Dokumentation

Dekonstruktion des Genres: „Antiporno“ im Kino


Starregisseur Sion Sono dreht mit Antiporno die sehr japanische Vorliebe für speziellen Softsex durch die Mangel

One Filmverleih

Wie in den Ländern Westeuropas erreichte die Popularität von Softsex-Exploitation auch in Japan ihren Höhepunkt bereits in den 1970er-Jahren. Zum einen war die Gesellschaft inzwischen so weit vorangekommen, dass Sexualität offen diskutiert werden konnte, zum anderen erkannten Kinounternehmer schnell das Geschäft, dass sich mit der nunmehr erlaubten Darstellung von Nacktheit machen ließ. Nach der Freigabe von Hardcore-Pornografie Mitte der 70er und dem Aufkommen der Videotheken zu Beginn der 80er ebbte die Softsex-Welle in Europa dann schnell wieder ab.

In Japan ist Hardcore-Pornografie jedoch bis heute nicht erlaubt – was nicht zuletzt zu kulturellen Eigenheiten wie Pornos mit verpixelten Geschlechtsteilen oder der Fetischvorliebe für S/M-Fesselspiele führte. In der Alltagskultur der Japaner (etwa den Mangas und Animes) ist Softsex bis heute ein normales Feature – insofern ist ein aktuelles Revival der sogenannten „Pink“-Filme wohl weniger seltsam, als man zunächst vielleicht denken möchte.

2016 versuchte es das große Nikkatsu-Studio mit der Neuauflage einer „Roman Porno“ (Romantic Pornography) betitelten Serie, mit der man tatsächlich gewisse Erfolge feiern konnte. Interessanterweise vor allem auf Filmkunstfestivals – schon die originalen „Pink“-Filme waren ein beliebtes Versuchsgelände für ambitionierten Regienachwuchs gewesen. Heute greift man in der Wahl der ­Regisseure allerdings lieber gleich auf etablierte Festivallieblinge zurück. „Anti­porno“ von Sion Sono („Love Exposure“) ist der vierte Film der „Roman Porno“-Serie: ein für den ­Regisseur vergleichsweise kurzes, mit ­geringen Mitteln gedrehtes Werk, das – um die Begrifflich­keiten gleich zu klären – weder ­romantisch noch pornografisch oder überhaupt irgendwie „erotisch“ daherkommt.

Vielmehr handelt es sich bei „Antiporno“ ­tatsächlich um einen ebensolchen, der die konstituierenden „Pink“-Regeln – Nacktheit und simulierter Sex – letztlich für eine ­Dekonstruktion des Genres benutzt. Hier werden weibliche Rollenbilder (Jungfrau und Hure) ebenso infrage gestellt wie patriarchalisch geprägte Doppelmoral und die daraus resultierenden beliebtesten japanischen Fetische (S/M-Sex und Frauen in Schulmädchenuniformen).

Der Plot ist nur schwer zu ­beschreiben: Wie etwa in Filmen von Alain Resnais durchdringen sich auf verschiedenen ­Ebenen die Dreharbeiten zu einem Sexfilm, ein Bühnenstück und private Erinnerungen und ­Erfahrungen der Darstellerinnen. Die Schriftstellerin und Malerin Kyôko (Ami Tomite) verwickelt dabei zunächst ihre Assistentin Noriko (Mariko Tsutsui) in erniedrigende Praktiken mit der Entourage einer eintreffenden Journalistin; als sich dies als Teil einer Filminszenierung herausstellt, kehrt sich das Machtgefüge jedoch um: Nun demütigt die erfahrene Schauspielerin Noriko das vermeintlich untalentierte Starlet Kyôko.

Die Wiederholung der Eingangsszene entwickelt sich zusehends zu einer ausufernden Variation. Das alles ist gut durchdacht, manchmal bitter-lustig („Männer pinkeln im Stehen. Sie lieben es, selbst auf Toiletten herabzusehen“), aber nicht zuletzt in seiner totalen Künstlichkeit und mit zwei sich ständig beschimpfenden Protagonistinnen auch etwas anstrengend.

Antiporno J 2016, 76 Min., R: Sion Sono, D: Ami Tomite, Mariko Tsutsui, Sakaya Kotani, Start: 16.5. 

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