Mieten

Corona: Wohnungsfrage spitzt sich in Berlin noch weiter zu

Auch in der Corona-Krise geht der Kampf um bezahlbaren Wohnraum weiter. Berliner Initiativen fordern jetzt gemeinwirtschaftliches Handeln in der Wohnungsfrage – über die Krise hinaus.

Corona und die Wohnungsfrage: Früher fand der Protest noch auf der Straße statt – die Probleme bleiben trotz Isolation. Foto: imago/snapshot

Zehntausende Berliner gehen auf die Straße, um gegen hohe Mieten, Zwangsräumung und Wohnungslosigkeit zu demonstrieren. Zeitgleich mit Menschen in 54 weiteren europäischen Städten. So hätte es am „Housing Action Day“ am 28. März sein sollen. Das war der Plan. Bis das Coronavirus ihn über den Haufen warf.

Wohnungsfrage in Zeiten von Corona: Balkon-Lärm statt Großdemo

Mehr als 100 mietpolitische Initiativen hatten auch in Deutschland zu diesem grenzüberschreitenden Protesttag zu Großdemonstrationen und Kundgebungen mobilisiert. Allein aus Berlin unterzeichneten 23 Initiativen den Aufruf. „Unsere Lobby ist die Straße und die wurde uns gerade genommen – verständlicherweise“, sagt Kim Meyer vom Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. Der Zusammenschluss von Mieter*innen-Initiativen organisierte die Aktionen hierzulande und musste kurzerhand umplanen: Onlineproteste unter #HousingActionDay2020, Transparente an Häuserfassaden und ein abendliches Lärmkonzert von Balkonen und Fenstern. Auch die Pressekonferenz der mietpolitischen Akteur*innen fand online statt.

Für Meyer war es dennoch ein erfolgreicher Tag, weil Mieter*innen und Aktivist*innen trotz der aktuellen Situation sehr engagiert seien. Sie stehen jetzt vor der Herausforderung, sich unter den Corona-bedingten Einschränkungen weiterhin Gehör zu verschaffen bei Politik, Medien und Immobilienwirtschaft.

Die Wohnungsfrage kommt zeitversetzt auf die Agenda

„Ich gehe davon aus, dass das Mietenthema zeitverzögert sehr viel mehr die Agenda der Krisendebatte bestimmen wird“, sagt Kristina Dietz vom Berliner Bündnis kommunal&selbstverwaltet Wohnen (kusWo), das zahlreiche Hausgemeinschaften und Mieter*innen-Initiativen vereint. Je länger sich der Zustand hinziehe, schätzt Dietz, desto mehr Menschen würden unter Druck geraten, ohne regelmäßiges Einkommen ihre Mieten zahlen zu müssen. Wegfallende Aufträge, Kurzarbeit oder gar Jobverlust stellten bereits jetzt viele Menschen vor Zahlungsschwierigkeiten.

Corona trifft auch den Mietendeckel

Mit dem Mietendeckel-Gesetz des Senats wurde zumindest schon vor Corona ein Instrument gegen stetige Mieterhöhungen geschaffen. Seit dem 23. Februar ist es gültig. Vermieter*innen werden zum Beispiel verpflichtet, ihre jeweiligen Mieter*innen innerhalb von zwei Monaten über die höchstzulässige Miete zu informieren. Ansonsten drohen Strafen. Diese Informationspflicht wurde allerdings vom Senat wegen der Corona-Krise zunächst ausgesetzt.

Immerhin: Wer aufgrund der Epidemie die Miete nicht aufbringen kann, dem darf die Wohnung nicht gekündigt werden. Das gilt auch für Gewerberäume. So haben es Bundestag und Bundesrat beschlossen. Seit dem 1. April und bis zum 30. Juni 2020 können Mieten ausgesetzt werden. Aber: Sie bleiben für diesen Zeitraum fällig und müssen mitsamt anfallender Zinsen bis Ende Juni kommenden Jahres beglichen werden.

