Rap

Diversity und Donnerschenkel: Miss Eaves spielt im Maze

Miss Eaves hat keine Lust auf dünne Beine und dumme Dates. Wenn sie traurig ist, schreibt sie sich und ihren Sisters aufrichtende Rap-Tracks – oder backt Torten aus Pappmaché

Foto: Wizpro

Manche Trends sollten nie, wirklich nie zurückkehren. Vor ein paar Jahren geisterte die „Thigh Gap“, zu Deutsch „Oberschenkel-Lücke“, als weibliches Schönheitsideal durch die sozialen Medien. Der angeblich ­erstrebenswerte Zustand: Frauenbeine sollten so dünn sein, dass zwischen beiden Oberschenkeln selbst dann Platz bleibt, wenn sich die Knie im ­Stehen berühren. Bei den meisten Menschen ist das anatomisch nur möglich, wenn sie sich auf Minimalgewicht herunterhungern.

Das gesündere Körperbild hat da Miss Eaves anzubieten: Im Video zu ihrem Song „Thunder Thighs“ („Donnerschenkel“) tanzt und twerkt die Rapperin mit ihrer Crew durch die Straßen New York Citys. Dabei kriegt man zu sehen, was man in den Medien lange tabu war: wabbelige Beine, dicke Bäuche, Dehnungsstreifen. ­Schwarze und weiße Frauen jenseits der Size Zero, die im Bikini ihre Hintern kreisen ­lassen. Auch eine Lady mit grauem Haar löst ihre Hochsteckfrisur und schließt sich der Posse an. Eine Diversity-Revue, die zeigt: „Body Positivity“, der Glauben daran, dass alle Körperformen schön sind, ist ein Stück Lifestyle-, Netz- und Popkultur geworden.

Künstlerinnen wie Lizzo, noch so eine Rapperin der Stunde, und eben Miss Eaves ­alias Shantony Exum haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Vor allem die New Yorkerin Exum erhebt die Bespiegelung des Alltäglichen, Menschlichen zur Kunstform. Während Lizzo mit ihrer Donnerstimme die klassische Diva mit postmodernem Themenkanon gibt, inszeniert sich Exum als humorvolle Katastrophenführerin durch Millennial-Land: In den bassbetonten, Electropop-lastigen HipHop-Stücken ihrer neuen EP „Sad“ rappt sie über Selbstliebe, öde Online-Dates und die Tücken des Großstadtlebens. Ihre schrägen Videos überzeichnen die besungenen Probleme mit viel Humor und Detailliebe: Ihr glaubt, ganz normale Menschen seien Freaks? Kriegt ihr eben eine Freakshow!

Skype-Anruf in Brooklyn: Exum ist gerade aufgestanden und sagt, sie habe „extra noch aufgeräumt“, während sie auf ihr vollgestelltes Arbeitszimmer im Hintergrund deutet. Auf Twitter bezeichnet sie sich als „Rap-Göttin (…) und gammelige Freelancerin, die nur Schlafanzüge trägt“; zum Interview hat sie sich für Hoodie und Hauskleid entschieden.

Exum ist, ganz Kind ihrer Generation, nicht nur Sängerin, sondern auch ­Fotografin, leitet eine Design-Firma, entwirft Logos, Poster und Webseiten, aber auch Skulpturen, am liebsten aus Pappmaché. Kolleginnen wie Santi­gold inspirieren sie ebenso wie der Regisseur Michel Gondry, den die Träumer der Welt für seine surrealistische Ästhetik lieben. Exum ist eine DIY-Existenz, eine ­typische Vertreterin des Kreativprekariats. „Oft denken die Leute, ich arbeite umsonst, weil ich einen künstlerischen Job habe und das ja so viel Spaß macht“, sagt sie. „Aber nein, Mann, das ist auch Arbeit!“ Im Video zum neuen Song „Exposure Kills“ persifliert sie zu technoiden Beats den Alltag in den Agenturen und Coworking-Spaces dieser Welt, in der alle superdupercool miteinander sind, aber im Ernstfall doch oft auf Solidarität scheißen.

