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Berliner Esskultur

Drei Gastgeber über Willkommenskultur und das Geheimnis einer guten Atmosphäre


Ivo Ebert, Ilona Scholl und Mathias Brandweiner sprechen über Rasterfahndungen, falsch verstandener Coolness und einem guten Witz im richtigen Moment: Wir haben drei der besten Gastgeber*innen der Stadt nach dem Geheimnis einer guten Atmosphäre gefragt

Foto: Weinmahleins / Clemens Niedenthal

tip Frau Scholl, Herr Brandweiner, Herr Ebert, herzlich Willkommen. Wobei wir schon mitten im Thema sind: Kann man das überhaupt lernen, Gäste Willkommen zu heißen?
Mathias Brandweiner Zu einem Teil ist das sicher etwas, dass man biografisch mit auf den Weg bekommen hat. Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem Gastgeben selbstverständlich war. Der Tisch war reich gedeckt, es gab den guten Wein und es wurde darauf geachtet, dass das Glas immer voll ist. Ich bin erst später draufgekommen, dass diese Atmosphäre prägend für meine Berufswahl war.
Ilona Scholl Ich glaube auch, dass das etwas ist, das man sich nur schwer aneignen kann. Ich merke das immer, wenn wir jemanden Neues im Service haben und ich ihm oder ihr zum ersten Mal einen eigenen Tisch übereigne. Nach zwei, drei Gängen frage ich: Wie geht es eigentlich Deinem Tisch? Wenn ich dann höre: „Gut, die haben nichts Negatives gesagt“, ahne ich das Problem.

tip Weil, die Kommunikation zwischen Gast und Servive vor allem eine nonverbale ist?
Ilona Scholl Im Englischen sagt man so schön: „to tead the room“. Man muss also seismografisch durchs Leben gehen und eine gewisse Grundsensibilität dafür haben, was um einen herum passiert.
Ivo Ebert Das Dienende, das ja durchaus ein veritabler Bestandteil unseres Berufsbildes ist, wird zudem heute nicht mehr als etwas wahrgenommen, das durchaus eine eigene Qualität und Gestaltungsspielräume hat.

tip Sie begreifen Ihre Aufgabe als eine dienende, Herr Ebert?
Ivo Ebert Es gibt den devoten Ivo Ebert und genauso den dominanten. Wenn da etwa eine Tischgesellschaft sehr laut und raumfüllend auftritt, braucht es schon auch eine feinfühlige, aber klare Ansage, sonst machen mir die die Stimmung im ganzen Gastraum kaputt.

tip Also anders herum gefragt: Sind auch die Gäste komplizierter geworden?
Mathias Brandweiner Früher war das sicher klarer geregelt. Es gab die feine Küche und davor den Maitre mit dem Monokel, der dem Gast sogar noch die Serviette auf dem Schoß gefaltet hat. Das wurde erwartet und an diesen Erwartungen konnten sich alle wunderbar festhalten. Bloß keine Überraschungen.
Ivo Ebert Meine erste richtige Station war die Ente im Nassauer Hof in Wiesbaden, noch so richtig alte Schule. Wer dort zum Essen kam, war vielleicht ein Direktor oder sonst jemand, der sich als Chef definiert hat. Diese klaren Hierarchien wurden eben auch im Gastraum erwartet. So gesehen spiegelt das Restaurant die Entwicklungen in der Gesellschaft wider.

tip Überall nur noch flache Hierarchien?
Ivo Ebert Zumindest erkennt man Status und Stellung eines Gastes nicht mehr an der Kleidung oder am Auftreten. Der da am Fenster in der Jogginghose ist also vermutlich der reichste Mensch im Raum. Aber weder er noch ich machen da jetzt viel Aufhebens drum.
Ilona Scholl Spätestens wenn sich der Sommelier aber kumpelhaft zu dir auf den Stuhl quetscht, und das ist mir in Berlin tatsächlich so passiert, merke ich aber, dass man es mit der Formlosigkeit auch übertreiben kann.
Ivo Ebert Das ist dann eben unser Talent und unsere Qualität, dass wir dieser neuen Lässigkeit und Offenheit, für die ich Berlin ja tatsächlich sehr liebe, Form und Klasse geben.

tip Wie exzentrisch darf der Service denn sein?
Ivo Ebert So exzentrisch wie er mag. Und ich erlebe ja durchaus noch Leute, die sagen, Herr Ebert, Sie führen ein Sternelokal in Turnschuhen, wie kann dass denn sein? Wichtig ist nur, dass man authentisch bleibt. Wenn man bloß eine Rolle spielt, fällt das auf.
Mathias Brandweiner Der Gast spürt intuitiv, ob man es authentisch meint. Er stört sich nicht an einem Nasenring, sondern am unempathischen oder ach so coolen Verhalten.

