Eine Woche vorher zum Relaxen noch mal in die Alpen. Zum Technotanzen. Bevor Anton, 22, sein erstes Restaurant eröffnet. So ist Anton Michel drauf. Und wenn man schon denkt, jetzt unternimmt er etwas ziemlich Spießiges, gelingt ihm noch der ungeahnte Dreh: Die Deko-Gartenzwerge im Anton kocht am Winterfeldtplatz sind liebevoll zertrümmert. Kein Retro, kein Kitsch, klares Farbschema: dunkles Holz, Waldgrün, cleanes Weiß. Grün ist Antons Lieblingsfarbe. Grüne Hose, grüne Sneakers. „Eine klare Linie ist uns wichtig. Wir sind nicht verschnörkelt und denken auch nicht so“, sagt Anton. Deutsche Küche, deutsche Weine. Für so ein kleines Restaurant eine fulminante Weinkarte: 100 weiße, 70 rote. Anton kocht hebt sich ab von dem, was sonst im Kiez um den Winterfeldtplatz passiert: Pizza, Döner und indische Cocktails sind hier die Norm.
Das Team besteht aus Freunden: Souschefin Elli kennt er aus der Ausbildung im Vau, Moritz, Chef de Bar, von der Berufsschule aus Stuttgart, Sommeliиre Maria aus dem Service von Tim Raue. Die Energie vom Technofestival ist schon fast wieder aufgebraucht. Seit der Eröffnung Anfang September powern sie durch. Nur Dienstag ist frei. Und schon Mitte August hatten sie angefangen, den Laden zu schrubben und zu streichen. Alles bloß für vier Monate. Dann geht’s für Anton weiter nach Frankreich. Erfahrungen sammeln. „Die Franzosen sind durchgeknallter als die Deutschen, was das Kochen angeht.“ Um 18 Uhr kommen die Gäste, aber die Arbeit startet für Anton morgens um 10 Uhr. Er will möglichst alles täglich frisch machen: Die Kalbszunge (er schreckt nicht vor Innereien zurück) muss portioniert und paniert werden, Semmelknödel und Spätzle gemacht werden, der Fisch filetiert. „Ich bin immer genervt, wenn man in der Küche trennt zwischen kalten Vorspeisen, Fleisch, Gemüse und Patisserie – für mich gehört alles zusammen. Ich will mich nicht jeden Tag nur um Fisch kümmern“, sagt er. Am Abend legt Antons Team die Karte für den nächsten Tag fest – rund 15 Gerichte aus saisonalen Produkten. Der Gast wählt drei oder vier Gänge, für faire 29 oder 38 Euro.
Wieso diese radikal regionale Philosophie im Restaurant? Wegen der „Klassiker, die man eigentlich gerne hat, die aber selten angeboten werden“. Und die schmecken bei Weitem nicht so schwerfällig, wie man so vom Hörensagen denken könnte: kein Schlag-mich-tot- oder Platt-für-drei-Tage-Gefühl im Magen.
Das Bio-Senf-Ei etwa, den Ostklassiker, bereiten sie leichter zu, mit angebratenen Kartoffeln, ein bisschen Senfkohl und einem weich gekochten Ei, paniert, frittiert – außen knusprig, aber das Eigelb noch weich. Die Forelle Müllerin gibt’s mit Petersilienwurzelpüree und Zitronencreme. Der Krautwickel, Roulade mit schön durchgeschmortem Kohl, schmeckt leichter durch süß geröstetes Möhrenpüree. Als Nachtisch empfiehlt sich das Marmeladenbrot: Graubrot mit Frischkäse und Marmelade aus spätblühender Traubenkirsche, relativ bitter, aber mit seltenem Kirsch-Aroma.
Seit September 2010 kocht Anton professionell – da hat er seine Ausbildung im Vau begonnen. Papa und Großpapa sind begeisterte Hobbyköche, Mama und Großmutter haben immer frisch gekocht. In der Ausbildung bei Kolja Kleeberg hat er gelernt, wie man Fisch filetiert, Gemüse behandelt und eine gute Soße kocht. Aber auch, wie man einigermaßen entspannt reagiert, wenn was schiefgeht. Die nächste Station: Tim Raue. Erste Adressen in jungen Jahren. Schmecken, staunen, schuften.
Nach so manchem 16-Stunden Tag brauchte Anton dann die Tanzerei. Samstagabend hat er sich mit seinem besten Kumpel getroffen, war mit ihm bis in die frühen Morgenstunden unterwegs, die Warschauer Straße entlang. Das ist bei seinem Wochenrhythmus momentan nicht mehr drin. Sein aktueller Lieblingsort: sein Balkon im zehnten Stock bei Sonnenuntergang – mit Blick auf die Museumsinsel und den Potsdamer Platz. Das Panorama der Stadt, die sich Anton Michel erkocht hat und die er im Januar verlassen wird.
Was ist für ihn nun die Essenz des Kochens? „Leuten, die man gerne hat, eine Freude zu bereiten. Essen muss man direkt erleben.“ Wenn Leute ihr Handy zücken und den Teller abfotografieren, findet er das eher merkwürdig: „Fotos von Essen mag ich nicht so. Vieles kann nett oder fancy aussehen, aber wenn es nicht schmeckt, ist es kein gutes Essen.“ Eine klare Haltung von einem Koch mit einer klaren Handschrift. Einem, den man ab dem 1. Januar in Berlin vermissen wird.
Text: Stefan Hochgesand
Foto: Lena Gansmann
Bis zum 31. Dezember zumindest. Dann zieht es ihn nach Frankreich zur kulinarischen Weiterbildung. Also: unbedingt hingehen. Anton Kocht, Winterfeldtstraße 36, ?Schöneberg, Tel. 0174-806 68 65, ?Mi–Mo 18–22 Uhr, ?www.facebook.com/AntonKochtBerlin