Neben der Jobwelt zieht sich auch das Thema Liebe durch ihre Songs. Allerdings anders, als man erwarten könnte: Im Song „Left Swipe Left“ rät sie ihren Fans, verstärkt von einem Stimmchor, nach „nach links zu wischen“ – was auf der Dating-App Tinder bedeutet, jemandem einen Korb zu geben. Schon im Song „Boyfriend Material“ sang sie darüber, lieber allein zu bleiben, als ihre Zeit mit ­„cocky bros with big egos“ zu verschwenden.

Während Junggesellen als coole Dudes auf der Jagd nach Abenteuern gelten, haftet Single-Frauen ein trauriges Image an: armes Ding, immer noch allein. Exum nervt das. „Es gibt so viele Arten von Liebe, aber in westlichen Gesellschaften schlägt romantische Liebe alles andere“, sagt sie. „Wir reden nicht über Selbstliebe, über die Liebe zu deinen Freunden, deiner Familie oder für deine Leidenschaften. Alles, was zählt, ist eine Beziehung zu haben. Das ist toxisch. Romantische Liebe kann schön sein, wenn du eine tolle Person findest. Es muss aber auch nicht sein.“

Sie selbst habe im Grunde keine Zeit für Tinder. Loses Dating sei eine Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen – „aber wenn ich einem Typen gegenübersitze, der mir ernsthaft erzählt, was er gestern gegessen hat, frage ich mich: Was hätte ich mit dem Abend alles anstellen können?“, sagt Exum. Meist sei sie Single, habe aber, ihrer Freundschaften und Hobbys sei Dank, nie das Gefühl, etwas zu verpassen.

Bis sie zu diesem Punkt kam, hat es ­gedauert. Exum war ein unsicheres Mädchen aus einem behüteten, religiösen Elternhaus. Ein Teenager, der von allen geliebt werden wollte – und eine Beziehung um jeden Preis gesucht hat. „Als ich dann anfing, Kunst zu machen, habe ich mich selbst entdeckt“, sagt sie. Wenn sie heute traurig sei, könne sie sich selbst aufheitern, zum Beispiel, indem sie eine riesige Kuchenskulptur aus Pappmaché baut, „weil das so schön dämlich ist“. Dem Narrativ, ein Mädchen müsse hübsch wie ein Katalogmodel sein, um Liebe zu finden, mag Exum nicht mehr folgen: Was sexy ist, entscheidet sie selbst. „Auf der Bühne sehe ich aus wie ein seltsames Tier“, sagt sie.

Wenn Exum Grimassen schneidet und selbstvergessen tanzt; wenn sie im Video zum Song „Bush For The Push“ sogar dem muffigen Feminismus-Standardthema Körperbehaarung eine Slapstick-Komponente abringt, zeigt sie der Welt, wie viel Spaß Aktivismus machen kann. Gleichzeitig nannte Exum ihr Debütalbum von 2017 „Feminasty“ – ein Kunstwort aus den Begriffen „feminism“ und „nasty“, also garstig, hässlich, boshaft. Dem angesagten Wohlfühl-Feminismus, den viele Girls (und Boys) imagewirksam, aber frei von Risiko auf Twitter oder Instagram betreiben, steht Exum kritisch gegenüber. „Viele Leute schreien einfach ‚Frauenpower!‘ und denken, damit sei es getan“, sagt sie. „Diese Art von Feministinnen und Feministen nervt mich, weil sie nicht auf wirklich tiefe, intersektio­nale Art über Gleichheit nachdenken. Und zum Beispiel oft trans Personen ausschließen.“

Wenn Feminismus als Hochglanzprodukt verkauft werden soll, glaubt Exum, werde er verwässert. Dann sei er nicht mehr als eine Phrase, die man auf Jutebeutel druckt, ein Lifestyle-Accessoire. Miss Eaves’ Form von Aktivismus hingegen gibt es nicht im praktischen Taschenformat. Sondern nur in über­lebensgroß, knallig. Und bisschen sperrig.

Maze Mehringdamm 61, Kreuzberg, Do 23.5., 20 Uhr, VVK 16,80 €

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