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Porträt

Die Challenge: Der 17-jährige Joshua K. hat Krebs und verarbeitet seine Krankheit auf Youtube

Seit dem Rezo-Video über die „Zerstörung der CDU“ diskutiert das Land über Youtuber*innen. Einer von ihnen ist Joshua K., ein 17-jähriger Berliner. Seit fünf Jahren stellt er Video-Clips auf seinen Kanal. Sie werden immer besser, professioneller, erfolgreicher. Eines Tages ist es plötzlich kein Spaß mehr

Foto: David von Becker

Auf einem Bolzplatz, roter Kunststoffbelag, irgendwo in Berlin. Zwei Jungs, etwa zwölf, der kleinere im roten Shirt, der Größere im schwarz-weiß-karierten Hemd. Und ein Ball. Wer kann am längsten damit jonglieren? Drei Versuche. Der im karierten Hemd verliert. Die Strafe: an drei Mietshäusern bei fremden Leuten klingeln. 13 Sekunden warten. Und abhauen.
Bolzen plus Klingelstreiche: Das alles ­hätte so auch in den 1960ern oder den 1980ern stattfinden können. Es ist aber ein Frühlingstag im Jahr 2014. Und eine Kamera läuft mit. Joshua, der Junge im karierten Hemd, lädt kurz darauf das bearbeitete Video ins Internet hoch. Auf seinem eigenen Youtube-Kanal, der nach seinen Initialen „JeyKey“ benannt ist.

Dort ist „Challenge #1 / Bestrafung!!!“ erst sein zweiter Beitrag. Zeitweise wird er im Wochenrhythmus Videos veröffentlichen, in denen man erst einem Kind, dann einem Teenager, beim Großwerden zusehen kann.

Joshua K. ist einer dieser Youtuberinnen, von denen die meisten Menschen über 20 bis kurz vor der Europawahl kaum Notiz nahmen. Bis ein blau frisierter Mittzwanziger das 55-minütige Wutvideo „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlichte. Seit Rezos Rant diskutiert das Land: Wer sind diese Youtuber eigentlich? Joshua ist einer von vielen, die vor allem Spaß haben wollen. Sich ausprobieren. Mit „Challenges“, Herausforderungen, wie dem Bolz-Klingel-Clip. Und „Pranks“, wie dort Streiche heißen. Aber plötzlich, Anfang 2019, wird alles anders. Als Joshua, mittlerweile 17, in die Kamera spricht: „Ich hab’ Krebs!“ Die größte Challenge. Und aus Spaß wird bitterer Ernst.

Kinderstreiche ohne Kommerz Mit zwölf beginnt es bei Joshua, wie bei vielen Altersgenossinnen: mit der Begeisterung für die Videos der anderen. Besonders für die Beiträge von Julien Bam, mit derzeit 5,4 Millionen Abonnenten einer der Stars der deutschen Youtube-Szene. Joshua ist auch Fan von Let’ s-Play-Videos, schaut Gamern beim Spielen zu. Obwohl, wie er sagt, seine „Eltern mit den Augen gerollt haben, wenn sie das mitkriegten“. Seine Mutter schreibt für eine Wochenzeitung, der Vater ist Fernsehjournalist.

Anfangs sind es nur ein paar hundert Betrachterinnen, die JeyKeys Begrüßung „Yo, Leute, willkommen zu einem neuen Video“ hören. Die Clips heißen „Rodeln im Sommer“, „Fahrt nach Hamburg Tag 1“ oder „Longboarden in Berlin“. Ende November 2014 erreicht sein Video „Beste Bestrafung Ever! Versuche dich nicht zu erschrecken Challenge!“ weit über 10.000 Aufrufe. Besonders der Telefon­streich ist der Brüller. Mit verstellter, dunkler Stimme und italienischem Akzent versucht Joshuas Kumpel Micka als vermeintlich verspäteter Bote einem Angerufenen eine (imaginäre) Pizza aufzuschwatzen. Allein der Spaß, den die Jungs dabei haben, ist sehenswert.

Angesichts solch harmloser Scherze willigten auch Joshuas Eltern – unter ein paar Bedingungen – ein, dass ihr Sohn mit seinen Videos an die Öffentlichkeit geht. Worauf er sich nun mit Verve in die Tücken der Filmtechnik und Dramaturgie stürzt. In „5 Wege wie man sein TASCHENGELD aufbessert!!!“ vom Juli 2015 gibt er bei gespielten Diskussionen um die Höhe der kindlichen Einkünfte beispielsweise sowohl den Kinder – als auch den Elternpart. Mehr als 21.000 Aufrufe. Kein Vergleich natürlich zu anderen Youtuberinnen, die unter anderem Kosmetikprodukte bewerben, von Agenturen vermarktet werden. Deren Videos erreichen oft sechsstellige Aufrufzahlen. Auch „Diss­tracks“, Beleidigungstiraden, kommen auf deutlich höhere Aufmerksamkeitsraten. Wie der Stuttgarter „ThatsBekir“, dessen Provokationen im März zu einer überaus analogen Massenschlägerei am Alexanderplatz mit Fans seines Kontrahenten „Bahar al Amood“ – und zu 457.307 Aufrufen des Videos – führten.