tip Nun schien Coolness und eine fast snobistische Kennerschaft ja zwischenzeitlich das Grundkapital für die neue Berliner Gastronomie zu sein.
Mathias Brandweiner Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Es gab in Berlin zuletzt zu viele Konzepte, die dem Gast ihren Geschmack aufzwingen wollen. Wenn ich essen gehe, dann will ich Spaß haben oder relaxen, aber ich möchte nicht in die Schule gehen müssen.
Ilona Scholl Gäste dürfen widersprechen, sie dürfen sich einen Wein wünschen, den wir vielleicht nicht zu diesem Gang reichen würden. Diese Offenheit muss im Gastraum spürbar sein, sonst hat man als Restaurant etwas ganz Grundlegendes nicht verstanden.

tip Nur: Wie entscheide ich situativ, ob ein Gast ganz mit seinen Erwartungen glücklich ist oder ob er bereit ist für kulinarische Überraschungen, ja sogar Mutproben?
Mathias Brandweiner Dafür braucht es eine Menschenkenntnis – und die bekommt man durch die Arbeit am Gast.
Ilona Scholl Das erste ist immer Rasterfahndung. Wie ist einer gekleidet, wie drückt er sich aus? Man öffnet also seine Schublade und steckt ihn hinein. Der schönste Moment ist für mich aber immer, wenn ich einen Gast wieder aus seiner Schublade rausnehmen kann. Wenn ich merke, dass man gemeinsam auf eine Reise gegangen ist.
Ivo Ebert Das ist ja eine unserer Schlüsselkompetenzen, ein Vertrauen zu schaffen, das die Gäste offen werden lässt für neue Erfahrungen. Quasi Anleitungen zum Glücklichsein.

tip Ist Humor eine entscheidende Grundzutat für einen guten Service?
Mathias Brandweiner Humor kann im Gastraum viel bewirken. Hier im Ritz Charlton beispielsweise haben die Leute schon auch mal Berührungsängste. Sie fragen sich, was sie erwartet. Wenn du mit einem guten Joke einsteigst, ist schon einmal vieles gelöst.
Ilona Scholl Eine hohe Genusserfahrung und eine Leichtherzigkeit und Gelächter, das sind keine Dinge, die sich gegenseitig ausschließen. Zudem ist Humor ein wunderbares Werkzeug, um Erfahrungen zu moderieren, die für einen Gast vielleicht irritierend waren. Wie löse ich die Situation, wenn etwa der Naturwein überhaupt nicht als wohlschmeckend empfunden worden ist? Mit einer Pointe über Naturwein. Damit signalisiere ich dem Gast: Sie dürfen das ruhig doof finden.
Ivo Ebert Überhaupt ist das ein Druck, den wir unbedingt nehmen müssen: Jeder Gast darf schmecken, was er möchte. Es gibt kein richtig oder falsch.

Foto: Anne Smith Photography

Ivo Ebert hatte seine Ausbildung im Restaurantfach eigentlich schon hingeschmissen – um dann ausgerechnet in der Ente in Wiesbaden zu landen, einem Sternelokal, das noch ziemlich alte Schule war. Als Restaurantleiter im Reinstoff von Daniel Achilles hat er das neue kulinarische Berlin geprägt, ehe der gebürtige Köpenicker mit dem Einsunternull in der Hannoverschen Straße, Mitte, sein eigenes Restaurant eröffnete. Letzteres hat mit dem jungen Koch Silvio Pfeufer gerade einen furiosen Neuststart hingelegt, mehr dazu im kommenden tip.

Foto: Ilona Scholl

Ilona Scholl hatte dem Restauranttester der „Süddeutschen Zeitung“ bereits Angst gemacht. Ob ihrer Facebook-Posts und der Ansprache auf dem Anrufbeantworter erwartete er einen exzentrischen, sehr lauten Abend. Am Ende schrieb er eine Eloge auf das von ihr und ihrem Lebensgefährten Max Strohe geführte Tulus Lotrek in der Fichtestraße in Kreuzberg – und auf Ilona Scholls Gastgeberqualitäten. Aber das wussten wir schon vorher: Das inzwischen mit einem Michelin-Stern gekürte Tulus Lotrek war unsere liebste Neueröffnung des Jahres 2016.

Foto: Aimee Shirley

Mathias Brandweiner ist gebürtiger (Nieder-) Österreicher. Was schon viel über seine Gastgeberqualitäten erzählt. Er war Sommelier und später Restaurantleiter im Le Faubourg in Charlottenburg und zwischendurch Sommelier im Les Solistes im Walddorf Astoria. Als Gastgeber im jüngst eröffneten Pots im Ritz Charlton am Potsdamer Platz gelingt ihm (und seinem Team) nicht weniger, als eines der nobelsten Häuser der Stadt um ein tatsächlich niedrigschwelliges, alltagstaugliches, aber doch kulinarisch feines Restaurant zu bereichern.

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