Berlinale 2018 – Hommage

Charakterkopf

Ein Gesicht wie das seine vergisst man nicht so schnell. Ausgeprägte Backenknochen und ein großer Mund, der flankiert wird von zwei Falten, die sich von der markanten Nase bis zum starken Kinn hinunterschwingen.

Tief ­liegende blaue Augen, überwölbt von festen Brauen und ­einer hohen Stirn. Kein Gesicht, das gängigen Schönheitsidealen entspricht, aber ein veritabler ­Charakterschädel und höchst angemessen für einen Schauspieler seines ­Kalibers. Willem Dafoe nämlich ist, seiner einzigartigen Physiognomie zum Trotz, über die Maßen vielseitig und wandlungsfähig.

Willem Dafoe
Foto 2002 Columbia Pictures Industries, Inc.

Einer, der sich in seiner Arbeit nicht festlegen lässt, der neugierig und risikolustig immer wieder Neues in Angriff nimmt und an seinen Figuren Facetten zum Vorschein bringt, die zunächst nicht einmal zu ahnen waren. Man glaubt ihm die diabolischen Bösewichter und die beseelten Gutmenschen, die fantastischen Gestalten und die biografischen Porträts; vor allem aber glaubt man ihm die Menschen ­dazwischen, all diejenigen, die nach ihrem Weg erst suchen. Die keine vordergründigen Helden sind, sondern Männer, die sich dem Leben stellen, unsicher, angreifbar und nachdenklich.

Geboren wurde Willem Dafoe am 22. Juli 1955 als siebtes von acht Kindern in Appleton, Wisconsin. Er begeisterte sich bereits als Heranwachsender für das Theater, brach das ­Studium der Theaterwissenschaft allerdings rasch wieder ab und ging in die Praxis des experimentellen Theaters. Für das Kino arbeitet Dafoe seit 1980 kontinuierlich; seine Filmografie umfasst mittlerweile über hundert Einträge.

Die Darstellung des um Menschlichkeit bemühten Sergeant Elias in Oliver Stones Vietnam-Film „Platoon“ brachte ihm 1987 die erste Oscarnominierung als Bester Nebendarsteller ein. Die zweite erhielt Dafoe für seine Rolle des unheimlichen Max Schreck in E.Elias Merhiges „Shadow of the Vampire“. Aktuell ist er für seine Darstellung des Motelmanagers Bobby in Sean Bakers Drama „The Florida Project“ nominiert, entschieden wird am 4. März.

Dafoe bezeichnet sich selbst als einen „Abenteurer“, der, wenn es um die Auswahl seiner Rollen geht, „geradezu ­manisch nach neuen Herausforderungen“ sucht und am liebsten mit „starken Filmemacher-Persönlichkeiten“ zusammenarbeitet. Die kleine Auswahl an zehn Filmen, die im Rahmen der Hommage gezeigt wird, legt davon beredt Zeugnis ab. Unter anderem mit Paul Schraders „Auto Focus“, in dem Dafoe einen etwas schmierig übergriffigen Videotechniker spielt, der einen mittelmäßigen Schauspieler ins Unglück reißt. Oder mit Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“, in dem er den von menschlicher Schwäche heimgesuchten Jesus verkörpert. Mit Lars von Triers filmischem Grenzgang „Antichrist“, in dem er als sich selbst überschätzender Psychotherapeut zugrunde geht. Und nicht zuletzt mit Abel Ferraras „Pasolini“, in dem Willem Dafoe dem Titelhelden an seinem letzten Lebenstag eindringlich Gestalt verleiht.

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