Rezos „Die Zerstörung der CDU“ wurde bis Ende letzter Woche gar 14 Millionen Mal angeklickt.
Aber Klicks sind nicht alles. Die Fitness-Bloggerin Sophia Thiel, 930.000 Abonnenten, zog sich kürzlich zurück. Grund: Burnout. Das verkündete sie per Clip. 2,1 Millionen Aufrufe.

Trotzdem – oder gerade deshalb – feiert JeyKey in seinem gänzlich unkommerziellen Kanal seine „Leute“, die Abonnenten, wie liebe Vertraute. Als er jeweils die 100er-, 500er- und 1.000er-Abonenntenmarke knackt, bringt er besondere Specials. Die Zuschauerzahlen sind wichtige „Milestones“, sagt er. Bestätigung, Stolz. Darüber, dass sich das Frickeln lohnt.

Doch unter JeyKeys Videos mischen sich zwischen Fragen und Lob für seine Beiträge auch immer mal wieder rassistische Kommentare. Der Youtuber ist Kind afrodeutscher Eltern, hat Angehörige unter anderem in Ghana, der Karibik, in Schweden. Joshua sagt: „Ich lösche rassistische Kommentare sofort.“ Lieber feiert er die menschliche Vielfalt. Wird dabei älter, männlicher, erwachsener. Immer unter den Augen seiner Follower.

Aber irgendwann herrscht Funkstille auf dem Kanal, monatelang. Als Joshua sich im März 2017 wieder meldet, ist sein Gesicht aufgedunsen. „7 ein halb Monate krank! – Entzündung im Gehirn“ heißt das Video. Er müsse Kortison nehmen, sagt er. Knapp ein halbes Jahr sei er im Krankenhaus gewesen. Was JeyKey im Clip nicht erzählte: Er hatte unter heftigen Symptomen gelitten, für die es ­lange keine Diagnose gab. Vielleicht der Hauptgrund für seine Eltern, ihm eine ­Familienreise in die Karibik zu versprechen. JeyKey nimmt seine „Leute“ per „Vlogs“, den Video-Reisetagebüchern, mit ins „PARADIES – Tobago“ und ins „PARADIES – Trinidad“.

Wieder zurück in Deutschland, macht der mittlerweile 15-Jährige weiter. Ein Musikvideo mit seiner Schwester und einem Freund. Experimente mit einer filmenden Drohne. 3-D-Animationen. Kenntnisse, die er sich „durch Internet-Tutorials selbst beigebracht“ hat, wie er sagt. Sein Vater beteiligt ihn bei seiner knapp 15-minütigen Filmcollage „Afro.Talk – 3 Generationen im Gespräch“, ein Auftrag des Hygienemuseums Dresden für die dort im Mai 2018 eröffnete Ausstellung „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“. Joshua tritt als einer von drei Protagonisten auf. Außerdem übernimmt er den Filmschnitt.

Und dann, an jenem 21. Januar 2019, nach neuerlich langer Pause, zieht er sich plötzlich in einem Video eine Wollmütze vom Kopf. Darunter: eine Glatze. „Ich hab‘ Krebs“, sagt JeyKey. „Und, ganz ehrlich Leute, ich hab’ keinen Plan, wie ich das Video anfangen soll.“

Joshua erzählt von dem Tag, an dem er die Diagnose bekam – nach einer Routineuntersuchung wegen der vorausgegangenen Erkrankung. Berichtet – nur kurz – von seinem Schock, der Intensivstation, der Chemotherapie. Aber er geht davon aus, dass es ihm bald besser geht: „So scheiße das auch alles ist, das Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen“.

Dass sich der Youtuber lange Zeit unsicher war, ob er mit der Krebserkrankung an die Öffentlichkeit gehen sollte, das erzählt er nicht. „Aber ich will die Hoheit über mein Leben zurückbekommen. Ich will selbst bestimmen, wie die Krankheit gesehen wird“, sagt er im Gespräch. Trotz der Sendepause sind ihm seine knapp 1.800 Abonnenten treu geblieben. „Freut mich sehr dass du wieder da bist! :)“, steht in den Kommentaren, oder: „Sehr starke Message, Bruder, keep going“. Und, in Großbuchstaben: „DU BIST TOLL !!!!!“

Auch Joshua verabschiedet sich von den Fans im typischen Youtuber-Style: „Wenn’s euch gefallen hat, dann lasst doch ’ne positive Bewertung da. Oder ein Abo, um nichts mehr zu verpassen“. Und dann atmet JeyKey erleichtert auf: „Puh – ich kann’s noch!“

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