Malerei

„Emil Nolde – eine deutsche Legende“ im Hamburger Bahnhof

Ende Legende: Emil Noldes Leben und Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus wird nun neu beleuchtet – nachdem Forscher erst seit einigen Jahren zugängliche Quellen ausgewertet habe

Emil Nolde, Verlorenes Paradies, 1921 Öl auf Leinwand, 106,5 × 157 cm, Nolde Stiftung
Seebüll, © Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk
Dunkelberg, Berlin

Von keinem anderen Künstler wurden im „Dritten Reich“ so viele Werke beschlagnahmt wie von Emil Nolde. Hunderte transportierte man aus deutschen Museen ab. Gut zwei Dutzend hingen 1937/38 in der Diffamierungs-Ausstellung „Entartete Kunst“. Der Maler hatte ab 1941 Berufsverbot. Das ist die eine Seite. Die andere: Nolde war NSDAP-Mitglied und glaubte bis Ende des Zweiten Weltkrieges an das Regime der Nationalsozialisten.

Nach Kriegsende begann Nolde, das zu vertuschen, er schrieb seine Biografie um. Erst nachdem die Nolde-Stiftung in Seebüll 2013 ihr Archiv öffnete, wurden neue Dokumente bekannt. Dem spürt die Ausstellung „Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ nach. Sie wird von drei Nolde-Kennern kuratiert, der Kunsthistorikerin Aya Soika, dem Historiker Bernhard Fulda und dem Leiter der Nolde Stiftung Christian Rind, und beruht auf deren langjähriger Forschungsarbeit. Erstmals konnten die umfangreichen Bestände von Noldes Nachlass in Seebüll ausgewertet werden. Zudem fährt die Ausstellung an die 100 teilweise bislang nicht gezeigte Originale auf. So erscheinen etwa die sogenannten „Ungemalten Bilder“– kleine Aquarelle, die angeblich heimlich während der Zeit seines Berufsverbotes entstanden – in neuem Licht.

Sie waren offenbar Teil der Selbststilisierung Noldes. Wie wichtig diese für ihn war und wie sie unseren Blick beeinflusst hat, soll dem Besucher auch die Rekonstruktion des Bildersaals aus seinem Atelierhaus an der dänischen Grenze näher bringen. Sie zeigt genau jene Hängung, die der 1956 verstorbene Künstler im Kriegswinter 1942 in Seebüll selbst arrangierte. Ab 1930 lebte Nolde dort mit seiner Frau Ada. Zuvor hatte der 1867 in Schleswig-Holstein geborene Maler, viele Jahre in Berlin verbracht. Urbane Szenen sollten für sein Werk jedoch nicht prägend werden, sondern Küstenlandschaften, Blumen und religiöse Motive.

Muss das herkömmliche Bild des Künstlers revidiert werden? Kuratorin Aya Soika erklärt: „Künstlerbilder an sich sind ja nicht statisch, sondern entwickeln sich ständig weiter. In Noldes Fall war es lange so, dass das Künstlerbild dem Heroenkult der Moderne unterlag. In der (westdeutschen) Nachkriegsgesellschaft repräsentierte Nolde als Opfer des NS-Regimes auch eine gute Moderne. Das war ein zentraler Punkt. Es gab aber all die Jahrzehnte auch Stimmen, die um Noldes Sympathien für den Nationalsozialismus wussten. Ich würde sagen: unser Nolde-Bild muss nicht revidiert werden, aber es hat durch die Forschung der letzten Jahre und die Erschließung unbekannter Quellen an Tiefenschärfe gewonnen.“

In der Ausstellung werden die vielschichtigen Beziehungen zwischen Noldes Bildern, seiner Selbstinszenierung, der Verfemung und der Legendenbildung nach seinem Tod anschaulich. Auch Fotos sind, neben prächtigen Gemälden vom „Verlorenen Paradies“ (1921) oder den „Reifen Sonnenblumen“ (1932), zu sehen. Eine Aufnahme zeigt Joseph Goebbels beim Besuch der Schau „Entartete Kunst“ vor Noldes „Sünderin“. Das Corpus Delicti, eine freie Bibel-Paraphrase von Christus, der Maria Magdalena ihre Sünden vergibt, wurde beschlagnahmt, 1939 versteigert und 1999 schließlich für die Nationalgalerie zurückerworben.

Hamburger Bahnhof Invalidenstr. 50-51, Tiergarten, Di–Fr 10–18, Do 10–20. Sa+So 11–18 Uhr, 12.4.–15.9., 8/ erm. 4 €

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