Filmkritik

Hypnose bei Neureichen: „Der Masseur“ von Szumowska und Englert

Die wichtigste Regisseurin im neueren polnischen Kino neben Agnieszka Holland hat gemeinsam mit ihrem langjährigen Kameramann einen kunstvollen Film über die neuen Privilegierten in Polen gemacht: „Der Masseur“

„Der Masseur“ von Malgorzata Szumowska und Michal Englert. Bild: Real Fiction

Visionäre Bilder: „Der Masseur“ von Malgorzata Szumowska und Michal Englert

DRAMÖDIE Vor den Toren vor Warschau gibt es eine Neubausiedlung hinter Sicherheitsschranken. Das neue Bürgertum Polens lebt hier einen Traum von Biedermeier, schickt die Kinder auf eine französische Schule, und lässt sich die Verspannungen von einem jungen Mann aus der Ukraine behandeln. Dieser Zhenia ist die Hauptfigur in dem Film „Der Masseur“ von Malgorzata Szumowska und Michal Englert. Die neben Agniesza Holland wichtigste Filmemacherin aus Deutschlands östlichem Nachbarland hat ihren langjährigen Kameramann zum Co-Regisseur gemacht, und zwar aus gutem Grund: „Der Masseur“ ist nicht zuletzt ästhetisch ein Ereignis.

In den ersten Bildern sehen wir Zhenia aus dem Wald kommen, die Arbeitsgenehmigung verschafft er sich schon mit einem seiner Tricks. Er versteht sich nicht nur auf Massage, sondern auch auf Hypnose, und ist überhaupt ein eigentümlich begabter Mann. Eine Aura des Messianischen geht von ihm aus, vielleicht aber auch einfach des Erotischen. In der Gated Community massiert er eine moderne Hausfrau, einen krebskranken Mann, einen gefährlich wirkenden ehemaligen Soldaten, eine Hundebesitzerin. Für alle wird Zhenia zu einer Projektionsfigur, er nimmt eine ähnliche Rolle ein wie Terence Stamp, der in Pasolinis Klassiker „Teorema“ als junger Gott eine Familie durcheinanderwirbelte.

Zhenias Doppelleben bestimmt den Film „Der Masseur“

Szumowska und Englert erzählen von Zhenias Doppelleben (abends geht er in seine Wohnung in einem Plattenbau, tagsüber schleppt er seinen Massagetisch von Villa zu Villa) auf eine nahezu visionäre Weise: Der Surrealismus, den „Der Masseur“ um sich verbreitet, durchdringt die Bilder, lässt sie immer wieder ins Rätselhafte kippen, viele Szenen sind auch komisch in ihrer anzüglichen Montage.

Zhenia kommt aus der Gegend von Tschernobyl, er ist vielleicht tatsächlich auf eine gewisse Weise verstrahlt, vielleicht ist er aber auch nur einfach ein Wunschtraum für Menschen, die sich vor der Schönheit des Lebens in ein durchgeplantes Immobilienglück zurückgezogen haben. Szumowska und Englert spielen geschickt mit den großen Themen des Lebens, lassen diese aber auch gezielt ins Leere laufen, oder in die trügerische Euphorie einer Hypnose. Im Rausch wird Zhenia einmal zu Superman („Ich werde euch alle retten“), sein größter Auftritt endet mit einer großen Pointe. „Der Masseur“ (Originaltitel in etwa: „Es wird niemals wieder schneien“) macht vielleicht manchmal ein bisschen zu gewollt auf Filmkunst, ist aber auf jeden Fall ein Höhepunkt des europäischen Kinos.

Polen 2020; 113 Min.; R: Malgorzata Szumowska & Michal Englert; D: Alec Utgoff, Maja Ostaszewska, Agata Kulesza; Kinostart: 19.8.

Alle Filmstarts vom 19. August haben wir hier in der tipBerlin-Übersicht; dazu den gewohnten Überblick über die aktuellen Termine der Freiluftkinos; weiterhin im Kino: die Filmstarts vom 12. August und vom 5. August

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