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CORONA-GESPRÄCHE

Deutscher Filmpreis: Ulrich Matthes, der Präsident der Filmakademie spricht über Corona

Am Freitag, 24. April, werden trotz Corona die Deutschen Filmpreise vergeben. Die Zeremonie wird ein wenig aussehen wie eine Teamsitzung mit vielen Home Offices. Der Präsident der Deutschen Filmakademie, Ulrich Matthes, über die Gründe, an der Preisverleihung festzuhalten, und über seinen Alltag während der Corona-Krise 

Corona und die Filmbranche. Der Deutsche Filmpreis wird in diesem Jahr anders aussehen. Ulrich Matthes, Präsident der Deutschen Filmakademie.
Ulrich Matthes, Präsident der Deutschen Filmakademie. Foto: Imago / Future Image

tip Herr Matthes, wie geht es Ihnen? 

Ulrich Matthes Ganz gut. Ich bin überrascht über die Fähigkeit, sich in so einer Situation einzurichten und zu bescheiden, und gleichzeitig sehnsüchtig zu bleiben. Der Mensch ist doch ein wahnsinnig anpassungsfähiges Tier. Insofern komme ich ganz gut über die Runden. 

tip Sie sind Präsident der Deutschen Filmakademie. Wie weit waren Sie denn eingebunden in all die Entscheidungen, die jetzt zu treffen waren: ob die Verleihung stattfinden soll, und in welcher Form? 

Ulrich Matthes Na, eingebunden war ich natürlich, das wäre ja noch schöner … 

Ulrich Matthes: „In der erzwungenen Bescheidenheit liegt eine Kraft“

tip Es gibt auch Präsidenten, die in erster Linie präsidieren. 

Ulrich Matthes Ach so, ja. Jeden Morgen um 7.30 wird mir von meinem Pagen mein Hermelin umgelegt, und dann geht’s los. Nein, ich nehme natürlich an den Diskussionen teil. Die konkreten Abläufe des Abends bestimmt ganz wesentlich Sherry Hormann, die wieder inszenieren wird, und Edin Hasanovic, der das vor zwei Jahren schon mit größtem Charme und einer wunderbaren, jetzt hätte ich fast gesagt, Rampensäuigkeit, gemacht hat. Die beiden werden gemeinsam mit einem kleinen Autorenteam den Abend bestimmen. 

tip Wie weit muss man sich denn beim Filmpreis auf die Krise einlassen? 

Ulrich Matthes Wir sind herausgefordert, eine Balance zu finden zwischen Ernsthaftigkeit, denn natürlich ist Corona auch ganz und gar furchtbar, und trotzdem irgendeiner Art von Hoffnungsglimmer und vielleicht sogar ein bisschen Humor. Denn auch das gehört dazu, sich ein paar etwas frohere Gedanken darüber zu machen, dass das auch irgendwann mal wieder vorbei sein wird. 

„Der Deutsche Filmpreis wird wegen Corona in diesem Jahr sehr digital und etwas improvisiert ausfallen“

tip Es ist doch einigermaßen Neuland: ein Festakt im virtuellen Gemeinschaftsraum. 

Ulrich Matthes Es wird ein bisschen improvisiert sein, es wird relativ digital sein, die Nominierten werden zu Hause sitzen, wo auch immer. Einige Laudatorinnen und Laudatoren werden aber natürlich aus dem Studio sprechen. Ich bin einfach ingesamt sehr froh, dass der Abend stattfindet, allein schon um die großartigen Leistungen des letzten Kinojahres, also vor Corona, zu würdigen. Ich hätte es fatal gefunden als Zeichen für die ohnehin sehr angeschlagene Branche – wie alle Branchen im übrigen, ich will unsere nicht für bedeutender halten als andere –, wenn das nicht stattgefunden hätte. 

tip Wir haben uns inzwischen schon an diese Gucklöcher in die Heimwelten gewöhnt. Bücherwände werden gern als Hintergrund gewählt. Das kommt inzwischen nicht mehr immer gut an, gilt manchmal als Angeberei. 

Ulrich Matthes Na ja. Ich habe ja neulich bei Spiegel Online ein paar Schiller-Balladen gelesen, und da habe ich mich bewusst vor eine Wand ohne Bücher gesetzt, da gab es ein Plakat und ein Foto. Meine 70.000 Micky Maus-Hefte habe ich schamhaft verborgen. 

tip Bei den Oscars ist der Zufall ja auf ein Minimum reduziert, beim Deutschen Filmpreis wird heuer nicht in die Schaltungshintergründe hineininszeniert? 

Ulrich Matthes Nein, und zum Glück. Die Oscars hatten in den letzten Jahren doch eine etwas sterile Anmutung. Jeder Satz, zumal von den Laudatoren, wird hundertfünzig Mal geprobt. Aber wer bin ich, dass ich mich über die Oscars erhebe! Ich will hoffen, dass es bei uns in einer Art von vorbereiteter Mischung aus Analogem und Digitalem vielleicht mit einem Hauch von Anarchie ablaufen wird. Der Filmpreis wird auch nicht so lange dauern, in den letzten Jahren war es manchmal zu ausführlich… In der erzwungenen Bescheidenheit liegt vielleicht eine Kraft, die die ausgezeichneten Leistungen genau so würdigt wie in einem vermeintlich glamouröseren Umfeld. 

„Das könnte den künstlichen Glamour auf ein menschliches Maß zurückführen“ 

tip Gibt es Absicherungen durch eine zeitverzögerte Ausstrahlung? 

Ulrich Matthes Es wird live ausgestrahlt. Das ist ja der Witz. 

tip Die Schaltungen werden uns an die klassischen Samstagabend-Shows erinnern. 

