in Friedrichshain, gekleidet ganz in Schwarz. Mit vorgereckten Händen ruft sie: „Ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels!“ Jemand schließt die Tür zum Foyer, das Licht verschwindet. Die Arme sinken herab: „So weit sind wir wohl noch nicht.“ In der Stille beginnt Yvonne Falckner mit einer Trauerrede für die Profession Pflege. Dann wird sie kämpferisch: „Wir werden uns heute das Klagen und Jammern nicht verbieten lassen!“

Elisabeth Schwarz singt zu Herzen gehende Songs über den Pflegealltag. Foto: Thorsten Strasas

Und tatsächlich kann das Publikum des CareSlams an diesem Abend Pflegekräfte einmal anders erleben als im Alltag: Laut rezitierend statt beruhigend flüsternd, jammernd statt beschwichtigend, ungeduldig fordernd statt geduldig um ihre Patienten besorgt. Vom unsichtbaren Dienst am Bett auf die Bühne geholt, erinnern sie uns an eine Seite des Lebens, die mancher lieber ausblenden will.

Dabei weisen sie auf Missstände hin, die jeden von uns irgendwann betreffen können. Genau das beabsichtigte Yvonne Falckner, als sie im Jahr 2016 den CareSlam startete. „Ich will Menschen in die Position bringen, über ihre Perspektive zu sprechen“, sagt sie. Und so spricht die Sozialassistentin Mafalda Lakobrija über einen rauen Tag im Pflegeheim – und eine raue Pflegende. Esma Özdemir, die sich als Gesundheitspflegerin bezeichnet, trägt das Gedicht „Ohne Titel im blauen Kittel“ vor. Aber nicht nur Pflegepersonal tritt auf. 

Der Journalist Christoph Lixenfeld setzt sich mit der finanziellen Seite des Pflegeberufs auseinander. „Schafft die Pflegeversicherung ab!“, fordert er und schimpft über das Produkt „Pflegeheim“, mit dem sich steile Renditen erzielen lassen würden. Das Geld komme am Ende nicht dort an, wo es gebraucht wird.

Die chronische Unterfinanzierung macht den Beruf unattraktiv. Im Schnitt verbleibe jeder sieben Jahre im Pflegeberuf, sagt Yvonne Falckner. Manche Kollegen sprechen wegen der notorisch kurzen Verweildauer im Job schon  vom „Pflexit“. Gesundheitsminister Jens Spahn fülle mit seiner ansonsten rührigen Überaktivität im Pflegebereich immer nur dürftig die Lücken. „Es hilft nicht, nur Pflegekräfte aus dem Ausland zu holen“, sagt sie.

Ein Kind des „Pflexit“ ist auch Elisabeth Schwarz. Die junge Singer-Songwriterin mit Rastafrisur ist eigentlich Überzeugungspflegerin. Sie habe den Beruf gewählt, weil sie Freude daran hat, alten Menschen einen schönen Lebensabend zu bereiten. Aber auf die real existierenden Job-Bedingungen war sie nicht vorbereitet: „Ich war einfach nicht stark genug dafür“, gesteht sie. Gut für das Slam-Publikum aber ist, dass sie ihre Erfahrungen kreativ verarbeitet hat: „Ich habe dann irgendwann aufgehört zu sprechen und begonnen zu singen.“

Gruppenbild mit den Slammerinnen und Slammern des Abends. Foto: Thorsten Strasas

Das tut sie auch jetzt, greift zur Gitarre und singt „Kind, Mutter, Mensch“, ein Lied aus der Perspektive einer Pflegebedürftigen: „Hinter meinen Augen bin ich noch 18, bin Kind, bin Mutter, bin Mensch.“ Das Publikum ist zu Tränen gerührt. 

So divers wie die Pflege mittlerweile ist auch der Slam: Marline Pereira hat vor der Wirtschaftskrise in Portugal als Journalistin gearbeitet. Vor dreieinhalb Jahre ist sie mit einem EU-Programm zur Pflegeausbildung nach Deutschland gekommen.

Jetzt arbeitet sie in Pirna als Altenpflegerin. Pflege und Journalismus sind für sie keine Gegensätze. In beiden Professionen möchte sie etwas für Menschen bewirken. Vielleicht ginge das in der Pflege sogar besser, sagt sie, weil sie nicht so unparteiisch bleiben müsse. Um Partei zu ergreifen, ist sie zum CareSlam gekommen. In ihrem Beitrag denkt sie über das Leben eines alkoholkranken und von der Familie abgeschobenen Patienten nach. Ein Dialog mit ihm: „Herr N., schauen Sie mich bitte an.“ „Nein, ich bin nicht da.“ „Doch Sie sind da.“ „Nein, ich bin nicht da.“

Sabrina Maar ist schon zum dritten Mal beim CareSlam. Diesmal liest sie einen Brief an Angela Merkel vor. In dem schreibt sie über die letzten Momente einer Sterbenden, für die sie wieder einmal nicht genug Zeit hatte:

Und ich kletterte ein Stück neben sie,
auf die Bettkante, ganz unprofessionell,
und hoffte im Stillen, es ginge jetzt schnell.
Weil – ich hatte keine Zeit zum Reden
und sie keine mehr in diesem Leben.

Auch Maar ist hier, weil sie mit ihren Vorstellungen von Pflege gescheitert ist. „Mein Bestes zu geben, reichte einfach nicht aus“, sagt sie. Also begann sie, sich den Frust von der Seele zu schreiben. Selbst-Therapie statt Supervision. Mit ihrem Text „Frühschicht“, den sie zuerst beim CareSlam vorgetragen hatte, ist sie sogar in der Fernsehsendung „Die Anstalt“ aufgetreten.

Das ist nicht der einzige Erfolg, den der CareSlam bislang erzielt hat. Auch für einenFrauenpreis wurde die Reihe nominiert, Yvonne Falckner war in mehreren Talk-Shows zu Gast. In der Pflegepolitik mischt sie ebenfalls mit.

Was sie gerade besonders erzürnt: ein neuer, von Jens Spahn vorgelegter Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass langzeitbeatmete Patienten, die zuhause leben, künftig in einem Heim behandelt werden sollen. Solche also wie die 23-jährige Kunststudentin Sarah Georg, die beim letzten Slam zu Gast war. Ihr selbstbestimmtes Leben würde sich radikal ändern, sollte das Gesetz verabschiedet werden. In ihrem berührenden Vortrag erzählt sie von ihrer Todesangst seit Vorlage des Entwurfes.

Für die Zukunft wünscht sich Yvonne Falckner, die Pflegenden noch besser hörbar zu machen. Fest steht zumindest: Mit etwa 130.000 Pflegebedürftigen, 47.000 Pflegekräften sowie unzähligen pflegenden Angehörigen werden ihr die potentiellen Slammer nicht so schnell ausgehen.

Alte Feuerwache, Marchlewskistr. 6, Friedrichshain, nächster Termin: 2.5., 20 Uhr, www.CareSlam.org

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