Multitalent

Ein Taxi-Interview mit Dieter ­Meier

„Um 10.15 Uhr ist Boarding“ – Wir sprachen mit Dieter ­Meier, dem Schweizer Weltbürger, Konzeptkünstler, Yello-­Vokalisten und Gastrounternehmer – auch mit zwei Lokalitäten in Berlin

Links: Dieter Meier wurde berühmt als Sänger und Texter der Elektropop-Band Yello, deren Songs wurden in zahlreichen Filmen und als ­Erkennungsmelodie von Fernsehsendungen verwendet. Rechts: Autor und Techno-Pionier Jürgen Laarmann, Foto: J. Wenzel

Angesetzt war das Interview mit Dieter Meier für 10.30 Uhr, Treffpunkt: die Lobby des Soho House. Am Tag zuvor meldete sich Meiers Attaché mit der Bitte, ob man das Interview schon um 9.30 Uhr machen könne. Gleiche Stelle. Gleicher Ort. Mit Schweizer Pünktlichkeit erscheint Stil-Ikone Meier, Markenzeichen Schnauzbart und Halstuch, und überrascht mit der Ansage: „Um 10.15 Uhr ist Boarding“. Die einzige Möglichkeit, ein Interview zu führen, ist also im Taxi zum Flughafen „Das mache ich häufiger“ sagt Meier. „Bewegung beflügelt.“ Der Attaché winkt ein Taxi heran, Meier und ich nehmen auf der Rückbank Platz und beginnen um 9.36 Uhr das Interview.

tip Herr Meier, Sie pendeln zwischen Argentinien, Deutschland und der Schweiz. Wie oft sind Sie in Berlin?
Dieter ­Meier Sehr oft, meistens für zwei bis drei Tage. Alles in allem sind es wohl sechs bis acht Wochen im Jahr. Berlin ist meine Lieblingsstadt, ich verbinde viele Erinnerungen mit ihr. Zum ersten Mal war ich 1968 in Berlin. Dann habe ich 1980 hier meinen ersten Spielfilm gedreht. Der hieß „Sehnsucht nach allem“. Der Filmverlag der Autoren, wo der Film erschien, hat ihn aber in „Jetzt und alles“ umgetauft. Mir gefällt der ursprüngliche Titel aber um einiges besser. Unmittelbar nach der Wende war ich nicht mehr so oft hier, aber in den letzten 15 Jahren bin ich wieder ein regelmäßiger Pilger in diese wunderbare Stadt. Wenn ich mich für eine Stadt als Lebensmittelpunkt entscheiden müsste, dann wäre das ganz klar Berlin.

tip Sie sind in Zürich geboren. Auch eine gute Stadt. Was fasziniert Sie so an Berlin?
Dieter ­Meier Berlin ist die offenste Stadt Deutschlands, wenn nicht sogar ganz Europas. Sie ist eine Stadt ohne Dünkel, es gibt hier so gut wie keine sichtbare Klassengesellschaft. Hier kann man einen Großverleger am Tresen sehen, der ohne herablassender Geste ein Bier mit jemandem trinkt, der sich das Bier kaum leisten kann. Berlin ist immer noch etwas grungy, es gibt viele verborgene Ecken und immer noch einiges für mich zu entdecken.

tip Berlin hat sich in den letzten 15 Jahren aber stark verändert …
Dieter ­Meier Ja, aber das ist ja auch das Interessante. Die Straßen und Stimmungen ändern sich, zum Teil sogar sehr schnell. Die Torstraße hat sich beispielsweise unglaublich entwickelt. Inzwischen gibt es dort tolle Restaurants und viele gute Köche. Es ist wie in New York. Wo ich gelebt habe, bevor Berlin meine Hauptdestination wurde.

tip Sie kennen die Torstraße so gut, weil Sie dort ihr zweites Berliner Restaurant eröffnet haben, die Torbar. Die wollen Sie weiterentwickeln.
Dieter ­Meier Die Torbar wird zusätzlich zur Bar und zum Restaurant eine Lounge bekommen. Dort sollen die Gäste bequem in einem Fauteuil oder Sofa sitzen und in Ruhe irgendetwas lesen können, ohne die Hektik der Bar oder des Restaurants. Die Lounge soll auch schon morgens ab 9 Uhr geöffnet sein, mit allen wichtigen Zeitungen. Auch eine kunstorientierte Bibliothek wird es dort geben.

tip Sie sind jetzt 73 Jahre alt und können auf eine große Karriere blicken. Eigentlich müssten Sie nicht mehr arbeiten. Warum tun Sie sich die Gastronomie überhaupt noch an?
Dieter ­Meier Ich betreibe die Restaurants mit Freunden zusammen und habe eigentlich nur noch wenig direkte operative Arbeit damit. Es ist so organisiert, dass ich in diesen Restaurants auch Gast sein darf. Und natürlich hat es auch noch einen anderen Grund. Meine Weine und mein Beef aus Argentinien werden ja in diesen Restaurants angeboten. Somit ist es auch ein bisschen Promotion für meine argentinischen Landwirtschaftsprodukte, die dann auf diesem Weg nach Berlin kommen.

tip Wo befindet sich Ihre Homebase?
Dieter ­Meier In Argentinien. Dort habe ich inzwischen über hunderttausend Hektar Land. Auf meiner wunderbaren Estancia Ojo de Agua befinden sich die Hälfte meiner Habseligkeiten, meine Kleider, meine Bücher und auch meine alten Schreibmaschinen. Ich versuche ja immer wieder, irgendwelche Texte oder Drehbücher auf die Reihe zu bringen. Und dann halte ich mich sehr gerne in Hong Kong auf – dort lebe ich allerdings im Hotel – und in Paris, wo ich eine Wohnung habe. Ich liebe es, in Paris als Flaneur völlig ziellos durch die Stadt zu streifen.

tip Sie sind ständig mit dem Flugzeug unterwegs.
Dieter ­Meier Wenn ich alles zusammenrechne, dann verbringe ich etwa einen Monat im Jahr im Flugzeug, wobei ich das sehr liebe. Wenn ich abgehoben von der Welt und losgelöst von den ganzen Rennereien in diesem Projektil sitze und mich von A nach B schießen lasse, dann genieße ich das. Ich sammle immer interessante Zeitungsartikel und komme dann mit einer dicken Mappe mit 30 Artikeln, die ich immer lesen wollte, ins Flugzeug und habe Ruhe. Und wenn man keiner geregelten Arbeitszeit nachgehen muss, wie das bei mir der Fall ist, dann übersteht man auch den Jetlag sehr gut. Und dann habe ich auch noch das Glück, dass ich einen Vielflieger-Status habe, der mir das Reisen angenehmer macht.

10.06 Uhr, Anfahrt ans Gate in Tegel. Meier freut sich: „Das hat doch ganz wunderbar geklappt“ Er gibt seinem Attaché eine 50 Euro Note zur Begleichung der Rechnung ­inklusive Rückfahrt und sagt: „Wenn wir mal länger sprechen wollen, kommen Sie doch mit auf den Flug nach Argentinien.“

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