In Berlin hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bereits eine derartige Regelung bei den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften eingefordert. Diese sollen auch auf Mieterhöhungen verzichten, sofern diese mit dem Mietendeckel-Gesetz überhaupt vereinbar wären. Zudem werden vorerst keine Zwangsräumungen mehr durchgesetzt.

Mietpolitische Initiativen verlangen weitergehende Maßnahmen

Für kusWo und fünf weitere stadt- und mietenpolitische Initiativen ist es damit nicht getan. Pünktlich zum „Action Housing Day“ fordern sie in einem einem Offenen Brief: „Schickt die Miete in die Quaratäne statt Profite mit der Miete!“

Woher solle denn das Geld für die Rückzahlungen von Mietschulden zu einem späteren Zeitpunkt kommen?, fragen die Initiatoren. Schließlich sei es nicht zu erwarten, dass die Menschen nach der Krise mit höheren Einkommen rechnen könnten. Stattdessen eher mit Verschuldung. Deswegen sollten die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften als gutes Beispiel für die gesamte Bundesrepublik vorangehen und auf Grund von Corona entstehende Mietschulden streichen.

Solidarität für alle bedeutet auch: Verluste für alle

Damit beziehen sie eine Gegenposition zum Mieterbund und dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Diese plädieren für einen Hilfsfonds aus öffentlicher Hand, der für die Tilgung von Mietschulden aufkommen könnte.

Die Verfasser haben eine andere Vorstellung von Solidarität: Eine Härtefallregelung für Vermieter, die durch den Ausfall der Mieteinnahmen in existentielle Bedrängnis geraten, sei notwendig. Dass Steuerzahler für wegbrechende Gewinne in der Immobilienwirtschaft aufkommen, sei hingegen nicht akzeptabel.

Corona spitzt die Wohnungsfrage zu. Im derzeitigen Ausnahmezustand kann niemandem zugemutet werden, dass er plötzlich aus seiner Wohnung raus muss. Vorher war genau dies der Fall. „Ich finde, in dieser Krise deutlich wird deutlich, dass eine stärkere öffentliche Daseinsvorsorge notwendig ist. Dazu gehört für uns Gesundheit, genauso wie Wohnen“, sagt Dietz.

Die Krise als Chance für soziale Gerechtigkeit

Ähnlich sieht das Meltem Katırcı von der Initiative Stadt von Unten zu, wenn sie sagt: „Wir sehen, es gibt die Möglichkeit, beachtliche Summen an Steuergeldern in den Wohnungsmarkt zu stecken. Genau der richtige Zeitpunkt, um die Vergesellschaftung von Wohnraum und anderen Bereichen anzugehen.“

Sie gehören ebenfalls zu den Unterzeichnern des Offenen Briefs und engagieren sich für eine am Gemeinwohl orientierte Neugestaltung des Dragonaer Areals in Kreuzberg. Für dieses Frühjahr hatte die Initiative eine große Kampagne für bezahlbaren Wohnraum geplant. Jetzt sind sie dabei, alternative Wege zu finden, um ihren Forderungen an Bezirk und Senat Druck zu verleihen.

Mit mietpolitischen Forderungen gegen Corona anzukommen, ist eine Herausforderung. Zugleich sehen viele eine Chance für die Durchsetzung von sozialer Gerechtigkeit. Verdrängung, Zwangsräumung und Obdachlosigkeit seien auch vor der Krise Teil unserer Realität gewesen, so die Aktivistin von Stadt von Unten. Warum solle man überhaupt zu diesem Normalzustand zurückkehren?

Einiges, was mietpolitische Initiativen seit Langem fordern, wurde auf Landes- sowie Bundesebene innerhalb weniger Tage beschlossen. Daher fordert Katırcı auch: „An diese Handlungsfähigkeit sollten wir uns und die Politik auch nach der Krise erinnern, denn die Ressourcen für eine andere Realität sind da.“


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