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Corona-Beschränkungen in Berlin nur langsam lockerer: Wir holen das alles nach

Die Corona-Beschränkungen in Berlin werden nur langsam gelockert. Jetzt trifft es auch den 1. Mai. Das MyFest war schon länger abgesagt. Aber wir hatten noch Hoffnung, wenigstens ein bisschen feiern zu können, mit vielen. Irgendwie. Aber wir holen das alles nach. Ein Kommentar von Erik Heier.

Corona-Beschränkungen in Berlin nur langsam lockerer: Wir holen das alles nach. Foto: imago/imagebroker

So, das wäre es dann also auch mit dem 1. Mai. Das neuartige Corona-Virus wirkt wie ein alt-wehrwürdiger CDU-Innensenator auf Speed: Versammlungsverbote im Flatrate-Modus. Bis zum 3. Mai, darauf haben sich Bund und Länder verständigt, gelten die meisten Corona-Kontakteinschränkungen mindestens weiter.

Damit wird auch der Kampf- und Feiertag der Werktätigen zum Mampf- und Frusttag der Untätigen. Heimabend statt Halligalli. Tiefkühlpizza statt Streetfood. Daddeln statt Demos. Wir können Zoom statt Rambazamba machen, weil wir wohl nicht mal ein paar Freunde zum Grillen einladen dürfen.

Corona-Beschränkungen in Berlin: „Selbstverständlich“ keine Demo

Die Revolutionäre 1. Mai-Demo zum Beispiel hat sich zwar nie um behördliche Anträge geschert, sie ist trotzdem einfach losgebollert, meist durch Kreuzberg, oder durch Friedrichshain, den Wedding. Aber dem Regierende Bürgermeister zufolge könne die Demo dieses Jahr „selbstverständlich“ nicht stattfinden. Das sagte Michael Müller neulich dem „Spiegel“.

Reicht dieses Jahr wohl nicht nicht als Mindestabstandsregler: Bierflaschen-Grenze bei der Revolutionären 1. Mai Demonstration im vergangenen Jahr. Foto: Imago

Jetzt muss also die linke Szene darüber befinden, ob das Corona-Virus ein Konterrevolutionär ist, den man einfach ebenso achselzuckend in Grund und Boden marschiert wie den, äh, Bullenstaat. Aber auch der schwarze Block hat keine Herdenimmunität. Vielleicht mal ein Plenum per Videocall machen. Es gibt ja viele offene Fragen.

Wie verträgt sich eigentlich eine Schutzmaskenempfehlung der Gesundheitssenatorin mit dem Vermummungsverbot? Und wie das 1,50-Meter-Abstandsgebot mit dem polizeilichen Wegtragen von Demonstrant*innen? Begünstigt Tränengas vielleicht Tröpfcheninfektionen? Und ist der beliebte Slogan „A-Anti-Anticapitalista“ noch eine Parole der Linksradikalen oder schon die Not-Verstaatlichungsdoktrin des Bundeswirtschaftsministeriums?

Aber die Corona-Kollateral-Schäden reichen natürlich auch weit in den nicht-revolutionären Bereich. Ein Kollege aus der tip-Redaktion hatte den halben Winter die Eröffnung des Berghain-Gartens herbeigesehnt. Der ist jetzt ganz schön mies drauf. Zumal die Geheim-Raves mit Koks-Bergen ja nun auch eher Märchen sind. Man müsste ihn jetzt in den Arm nehmen. Trösten. Geht natürlich auch nicht. Wir sind ja noch bei Trost. Und im Home-Office.

Aber warum sollte es dieses Jahr dem 1. Mai besser gehen als Ostern?

Ab 4. Mai erste Lockerungen der Corona-Beschränkungen

Es ist ja alles richtig. Der Lockdown, die soziale Distanz. Es ist wie im Fußball: Wir liegen gegen Corona immer noch zurück, wir holen nur langsam auf. Aber es ist viel zu früh, schon hinten komplett aufzumachen.

Unsere Krankenhäuser brauchen die Zeit, die wir ihnen mit dem Lockdown teuer erkaufen. Unsere Schulen übrigens auch. Es ist natürlich irre, dass jetzt, wenn die Schulen schrittweise wieder öffnen, auf einmal Missstände behoben sein sollen, die seit Jahren unbehebbar scheinen. Kleinere Klassen. Saubere Toiletten. Mehr Lehrer*innen. Digitales Lernen. Das alles ist keine Raketenwissenschaft. Das wird jetzt interessant.

Aber eines können wir dir sagen, Corona, du kleines, blödes, verkacktes, neuartiges Miststück. Wir feiern das alles nach. Wir holen die Demos nach. Die Partys. Die Tänze. Die Ausstellungsbesuche. Die Theater-Abende. Die Kinofilme (mit extra Popcorn). Die Tinder-Dates und den ganzen anderen Sex. Die Besäufnisse. Sogar die Yogakurse. Und ja, auch wenn es noch eine Weile länger dauern wird, bis zum 31. August, die Konzerte, die Raves, die Festivals, das Derby Hertha gegen Union. Wie wir unsere Frisuren nachholen, ab dem 4. Mai, wenn die Friseure wieder öffnen dürfen. Und unsere Heimfrisur-Desaster tilgen.

Wir müssen uns kümmern

Und wir müssen uns kümmern. Wir: die Gesellschaft, die Stadt, das Land, Europa. Wir alle. Um die Menschen, für die es keine Luxusprobleme gibt, weil es für sie keinen Luxus gibt, nur Probleme, so viele Probleme. Die überlasteten Pfleger*innen mit beschissener Bezahlung. Um die (vor allem) Frauen an den Supermarkkassen. Die Menschen auf der Straße, für die es kein Home gibt und schon gar kein Home-Office. Die Frauen, die Sicherheit brauchen vor prügelnden Männern. Die Kinder in den toxischen Haushalten, die jetzt die Gewalt in sich aufnehmen, die sie später weitergeben werden, wenn wir es jetzt nicht angehen.

Wir kommen unserem Berlin, wie wir es kennen, langsam wieder näher

Ja, es gibt Wichtigeres als einen 1. Mai, den Berghain-Garten, die Revolutionäre 1. Mai Demo. Corona macht uns alle zu Prokrastinierern mit 1,50 Meter  Mindestabstand zu dem Berlin, wie wir es kennen, wie wir es lieben. Es geht gerade nicht anders. Da sollten wir Experten wie Christian Drosten vertrauen.

Aber wir kommen diesem, unserem Berlin wieder näher. Am 4. Mai geht es los. In aller Ruhe.

Wir sehen uns, Berlin! Du irre, geile Stadt.

Mehr Tipps gegen die Corona-Krise

Take-Away unserer Lieblingsrestaurants: Das leckere Essen zum Mitnehmen in Neukölln, Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg. Falls ihr doch lieber selber zum Beispiel eine Carbonara kochen wollt, hätten wir hier die passenden Tipps. Und ansonsten ist natürlich jetzt auch die Zeit, das Wohnzimmer mit Zimmerflanzen ein bisschen aufzufrischen.

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