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Das Recht auf Rave: In Georgien feiert man fast wie in Berlin

In Tiflis, Georgien, geht die Jugend demonstrieren, weil sie so feiern will wie in Berlin

Protest für Partys: Raver vor dem georgischen Parlament, Foto: Gvantsa Popkhadze

Im Mai 2018 demonstrierten sie gemeinsam vor der georgischen Botschaft in Berlin: Georgier und Berliner, die bis kurz zuvor nicht einmal wussten, wo Georgien überhaupt liegt. Wenige Zeit vorab hatte die georgische Polizei zwei beliebte Technoclubs in der Hauptstadt Tiflis gestürmt: Bassiani sowie Cafe Gallery. Dort seien tödliche Drogen verkauft worden, hieß es seitens der Regierung. 60 Menschen wurden festgenommen. Was folgte, war eine der größten Demonstrationen junger Leute in Georgien: Über 10.000 Menschen zogen vor das Parlament in Tiflis. Techno wurde zu einer politischen Bewegung. Weltweit rollte eine Solidaritätswelle an, die auch durch Berliner DJ-Stars wie Ben Klock oder Ellen Allien unterstützt wurde. 

„Es geht um viel mehr als Drogen, es ist ein Generationenkonflikt“, sagt Irakli Kiziria. Der Georgier organisiert mit anderen die Staub-Partys im about blank in Berlin, arbeitet als Designer und Technoproduzent. Zudem initiierte er einen Austausch zwischen der georgischen und der Berliner Clubszene. 2016 war Staub im Club Vitamin Cubes in Tiflis zu Gast. „Die heutige Clubszene in Tiflis entstand vor etwa vier Jahren“, sagt Irakli Kiziria. Dies sei ohne ausländische Kulturförderprogramme geschehen, dennoch seien schon früh DJs aus europäischen Ländern nach Georgien gekommen.

Wieso Techno zur Musik der europäisch orientierten Jugend in Georgien wurde? Irakli Kiziria hat eine These: „Techno ist mehr als Musik. Techno bedeutet Freiheit. Freiheit hinsichtlich der Herkunft und hinsichtlich der Sexualität.“ In Georgien habe die orthodoxe Kirche noch einen starken Einfluss, die andere Werte vertrete. Die traditionelle Familie müsse vor Homosexualität geschützt werden, heißt es dort seitens der Kirche, die wiederum Verbindungen nach Russland unterhält. Wer diese traditionellen Werte ablehne, höre meistens Techno. „Es ist der Sound des Umbruchs”, sagt Kiziria. „So wie im Berlin der 1990er-Jahre“.

Die Connection zu Berlin beschwören auch andere. „Berlin und das Berghain sind die Vorbilder der hiesigen Clubkultur”, sagt ein georgischer Clubbesitzer, der aufgrund der politischen Situation nur anonym mit der Presse sprechen möchte. „In Berlin herrscht in den Clubs eine Freiheit, von der wir hier nur träumen können. Aber wir wollen das auch“, sagt er. Viele Georgier seien für ein paar Jahre ins Ausland gegangen und importierten den westlichen Lebensstil. So entstanden vor fünf Jahren Clubs wie Cafe Gallery und Bassiani. Das Forbes Magazin schreibt über das Bassiani, es sei eines der erfolgreichsten Startups des Landes. Das Bassiani sei eine Firma, die im globalen DJ-Business mitspielen kann und dem Land eine vorher nicht gekannte Freiheit schenke. Und das gerade mal 200 Kilometer von Tschetschenien entfernt.

Doch der Druck auf die Partyszene ist hoch. Geringste Mengen MDMA oder Kokain reichen aus, um für sieben bis zwanzig Jahre ins Gefängnis zu kommen. Die Szene Georgiens fühlt sich bedroht. Von der Polizei, aber auch von rechten Gruppierungen. Die Demonstrationen haben zumindest ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt. Der Hashtag #wedancetogetherwefighttogether habe die Jugend mobilisiert, eine Freiheit zu fordern, wie sie in Berliner Clubs seit Jahren möglich ist, so der in Berlin lebende Veranstalter Irakli. 

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