Ulrich Matthes Ah, Sie denken an legendäre Außenwetten bei „Wetten, dass …“, à la halb Erlangen erscheint in gestreiften Unterhosen. 

tip Ja, so stelle ich es mir ein bisschen vor. Und für die Ausgezeichneten wird es sicher eine noch größere Herausforderung, quasi vor der Webcam diese Mischung aus Spontaneität und Professionalität hinzukriegen, von der die Dankesreden häufig geprägt sind. 

Ulrich Matthes Menschen sind sehr unterschiedliche Wesen, die einen sind weder im Analogen noch im Digitalen in der Lage, der Freude, die sie empfinden, auf eine besonders telegene Weise Ausdruck zu verleihen. Andere sind das sehr. Das macht die Sache anrührend, und wenn es ein bisschen dürftig wirkt, wenn da vielleicht jemand bei sich zu Hause sitzt, im Tischtenniskeller, und sagt, Mensch, das gibts doch gar nicht, hätte ich nicht damit gerechnet, und dann flackert das Bild noch ein bisschen, das könnte doch großartig sein! Das könnte den künstlichen Glamour, für den normalerweise der rote Teppich und die schönen Kleider sorgen, auf ein menschliches Maß zurückführen. 

„Wir können als Filmakademie nicht mehr tun, als mit den Verantwortlichen in Kontakt zu bleiben“

tip Die Filmbranche ist nun auch stark auf öffentliche Hilfe angewiesen. Welche Rolle übernimmt da die Filmakademie? 

Ulrich Matthes Man muss unterscheiden zwischen der Filmakademie und den verschiedenen Lobbyorganisationen. Die Filmakademie muss das Gespräch mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters suchen, und ich habe glücklicherweise ein gutes Verhältnis zu ihr. Wir müssen sie bitten, dass sie ihren Worten auch Taten folgen lässt. Sie hat deutlich gesagt, dass sie die Kultur für systemrelevant hält. Wir können als Filmakademie nicht mehr tun, als mit den Verantwortlichen in Kontakt zu bleiben. Wichtig ist mir: Vergesst die Kinos auf dem Land nicht, die waren ja schon vor Corona gefährdet, auch die kleinen Theater.

Ich glaube einfach an diese analogen Orte. Für den menschlichen Seelenhaushalt ist das bedeutender als die noch so geglückte Netflix-Serie, die ich ja auch gucke. Das sorgt für eine andere Art gemeinsamer Energie, Berührtsein, Lachen. Wir hoffen ja alle auf die Zeit danach. Vor ein paar Tagen habe ich ein Drehbuch gelesen. Der Gedanke an Dreharbeiten im Frühling 2021 war in dem Moment dann aber fast surreal, wenn nicht obszön. Aber irgendwann werden wir uns auch anekdotisch an die Gegenwart erinnern, jetzt stecken wir mittendrin und machen uns Gedanken. 

tip Man kennt sie als bestens informierten Zeitgenossen. Wie erleben Sie die Krise als Medienkonsument? 

Ulrich Matthes Ich bin eh so ein Informationsjunkie, und war immer schon ein leidenschaftlicher Zeitungsleser. Jetzt halt auch sehr viel online. Ich gucke ununterbrochen, mich bedrückt das auch nicht, ich will wissen, was da an Fortschritten oder auch an Rückschritten passiert. 

„Hertha und Union sind mir im Grunde gleich lieb“

tip Lernen Sie sich auch gerade ein wenig selbst neu kennen? 

Ulrich Matthes Ich entdecke an mir eine Fähigkeit zur Geduld, die ich so für gar nicht möglich gehalten habe. Ich habe das für mich selber mit einem seelischen und geistigen Notstromaggregat verglichen, auf das ich umgeschaltet habe. Es gelingt mir, mit relativ wenig auszukommen. Mir fehlen natürlich enorm die vielen unterschiedlichen sozialen Kontakte. Aber ich kann mich sehr gut von Pellkartoffeln und Quark ernähren, es muss nicht der außergewöhnliche Restaurantbesuch sein. Ich bin mit der immer gleichen Strecke im Tiergarten auch zufrieden, ich muss nicht sechs Wochen nach Neuseeland.

Mir gelingt es, mit diesen Beschränkungen ganz gut klarzukommen. Eine heraufdämmernde Diktatur sehe ich nicht. Die Maßnahmen sind vernünftig, ich weiß, dass sie zurückgefahren werden, wenn es plausibel ist. Ich fühle mich als demokratisches Wesen ernst genommen, und versuche jetzt, mein Leben ein bisschen auf Sparflamme zu leben. Ich versuche, gesund zu bleiben. Irgendwann geht das Leben, möglicherweise sogar etwas bewusster und etwas bescheidener, auch wieder weiter. Ich nehme meine Befindlichkeit denkbar unwichtig. 

tip Die Kinos sind geschlossen, die Theater, und auch der Sport macht Pause. Ist der wichtig für Sie? 

Ulrich Matthes Fußball noch am wenigsten, da ich leider keinen Lieblingsverein geschafft habe. Hertha und Union sind mir im Grunde gleich lieb, was ja für einen West-Berliner vollkommen absurd ist. Ich liebe aber die Leichtathletik! Ich bedaure sehr, dass die Olympischen Spiele nicht stattfinden, darauf habe ich mich sehr gefreut, weil ich während der Spiele täglich um die fünfzehn Stunden gucke. Da ist dann bis zu den gedopten kasachischen Gewichtheberinnen alles dabei. Leichathletik-Weltrekorde von 1918 bis heute kann ich Ihnen alle aufzählen. 


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Die Homepage vom Deutschen Filmpreis.

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